Auswege für Pleitestaaten Das Schuldenvirus und die Suche nach dem Gegenmittel

Die Europäer haben damit zu kämpfen – und auch die USA: das Schuldenvirus. Es grassiert weltweit und könnte zur größten ökonomischen Belastung des 21. Jahrhunderts werden. Gibt es Auswege aus dem Dilemma?

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Das Weiße Haus in Washington. Quelle: handelsblatt.com

In den USA haben die Parteien in letzter Minute eine Kernschmelze an den internationalen Finanzmärkten verhindert. Trotz des lang ersehnten Kompromisses zur Abwendung der US-Staatspleite bedroht die Megaverschuldung der USA nach wie vor die Weltwirtschaft. Vor allem die ideologische Verhärtung zwischen Demokraten und Republikanern im US-Kongress dürfte eine nachhaltige Lösung behindern. Aber auch die seit Monaten schwache Konjunkturentwicklung in der größten Volkswirtschaft der Welt erschwert eine Lösung.

Mit der Anhebung der Schuldengrenze über die bisher angepeilten 14,3 Billionen Dollar hinaus hat die US-Regierung nur die Erlaubnis eingeholt, den Schuldenberg noch weiter anzuheben. Seit Monaten hält der schwelende Streit zwischen Republikanern und Demokraten die Welt in Atem. Nach langwierigen und nervenaufreibenden Diskussionen im Zuge der Schuldenkrise stellt sich zunehmend die Frage nach der politischen Handlungsfähigkeit der USA. Die Republikaner werden von der „Tea Party“ unter Druck gesetzt, einer radikalen Gruppe in den eigenen Reihen. Die lehnt Steuererhöhungen kategorische ab und steht dem Staat generell sehr skeptisch gegenüberstehen. Aber auch auf Seiten der Demokraten gibt es eine zunehmende Polarisierung innerhalb der Partei.

Auch Europa hat sich nicht mit Rum bekleckert, auch hier greift der Schuldenvirus um sich. Die Euro-Staaten wollen ein Übergreifen der Griechenland-Krise auf andere Staaten wie Italien unter allen Umständen verhindern. Doch aller Hilfsankündigungen und Beschwichtigungen zum Trotz trauen die Märkte dem Braten nicht. Sie fürchten vielmehr, dass nun auch noch Italien – das drittgrößte Land in der Währungsunion – Hilfe benötigen könnte. Bislang erhalten bereits Griechenland, Irland und Portugal Unterstützung von den Europartnern und dem Internationalen Währungsfonds IWF. Die Sorgen um die Schuldenberge bleiben präsent – in den USA wie in Europa. Doch wie kann eine Lösung aussehen?

Der Finanzexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Frank Schäffler, ist überzeugt, dass regional begrenzte Maßnahmen kaum die nötige Durchschlagskraft entfalten können, um den Schuldenvirus wirksam zu bekämpfen. Er plädiert für einen Weltschuldengipfel unter Führung der Gruppe der acht führenden Industriestaaten (G8). Einen entsprechenden Vorschlag des Direktors des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann, nannte Schäffler im Gespräch mit Handelsblatt Online „richtig und notwendig“. Er äußerte die Erwartung, dass sich die Bundesregierung dafür stark mache.

"Alchemie des Geldes beenden"

Schäffler plädierte dafür, dann auch die Ursache der Überschuldungskrise von Staaten und Banken in de Blick zu nehmen. Diese liege im derzeitigen weltweiten Geldsystem, “bei dem Kredit und damit Geld per Knopfdruck aus dem Nichts produziert werden kann, ohne dass dafür ein Sparvorgang gegenübersteht“, sagte das FDP-Bundesvorstandsmitglied. „Die Notenbanken sind dabei die Drogendealer dieses Prozesses, die mit billigen Zinsen diesen Prozess immer wieder anfixen“, sagte Schäffler und fügte hinzu: „Diese Alchemie des Geldes muss beendet werden.“ Dafür lohne es sich, jetzt zu streiten.

IZA-Direktor Zimmermann hatte bei Handelsblatt Online angeregt, der nächste Gipfel der G8 solle sich dem Schuldenthema annehmen. Nötig seien „langfristige Verabredungen“, wie die Industriestaaten das Problem der staatlichen Überschuldung „nachhaltig in den Griff“ bekämen, sagte der Bonner Wirtschaftsprofessor und frühere Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Es ist fünf vor zwölf.“ Andernfalls drohe das Schuldenproblem zur größten weltwirtschaftlichen Belastung des 21. Jahrhunderts zu werden.

Im Interview mit der Nachrichtenagentur dapd fügte der Ökonom mit Blick auf die Vereinigten Staaten hinzu, die USA müssten nun rasch einen verbindlichen Entschuldungsfahrplan vorlegen. Notwendig sei „ein generelles Verbot der Neuverschuldung über die automatischen Stabilisatoren hinaus, die krisenbedingte staatliche Budgetdefizite verursachen“.

Vorbild könne hierbei die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sein. Zimmermann mahnte: „Wollen die USA weiterhin die globale Führungsmacht bleiben, so müssen sie in der Entschuldungsfrage jetzt entschlossen vorangehen, was nicht nur im Sozialbereich, sondern auch im Verteidigungsetat zu tiefgreifenden Einschnitten führen sollte.“ Auch in der Steuerpolitik gebe es noch Spielräume.

Angesichts der explodierenden Staatsverschuldung in den USA empfiehlt auch

Wim Kösters, Mitglied des Vorstands des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsforschungsinstituts (RWI) in Essen, die US-Regierung solle sich die deutsche Schuldenbremse als Vorbild nehmen. „Zu empfehlen wäre ein Blick auf die deutsche Schuldenbremse, die mittel- bis längerfristig in einer für alle planbaren und glaubwürdigen Art und Weise, weil im Grundgesetz verankert, die staatlichen Haushaltsdefizite und damit auch den Schuldenstand verringert, ohne auf die Möglichkeit zu einer antizyklischen Stabilitätspolitik in Ausnahmefällen verzichten zu müssen“, sagte Kösters Handelsblatt Online.

Was das US-Wachstum schwächt - und was nicht

Das RWI-Vorstandsmitglied begründete seine Empfehlung damit, dass sich das US-Wachstum trotz der enormen Ausweitung der Staatsausgaben und der sehr expansiven Geldpolitik der letzten beiden Jahre nicht erholt habe und auch die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau verharre. „Dies könnte darauf hindeuten, dass für diese Schwächen nicht konjunkturelle, sondern strukturelle Gründe verantwortlich sind, die ganz andere Maßnahmen erfordern“, sagte Kösters.

Der RWI-Ökonom warnte davor, aus dem Schuldenkompromiss vorschnell Schlüsse für die weitere Konjunkturentwicklung zu ziehen. Bisher sei nicht absehbar, in welchen konkreten Bereichen genau Ausgaben vermindert werden sollen. Daher könne über die Konjunktur- und Wachstumswirkungen noch nichts Definitives gesagt werden. „Die von einigen Politikern und Ökonomen geäußerten Befürchtungen, die nun einzuleitende Konsolidierung werde eine zweite Rezession verursachen, sind eindeutig übertrieben“, sagte Kösters.

Zunächst schaffe der in letzter Minute gefundene Kompromiss Sicherheit und beflügele kurzfristig die Börsenkurse, sagte der RWI-Ökonom weiter. Wenn wesentlich Militärausgaben und andere im Ausland getätigte Ausgaben gekürzt werden sollten, dürfte das kaum Auswirkungen auf die amerikanische Konjunktur haben. „Sollte der Kompromiss als Beginn einer entschlossenen Haushaltskonsolidierung gewertet werden, könnte sich dies sogar positiv auf das erwartete, permanente Einkommen und damit auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage auswirken“, ist sich Kösters sicher. Er sagte allerdings auch: „Wenn allerdings die Kürzungen vorwiegend bei Investitionen und bei Forschungs- und Entwicklungsausgaben vorgenommen werden, würde das aber das Wachstum schwächen.“

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