Debatte um Chefposten Deutsche Zurückhaltung bei IWF alarmiert Ökonomen

Immer wenn internationale oder europäische Spitzenpositionen zu besetzen sind, gehen sie nicht an einen Deutschen. Dieses Phänomen zeigt sich auch in der IWF-Debatte. Ökonomen schlagen deshalb Alarm.

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Warten auf den Neuen: Wer wird den IWF künftig führen? Quelle: handelsblatt.com

Immer wieder spitzen die Deutschen die Lippen - zuletzt, als es um die Nachfolger von EZB-Präsident Jean-Claude Trichet ging. Für den Posten hielten sie den damaligen Bundesbankpräsidenten Axel Weber in petto. Doch bis zum Pfeifen bringen sie es nicht.

Die Dinge wiederholen sich: auch im Wettstreit einen neuen IWF-Chef nach dem skandalträchtigen Abgang des Franzosen Dominique Strauss-Kahn tauchten Deutsche nur in allerersten Kandidatenlisten auf. Inzwischen zeichnet sich Frankreichs Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde als die Kandidatin der Europäer ab - auch der Deutschen.

Ökonomen alarmiert diese Zurückhaltung. Deutschland habe mit Altkanzler Gerhard Schröder, Ex-Finanzminister Peer Steinbrück, dem ehemaligen Bundesbankpräsidenten Weber und dem Chef der Osteuropa-Bank EBWE, Thomas Mirow, durchaus eine Reihe erfahrener Persönlichkeiten aufzubieten, "die man ins Spiel bringen könnte", sagte der Direktor des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Klaus Zimmermann, Handelsblatt Online. "Den erklärten Gefallen der Bundeskanzlerin an der französischen Kandidatin Lagarde kann man angesichts ihrer wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die den Interessen Deutschlands zuwiderlaufen, kaum verstehen."

Für Zimmermann zeigt sich in der deutschen Zurückhaltung in der IWF-Personaldebatte einmal mehr ein Versagen der Politik hierzulande. "Bei allem wirtschaftlichen Erfolg und der daraus erwachsenden politischen Stärke sind unsere Vorstellungen und Orientierungen zu sehr nach Innen orientiert und deshalb provinziell", sagte der frühere Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Im deutschen Regierungsapparat befänden sich deshalb auch kaum Ausländer und eine zeitweise Abordnung ins Ausland aus dem Apparat in internationale Organisationen habe immer ein wenig den Beigeschmack einer Degradierung und diene bei einer Rückkehr jedenfalls nicht dem weiteren beruflichen Aufstieg.

Der renommierte Krisenökonomen Max Otte regte eine spezielle Ausbildung für politischen Führungskräftenachwuchs an. Deutschland habe kein Korps internationaler Spitzendiplomaten, wie zum Beispiel Frankreich. "Hier müsste für besonders geeignete Ministerialbeamte ein Fast-Track geschaffen werden, wie dies zum Beispiel in Frankreich, den USA oder England besteht, wo die Selektionsfunktion durch entsprechende Eliteuniversitäten erfolgt", sagte der Wirtschaftsprofessor an der Fachhochschule Worms Handelsblatt Online. Otte beklagte, dass Deutschland traditionell in den internationalen Institutionen unterrepräsentiert sei. "Die deutschen Regierungen haben selten aktiv deutsche Kandidaten und Interessen durchgesetzt."

Ähnlich äußerte sich IZA-Direktor Zimmermann. "Die Unfähigkeit der deutschen Elite in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, geeignete Persönlichkeiten für internationale Führungspositionen zu qualifizieren und im richtigen Zeitpunkt auch zu platzieren, ist ein seit langem beobachtbares Phänomen", sagte er. Das hänge mit der geringen Internationalität dieser Elite insbesondere im Wirtschaftsbereich zusammen. "Die Folge ist eine viel zu geringe Vernetzung mit den Führungsschichten der anderen Nationen, wie sie etwa in den anderen Eliten der G20-Nationen zu beobachten ist."

In der SPD gibt es inzwischen großen Unmut über die mangelhafte Personalstrategie der Kanzlerin. "Es ist bemerkenswert, dass es Angela Merkel offenbar überhaupt nicht mehr in den Sinn kommt, einen deutschen Kandidaten ins Spiel zu bringen", sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier zu "Spiegel Online".

Die CDU-Vorsitzende sei mit ihrer Personalpolitik in Europa "komplett gescheitert. Sie hat den deutschen Kandidaten für den EZB-Chefsessel, Weber, brüskiert und keinen Ersatz gefunden", kritisierte Steinmeier. Deutschland stehe in den internationalen Gremien so schlecht da wie selten zuvor.

Zu einer möglichen Kandidatur der französischen Finanzministerin Lagarde äußerte sich Steinmeier gegenüber "Spiegel Online" zurückhaltend. Sie sei "sicher im Feld der sechs bis acht Kandidaten, die ernsthaft diskutiert werden. Aber das Feld ist größer." Der nächste IWF-Chef müsse aus Europa kommen und nicht aus einem Schwellenland.

Auch innerhalb der Koalitionsfraktionen macht sich leiser Unmut breit. Nachdem der Zug IWF-Vorsitz wohl abgefahren ist, mahnt der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach für künftige Fälle: "Jetzt ist endlich auch einmal ein Deutscher dran." Und er sorgt sich: "Man muss aufpassen, dass die Führungsaufgaben nicht ohne Deutschland verteilt werden." Michelbach hätte sich Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz als IWF-Kandidaten vorstellen können. Auch Unionsfraktionsvize Michael Fuchs merkt zum IWF-Spitzenposten an: "Ich finde das schade". Deutschland hätte durchaus gute Kandidaten zu bieten: von Axel Weber über den Euro-Rettungsfonds-Chef Klaus Regling bis zum Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, der zwar Schweizer sei, aber eine große Affinität zu Deutschland habe. Kollegen aus der FDP nannten ebenfalls den Namen Weber, sogar Peer Steinbrück von der SPD.

Die Bundesregierung reagiert inzwischen dünnhäutig auf alles, was nach Vorwürfen riecht. "Deutschland verzichtet nicht auf einen eigenen Kandidaten, sondern Deutschland setzt sich für einen europäischen Kandidaten ein", beschied Finanzminister Wolfgang Schäuble genervt unbotmäßige Frager. Regierungssprecher Steffen Seibert bemerkt: "Wir haben den Einfluss den wir brauchen". Und mahnt zu Geduld: "Der Tag wird kommen".

Der Eindruck drängt sich auf, dass die Deutschen bei der Besetzung von Top-Jobs in wichtigen Institutionen immer wieder ausmanövriert werden. Bei der Kür der Kandidaten zur Nachfolge von EZB-Chef Trichet preschte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vor und plädierte - nicht abgesprochen mit den Deutschen - für den italienische Kandidaten Mario Draghi. Kanzlerin Angela Merkel zögerte kurz und folgte dann. Nun war Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi der erste aus Europas Top-Etage, der sich offen für Lagarde als neue IWF-Chefin starkmachte. Es scheint, als wird Deutschland auch dem folgen.

Schon als es 2009 darum ging, ob EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso wiedergewählt wird, kamen die Deutschen aus Uneinigkeit in der damaligen schwarz-roten Koalition nicht zum Zuge. Auch der ständige EU-Ratspräsidenten Hermann van Rompuy ist kein Deutscher. Und an der Spitze der Euro-Gruppe steht der Luxemburger Jean-Claude Juncker. So bleiben auf internationaler Ebene der frühere Finanzstaatssekretär Thomas Mirow als Chef der Osteuropa-Bank EBWE und EFSF-Chef Regling die Deutschen mit den wohl wichtigsten internationalen Spitzenpositionen.

Nun bürgt ein Deutscher an der Spitze einer wichtigen internationalen Organisation nicht unbedingt für herausragende Arbeit und große Ausstrahlung. Ex-Bundespräsident Horst Köhler, der davor einige Jahre IWF-Chef war, gilt beispielsweise manchem als eher schwacher Amtsträger, wie der Historiker Harold James jüngst befand. Aber dass Europas stärkste Wirtschaftsmacht, der Export-Vizeweltmeister und größte Nettozahler in der EU regelmäßig keinen Kandidaten für wichtige Schlüsselfunktionen durchbringt, befremdet auch manchen in Merkels eigenen Reihen.

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