Denkfabrik

Die Reallöhne müssen sinken

Griechenland bekommt seine Schulden nicht allein durch Sparen in den Griff, sondern muss auch seine Exporte steigern. Das geht nur bei sinkenden Reallöhnen, sagt Rolf Langhammer.

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Rolf Langhammer, Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel Quelle: Gerrit Meier für WirtschaftsWoche

Schafft Griechenland die haushaltspolitische Wende? Die Situation ist so dramatisch, dass immer mehr Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Landes aufkommen. Mehrere Entwicklungen machen die Lage so gefährlich: Die externe Bruttoverschuldung stieg von 2006 bis 2009 mit zweistelligen Raten auf über 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Risikoaufschlag für griechische Staatsanleihen erreichte Ende Januar im Vergleich zu Bundesanleihen mit vier Prozentpunkten den höchsten Stand seit der Euro-Einführung. Das Wachstum der Exporte, in allen Untersuchungen zur Schuldentragfähigkeit von Ländern ein wichtiges Referenzmaß, blieb mit jährlich etwas über zehn Prozent im Zeitraum 2006 bis 2008 hinter dem Schuldenzuwachs (18 Prozent) zurück.

Daraus lässt sich allerdings noch nicht ableiten, ob Griechenland wirklich bankrott ist. Um diese Frage zu beantworten, müssen vier Punkte festgehalten werden. Erstens hat das Land seinen Schuldendienst in der Gemeinschaftswährung Euro oder in Fremdwährungen zu leisten. Damit befindet es sich nicht in der privilegierten Position der USA, die ihre Schulden mit einem Geld bezahlen, das sie alleine schaffen können. Zweitens kann Griechenland keinen Einfluss auf den Geldschöpfungsprozess der Europäischen Zentralbank nehmen. Drittens ist Griechenland ungeachtet seiner Mitgliedschaft in der EU und der Euro-Zone ein souveräner Schuldner, der den Schuldendienst einstellen oder verzögern kann. Viertens stehen dem Land als Mitglied im Internationalen Währungsfonds (IWF) die Wege zu „Stand-by“-Krediten des Fonds im Notfall wie allen anderen Fondsmitgliedern offen. Wege zu EU-Krediten gibt es (offiziell) nicht. Die „Non-Bail-out“-Klausel, nach der jeder Schuldner für seine Schulden selbst einzustehen hat, ist bindend.

Spitze nur beim Leistungsbilanzdefizit

Um Griechenlands Überschuldungsgrad zu analysieren, ist zu prüfen, ob die Schulden (genauer: deren Gegenwartswert) mit der gleichen Rate zunehmen wie die erwartete Bedienung der Schuld. Wäre dies so, würden griechische Schulden ohne Abschlag zum Nominalwert gehandelt. Dann wäre alles in Ordnung. Wächst aber die erwartete Bedienung geringer als die Schulden, erwarten die Marktteilnehmer nicht mehr, dass das Land seine Schulden vereinbarungsgemäß bedienen kann. Die Schulden würden dann auf einem Sekundärmarkt mit einem Abschlag gehandelt. Bei funktionierenden Sekundärmärkten wäre dies eine marktbasierte Bereinigung. Umschuldungen oder Schuldenstreichungen wären nicht erforderlich. Offenbar befindet sich Griechenland zurzeit (noch) in dieser Situation; dies zeigen die gegenwärtigen Risikozuschläge. Aber auch ein anderes Szenario ist möglich: Mit zunehmenden Schulden könnte die erwartete Bedienung abnehmen. Dann wäre Griechenland überschuldet. Die Märkte würden erwarten, dass neue Schulden den griechischen Staat veranlassen könnten, den Schuldendienst einzuschränken oder sogar einzustellen. Dann wäre der Zeitpunkt einer Umschuldung im Rahmen des Londoner Clubs gekommen.

Wichtig für die Tragfähigkeit der Schuld ist der Unterschied zwischen dem auf die Tilgung entfallenden Teil des Schuldendienstes und dem Teil, der auf den Zinsdienst entfällt. Die Zahlungsverweigerung kann verhindert werden, wenn neue Kredite die Tilgung alter Kredite gewährleisten. Dann kann die Differenz zwischen Neukrediten und Tilgung für Griechenland nicht negativ werden, sodass ein Anreiz entfällt, den Schuldendienst einzustellen. Entscheidend für die Vermeidung eines Insolvenzstatus ist, dass Griechenland stets den Zinsdienst leistet und dass die Exporte nicht langsamer wachsen als der Zinsdienst. Dazu muss die heimische Nachfrage zugunsten von Exporten zurückgedrängt werden. Anders formuliert: Griechenland muss real abwerten, und zwar durch Reallohnsenkungen, da es den Wechselkurs als Anpassungsinstrument nicht mehr gibt. Sollte Neuverschuldung nur noch zu höheren Zinsen möglich sein, müssen die Exporte entsprechend gesteigert (oder Importe gesenkt) werden, damit die Zinsdienst-Export-Rate nicht steigt.

Hier liegt die eigentliche Herausforderung für Griechenland. Sein Leistungsbilanzdefizit war 2009 mit zehn Prozent des BIPs das höchste in der Euro-Zone. Seine Dienstleistungsexporte sind stark konjunkturabhängig (Tourismus, Transport, maritime Dienstleistungen), also in der Krise rückläufig. Selbst wenn die Krise überwunden wird, ist nicht ausgeschlossen, dass andere Länder Griechenland auf dem Markt für maritime Dienstleistungen verdrängen. Bereits vor der Krise war der Anteil der Schiffe, die auf den Weltmeeren unter griechischer Flagge fahren, gesunken. Der Weltschifffahrtsmarkt steht angesichts der erheblichen Tonnageausweitung in der Zeit vor der Krise vor einer Anpassung nach unten.

Ausgerechnet in dieser Umbruchphase muss Griechenland nun seine Wettbewerbsposition verbessern. Auf einen dauerhaft schwachen Euro, der die Exporte beflügelt, kann das Land nicht setzen. Griechenlands traditionelle Güterexporte (Zwischenprodukte, Konsumgüter, landwirtschaftliche Erzeugnisse) sind leicht durch Produkte konkurrierender Anbieter ersetzbar. Das bedeutet: Im Dienstleistungs- und Güterhandel ist der Preis der wichtigste Wettbewerbsparameter für Griechenland. Und der ist nur über sinkende Reallöhne zu beeinflussen. Dies ist die unfrohe Botschaft, die die Regierung den Bürgern verkünden muss.

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