Große Ökonomen Der Konstrukteur der Marktwirtschaft

Walter Eucken zählt zu den wichtigsten Vordenkern der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Der Mitbegründer des Ordoliberalismus hat analysiert, wie eine marktwirtschaftliche Ordnung konstruiert sein muss, die Wachstum schafft, Macht begrenzt und den Menschen dient. Und er beschrieb eindringlich, wie eine orientierungslose Politik alles zerstören kann.

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Walter Eucken Quelle: Walter Eucken Institut

Es ist ein geheimes Treffen, und es ist lebensgefährlich. Am 21. März 1943 kommt in einer Privatwohnung in der Freiburger Goethestraße eine kleine Gruppe von Ökonomen zusammen. Ihr Ziel scheint zu diesem Zeitpunkt vermessen: Die Wissenschaftler wollen die Architektur einer neuen Wirtschaftsordnung für die Zeit nach dem Nationalsozialismus entwerfen. In zehn Zusammenkünften entsteht in den folgenden Monaten eine ökonomische Agenda für „Wiederaufbau und Friedenswirtschaft“. Im September 1944 werden zwei Mitglieder verhaftet; die Gruppe löst sich auf. 60 Aktenordner landen in Kellerverstecken, wo sie selbst die Gestapo bei Hausdurchsuchungen nicht aufspürt.

In den verborgenen Papieren und Skizzen finden sich vor allem die Ideen eines Mannes wieder: des Freiburger Universitätsprofessors Walter Eucken. Der Ökonom hat mit den Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth im Breisgau eine interdisziplinäre Forschungs- und Lehrgemeinschaft ins Leben gerufen und prägt von dort aus, misstrauisch beäugt von der Reichsdozentenführung, eine neue liberale Denkrichtung, die später als „Freiburger Schule“ oder „Ordoliberalismus“ in die Wirtschaftsgeschichte eingeht.

Es ist der Versuch, einen ethisch unterfütterten Kapitalismus zu schaffen, der den Menschen (und Konsumenten) größtmögliche Freiheit lässt – aber keine Narrenfreiheit. Und der durch einen festen Ordnungsrahmen wirtschaftliche Macht ebenso rigoros begrenzt wie staatlichen Paternalismus. „Die Schäden der Politik des Laissez-faire haben die Menschen des technischen Zeitalters ebenso durchlebt wie die Schäden und Gefahren zentraler Leitung. Deshalb richten sich Denken und Handeln auf die Frage, wie ein Kompromiss beider Extreme, eine Kombination von Freiheit und zentraler Lenkung, möglich sei“, schreibt Eucken in „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“, einem seiner beiden Hauptwerke. Zwar sei „nicht zu verkennen, dass der moderne Kapitalismus die geistige Leere der Zeit mitverschuldet. Aber auf der anderen Seite müssen wir zugestehen, dass die Erhaltung des Kapitalismus für die Versorgung der Menschen eine Notwendigkeit ist.“

Der religiös geprägte Eucken glaubte an den Markt, aber nicht an dessen Unfehlbarkeit, er sah die Gefahr, dass wirtschaftliche Interessengruppen den Wettbewerb aushebeln können – und wollen. Seine Erfahrungen während der Weimarer Republik, als Kartelle an der Tagesordnung waren, machten ihm klar, „dass die Gewährung von Freiheit eine Gefahr für die Freiheit werden kann, wenn sie die Bildung privater Macht ermöglicht“.

Der Einfluss der Freiburger Schule auf die deutsche Nachkriegsordnung ist nicht zu unterschätzen, denn die politische Grundsatzentscheidung für die Marktwirtschaft im zerstörten Deutschland war damals keineswegs selbstverständlich. „Euckens Arbeiten waren bahnbrechend für die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Er hat mit seinen Ideen die deutsche Wirtschaftsordnung entscheidend geprägt“, sagt Lüder Gerken, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ordnungspolitik und Herausgeber einer Textsammlung über Eucken.

Zwar gab es erstaunlicherweise kaum direkte Kontakte zwischen Eucken und Ludwig Erhard, dem Vater des deutschen Wirtschaftswunders. Gleichwohl wird die überraschende Preisfreigabe 1948 durch den damaligen Direktor der Wirtschaftsverwaltung Erhard auch den Freiburgern zugeschrieben. Mit dem Ökonomen Leonhard Miksch arbeitete zudem ein Schüler und Freund Euckens im engsten Beraterkreis Erhards.

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