Neue Hilfen oder Umschuldung? Für Schuldensünder Griechenland tickt die Uhr

Griechenland gerät wegen seiner Schuldenprobleme zunehmend unter Druck. Kriegt Athen noch die Kurve? Die Zweifel nehmen zu. Das DIW plädiert für eine Entschuldung, auch wenn das Banken-Schieflagen auslösen könnte.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die griechische Akademie in Athen. Quelle: handelsblatt.com

Ansgar Belke, Forschungsdirektor für Makroökonomie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), hält eine Umschuldung Griechenlands auch für vertretbar, wenn es in der Folge zu Banken-Schieflagen kommen sollte. "Dass selbst große Haircuts von 50 bis 70 Prozent, wie das die Ratingagentur Standard & Poor's schon verlangt hat, die gesamte Währungsunion ins Wanken bringen würden, glaube ich nicht", sagte Belke Handelsblatt Online. Dafür habe Griechenland relativ zum Rest der Euro-Zone ein zu geringes wirtschaftliches Gewicht. Eine Schieflage der einen oder anderen französischen oder deutschen Bank sei dann allerdings nicht auszuschließen. "Die müsste dann der Staat wieder austarieren, was insgesamt aber wegen des noch rechtzeitigen Schuldenschnitts für Griechenland dennoch für den Steuerzahler positiv ist."

Viele Ökonomen halten eine harte Umschuldung auf mittlere Sicht für unvermeidbar. Die Gläubiger Griechenlands müssten dann im Rahmen eines Schuldenabkommens auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten - im Fachjargon "Haircut" (Haarschnitt) genannt - und die Verluste in ihre Bücher nehmen. Das Land wäre einen Teil seiner Schulden dauerhaft los. Kritiker befürchten jedoch, dass Banken zusammenbrechen würden und es Ansteckungseffekte in anderen hochverschuldeten Ländern gibt.

Kurz vor einem Treffen der Euro-Finanzminister in Brüssel kritisierte derweil EU-Währungskommissar Oli Rehn die griechischen Reformenbemühungen als unzureichend. Der Zeitung "Die Welt" sagte er, Griechenland müsse die Wirtschaftsreformen beschleunigen und die vollständige Umsetzung des Privatisierungsprogamms sicherstellen. Derzeit wird diskutiert, ob Griechenland weitere Kredithilfen erhalten soll. Nach Informationen der "Welt" gibt es im Internationalen Währungsfonds große Skepsis darüber. Unter Berufung auf hohe EU-Diplomaten berichtet das Blatt, dort herrsche noch stärker als in Europa Enttäuschung über die griechischen Sanierungsbemühungen.

Der IWF trägt bislang ein Drittel der Finanzhilfen für in Schieflage geratene Euro-Staaten. Überschattet wird der Termin der Euro-Finanzminister durch den Skandal um den IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn. Er war in New York wegen des Verdachts sexueller Nötigung festgenommen worden und wird noch heute einem Haftrichter vorgeführt werden.

DIW-Ökonom Belke warnte vor staatlichen Endlos-Hilfen für Griechenland. Einen "bevorrechtigten Gläubigerschutz" für staatliche Gläubiger mit dem Schutz der Interessen der Steuerzahler in Geberländern zu begründen, aber zugleich einen Schuldenschnitt auszuschließen, könne in einen "Teufelskreis" münden. Ein solches Risiko bestehe, wenn Griechenland nochmals längere Rückzahlungsfristen und ein abermals verringerter Zins eingeräumt würden. "Denn im Falle Griechenlands werden die staatlichen Gläubiger bis 2013 immer einflussreicher", sagte der Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Duisburg-Essen. "Der Abschreckungseffekt für Privatanleger wird dadurch immer größer, denn im Falle der Insolvenz stünden sie immer weiter hinten in der Schlange."

Skeptisch äußerte sich Belke zu der Ankündigung Griechenlands, im Gegenzug für weitere Hilfen nun Privatisierungen höchste Priorität einzuräumen. "Da kann die Regierung in Athen noch so viele richtige Gesetze in Abstimmung mit der Troika (IWF, EZB, EU-Kommission; d. Red.) auf den Weg bringen und Papandreou die Glaubwürdigkeit der vereinbarten Privatisierungsprogramme noch so oft beteuern: Ein massiver griechischer Widerstand gegen schnelle und umfangreiche Privatisierungen sowie erfahrungsgemäß Sabotage durch bestechliche Beamte der unteren Ebene werden die Anstrengungen verlangsamen, wenn nicht gar konterkarieren."

Gleichwohl bieten die im März beschlossenen Privatisierungen nach Überzeugung Belkes aus der geplanten Maßnahmenpalette "noch das größte Einsparpotenzial und sind ordnungspolitisch zielführend, um Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen". Der Ökonom riet, der griechische Staat solle seine gesamten Anteile auch an bislang als strategisch wichtig eingestuften Unternehmen wie Strom- und Wasserversorgern abstoßen. "Dabei sollte Griechenland die staatliche Beteiligung am Stromversorger PPC stärker als nur auf 34 von 51 Prozent reduzieren. Ebenso sollte das Land sich vollständig aus der Deutschen-Telekom-Tochter OTE zurückziehen."

Belke warnte: "Sollten hier die Vorgaben nicht eingehalten werden, wird die geplante Schuldenstabilisierung oder sogar -rückführung - daran glaubt mittelfristig keiner mehr - immer unwahrscheinlicher." Zudem würde Griechenland einen neuerlichen Glaubwürdigkeitsverlust erleiden, der die Spreads noch weiter ansteigen ließe.

Mit Blick auf das weitere Vorgehen in der Griechenland-Krise fühlen sich die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) von Berlin im Stich gelassen und sehen sogar ihre Unabhängigkeit in Gefahr. Die EZB wirft der Bundesregierung nach Informationen der "Welt" vor, die griechischen Finanzprobleme vor allem mit neuem Geld der Notenbank und nicht mit Krediten und Garantien anderer EU-Regierungen lösen zu wollen. "Die Regierung versucht, der Notenbank das Problem vor die Tür zu kehren", zitierte das Blatt aus hochrangigen EZB-Kreisen.

In dem Streit gehe es in erster Linie um die Frage, ob eine kleine Umschuldung, ein "Reprofiling", schon jetzt sinnvoll und möglich sei. Während die Bundesregierung dafür plädiere, bald die Laufzeiten der Griechenland-Anleihen zu verlängern und möglicherweise auch die Zinsen zu senken, sperrten sich die Notenbanker gegen diesen Schritt. Damit stehe die EZB jedoch allein, da die Bundesregierung sowohl die EU-Kommission als auch den IWF auf ihrer Seite habe.

Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte auf Anfrage der "Welt", dass kaum eine Regierung in Europa in der Frage der Unabhängigkeit der Notenbank eine derart "klare, eindeutige und belegbare Historie" wie die deutsche habe. Mit Blick auf eine Umschuldung wolle man nun den Bericht von EZB, EU-Kommission und IWF zur Lage in Griechenland abwarten.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%