Jürgen Großmann "Die regenerative Zukunft hat ihren Preis"

Jürgen Großmann warnt vor den Folgen eines hastigen Atomausstiegs. In einem Gastkommentar erläutert der RWE-Chef, warum jetzt Ehrlichkeit in der Debatte besonders wichtig ist.

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Jürgen Großmann. Quelle: handelsblatt.com

Energie ist ein Geschäft mit hoher Emotionalität. Erschüttert sehen wir nun die Bilder aus Japan. Diese Katastrophe trifft uns tief. Sie wurde durch einen Tsunami ausgelöst, der über sechs Kernkraftwerksblöcke hinwegraste. Weltweit ist man dabei, daraus zu lernen und die Technik von Kernkraftwerken weiter zu verbessern.

Neben fossilen Brennstoffen und ihren Treibhausgasen ist es die Kernenergie, die die Energiedebatte prägt. Hier wird nicht nur der Atomkern gespalten, sondern auch die gesellschaftliche Meinung. Aber erinnern wir uns: Es war vor rund 50 Jahren die Politik, die die Energiewirtschaft zum Einstieg in die Kernkraft drängte. Nun will Deutschland wieder aussteigen, geht damit aber international einen Sonderweg.

Die preisdämpfende Wirkung der Kernenergie zeigt sich inzwischen deutlich. Seit dem Moratorium der Bundesregierung sind die Strompreise an der Börse um bis zu 20 Prozent gestiegen. Dass Kernkraftwerke CO2-frei Strom produzieren, will kaum noch jemand hören. Dabei betonte selbst Greenpeace-Gründer Patrick Moore: "Kurios ist, dass häufig gerade jene Menschen Kernenergie ablehnen, die sich um den Klimawandel am meisten sorgen."

Dennoch hat mir der Naturschutzbund Deutschland den "Dino des Jahres" verliehen, weil ich mich für die Kernenergie einsetze. Der provozierende Charakter dieser "Auszeichnung" erschließt sich zunächst allerdings nicht. Dinos sind nämlich beliebt. Gerade bei Kindern. Hollywood ist voll mit Sauriern: Steven Spielberg hat neben "Jurassic Park" auch die Zeichentrickfilme "In einem Land vor unserer Zeit" gedreht. Die Puppenserie "Die Dinos" gewann sogar einen Emmy.

Je schneller und radikaler man sich von der Kernkraft trennt, desto drastischer wird zunächst der CO2-Ausstoß steigen. Natürlich könnten Kohle- und Gaskraftwerke gleich mit abgeschaltet werden. Dann würden wir im Kerzenschein sitzen. Die Energieversorger haben nicht alles richtig gemacht. Aber auch nicht alles falsch. Der Ausbau der regenerativen Technologien kam zögernd, läuft nun jedoch mit hohem Tempo. Der Dialog wird allerdings schwarz-weiß geführt: hier die Bösen, dort die Guten. Das darf nicht so bleiben. Wir sollten redlich sein und zugeben, dass keine Seite den Königsweg kennt.

Das Alte ist nicht mehr zukunftsfähig, das Neue aber noch nicht so weit, um das Alte vollständig abzulösen. Dieser Übergang muss gemeinsam gestaltet werden. Die Aufgaben sind komplex. Wir wollen eine Energiezukunft, die langfristig CO2-frei und regenerativ ist. Aber wir wollen auch den Industriestandort Deutschland erhalten und Energiesicherheit gewährleisten. Wir wollen also Komfort und erträgliche Preise, größtmöglichen Umweltschutz und maximale Kraftwerkssicherheit. Und daneben noch eine eigenständige deutsche Stromversorgung sichern. Nichts wird nämlich leichter, wenn internationale Investoren nach deutschen Stromkonzernen greifen oder der in Deutschland verbrauchte Strom nicht mehr hierzulande erzeugt wird.

Die Erneuerbaren sind schon weit gekommen, aber noch nicht weit genug. Wir brauchen neue Leitungen, Steckdosen und Hausdämmungen, neue Autos und, seien wir ehrlich, ein Umdenken bei den Bürgern.

Wer verspricht, dass wir heute schon den Schalter umlegen können, der praktisch kostenlos auf grüne Energie umstellt, erzählt Unsinn. Erforderlich sind 3000 Kilometer neue Leitungen, über die der Strom aus Offshore-Windrädern zum Kunden fließen kann, ob ins Ruhrgebiet, nach Bayern oder ins frisch ergrünte Baden-Württemberg. In den letzten 20 Jahren haben wir aber gerade 100 Kilometer geschafft. Bei diesem Tempo vergehen 600 Jahre, um Windstrom in ganz Deutschland verfügbar zu machen. Die Umweltverbände müssen bei diesem Umbau aktiv mitwirken. Etwa dadurch, dass sie nicht den Eindruck verstärken, dies gehe alles bürgerfreundlich mit Erdkabeln. Lange Erdkabel sind alles andere als trivial und außerdem weit teurer als überirdische Leitungen.

Wir können den Strom nicht von Husum nach Stuttgart mailen. Jeder muss entscheiden, wie die erneuerbaren Energien beschleunigt werden sollen und welche Kosten und Nebenwirkungen geschultert werden können. Zugespitzt: An manchen Stellen muss man Farbe bekennen, was wichtiger ist, Zugvögel oder Windkraft.

Es ist unsere Aufgabe, den Menschen offen zu sagen, dass für die regenerative Zukunft ein Preis zu zahlen ist. Wer sich aus dieser Verantwortung stiehlt, blockiert den Umbau. Den Weg müssen wir gemeinsam frei machen. Sonst gibt es kein regeneratives Deutschland.

Jürgen Großmann ist Vorstandsvorsitzender der RWE.

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