Fortress in Dresden Geld ohne Segen

Auf den ersten Blick nur Vorteile. Was der Stadt Dresden nach dem Verkauf von 48.000 Wohnungen oder 2,6 Millionen Quadratmetern für 1,7 Milliarden Euro übrig bleibt – ein Besichtigungstermin. Eine Handelsblatt-Reportage.

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Er kennt sie auswendig, die 71 Namen auf der Liste. Ganz genau weiß er, hinter welchem Namen ein roter Punkt steht und hinter welchem ein grüner. Grün, das sind die Verräter, jene 40, die mit Ja gestimmt haben. Die, so sieht er es, an die Amerikaner verhökert haben, was die Dresdner aus Trümmern aufgebaut haben. Rot, das sind die Verbündeten. Politiker, die noch wählbar sind bei der nächsten Kommunalwahl, weil sie mit Nein stimmten. Tilo Kluge kann diese 29 Namen aus dem Kopf herunterrattern: Bertram, Blümel, Ernst, ... Fein säuberlich hat er die Liste aus der Zeitung ausgeschnitten, ganz oben liegt sie auf den Aktenordnern. 2009, vor der nächsten Kommunalwahl, will er die Namen ins Internet stellen. „Die Politiker werden schon noch sehen, was sie davon haben.“ Auf den ersten Blick nur Vorteile. Der Dresdner Stadtrat hat beschlossen, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Woba an den US-Investor Fortress zu verkaufen. Für 1,7 Milliarden Euro. Woba, das sind 2,6 Millionen Quadratmeter Wohnraum verteilt auf 48.000 Wohnungen. Und Tilo Kluge wohnt in einer davon. Dresden kann durch den Verkauf seine kompletten Schulden tilgen – als erste Stadt Deutschlands. Gleichwohl haben diese Pläne Dresden monatelang aufgewühlt, polarisiert. Vor mehr als einer Woche ist die Entscheidung gefallen. Doch ausgestanden ist die Sache damit nicht. Der neue kommunale Wohlstand und der Eigentümerwechsel bei der Woba – das löst viele Probleme, sorgt aber auch für neue. Für den Mieter Tilo Kluge, den Finanzbürgermeister Hartmut Vorjohann, den Woba-Chef Rainer Seifert. Der Geldverwalter Der Eindruck täuscht. Hartmut Vorjohann zieht alle Register, um deutlich zu machen, wie groß der Trugschluss ist: „30 Millionen pro Jahr – mehr zusätzlichen finanziellen Spielraum werden wir wohl nicht bekommen.“ Mehr bleibt nicht von 1,7 Milliarden Euro? „Möglicherweise sind es auch nur 20 Millionen“, sagt Vorjohann, Dresdens Finanzbürgermeister und damit oberster Geldverwalter. Und dann fängt er an zu rechnen, zieht 741,4 Millionen Euro ab für die Schulden der Stadt, 40 Millionen Euro für die Deckungslücke im laufenden Haushalt, 30 Millionen Euro für die Vorfälligkeitsentschädigung, wenn die Stadt alle Schulden auf einmal zurückzahlt – und jede Menge anderer Buchungsposten, darunter neue Kredite, die schon länger geplant sind, und Gelder, die in eine Stiftung fließen sollen. Innerhalb von Sekunden schmilzt die Milliardensumme dahin. „Der Überschuss wird uns helfen, die Sanierung von Schulen und Kindergärten zu beschleunigen“, erzählt Vorjohann, „der Bürger wird aber genau hinschauen müssen, um das wahrzunehmen.“ Vorjohann, 42 Jahre alt, die Haare schon eher grau als blond, hat den Woba-Verkauf durchgeboxt. Er ist wie auf einer Wahlkampftour von von einer Einwohnerversammlung zur nächsten getingelt, um die Menschen für diesen Plan zu gewinnen. Er hat sich anpöbeln und hinstellen lassen als einer, der gewissenlosen Investoren, raffgierigen Kapitalisten in die Hände spielt. Gewehrt hat er sich mit seinen Mitteln: mit Zahlen, Diagrammen und steilen Kurven. Sie zeigen mit kühnem Schwung aufwärts, wo es um die Verschuldung der Kommune geht, und unaufhaltsam nach unten, wo sie die künftigen Einnahmen der Stadt nachzeichnen. Die Aussage ist eindeutig: Wenn nichts passiert, steuert Dresden auf einen finanziellen Kollaps zu. Die Schattenseite einer Stadt, in der eigentlich alles besser läuft als sonst im Osten Deutschlands, in der es weniger Arbeitslose gibt und höhere Einkommen, wo die Zahl der Einwohner steigt und die Umsätze der Firmen, die die Region zum größten Mikroelektronikzentrum Europas machen. Auch mit dem Woba-Verkauf setzt die Stadt nun Maßstäbe: So konsequent hat sich bisher keine Kommune von ihren Immobilien getrennt. Keine andere Stadt ist derzeit in der Lage, ihre Schulden auf einen Schlag zurückzuzahlen und einen von Zinszahlungen unbelasteten Haushalt aufzustellen. In Dresden flossen zuletzt 77 Millionen Euro, zwölf Prozent der Einnahmen, in den Schuldendienst. Auch wenn Vorjohann mit seinem Seitenscheitel, der Metallbrille und dem grauen Anzug nicht zum Revolutionär taugt, so war die Entscheidung, sich von der Woba zu trennen, doch äußerst radikal. „Eher aus der Not geboren“, so drückt er es aus. Die Hälfte der Anteile an den Stadtwerken hat Dresden bereits verkauft, Personalkosten gesenkt, Investitionen verschoben. Für einen Verkauf der Krankenhäuser fehlte die Mehrheit im Rat. „Dann kamen die Wohnungen auf die Tagesordnung“, berichtet der Finanzfachmann, „es ist auch ein guter Zeitpunkt dafür, da sich der Markt ganz gut entwickelt.“ Der befürchtete Finanzkollaps bleibt jetzt aus. Doch richtig erleichtert wirkt er nicht, wenn er in seinen Unterlagen blättert, neue Kurven hervorkramt: die Entwicklung der Kinderzahlen. „Wir haben steigende Geburtenraten, da hab ich mich selbst dran beteiligt.“ Dresden braucht also mehr Kindertagesstätten. Es gibt noch andere Unwägbarkeiten: „Was Hartz IV noch bringt? Wie können wir neue Schulden verhindern? Wird es einen Solidarpakt III geben?“ Der Mann problematisiert, vielleicht dramatisiert er auch, auf jeden Fall opponiert er gegen die Begehrlichkeiten, die der Erlös aus dem Woba-Verkauf weckt. Das ist sein Job. Denn Wünsche gibt es viele: Stadionneubau, Waldschlösschenbrücke, Messe, Eishalle. Der Vermieter Sanft wölbt sich die Dachkonstruktion unter den Schneemassen, hier und da scheint ein cremefarbenes Gewebe durch, einige Töne dunkler als das Weiß des Schnees, aber ebenso strahlend und erhaben. Wenn Rainer Seifert aus dem Fenster seines Büros schaut, hat er das Werk des Star-Architekten Sir Norman Foster im Blick. Er hat das Zeltdach entworfen, das sich über das Stahlgerüst des Dresdner Bahnhofs spannt. Auch Seifert verdient sein Geld mit Architektur. Allerdings sind die Bauten nicht ganz so ambitioniert. Ihn beschäftigen die Häuser der Typenserie WBS 70, „Arbeiterschließfächer“, wie die Menschen im Osten Deutschlands sie verspotten. Der Mann, der aussieht wie ein sächsischer Don Johnson, ist Sprecher der Woba-Geschäftsführung und Herr über Hunderte von Plattenbauten. Den meisten hat das Unternehmen eine neue Fassade verpasst, rote, grüne oder gelbe Balkone, wärmedämmende Fenster und Holztüren. Aus grauen Platten sind bunte Legosteine geworden. Mehr noch: Einfache Hausmeister hat die Woba zu beflissenen Concierges befördert, die nicht nur Sicherheit vermitteln, sondern für die Mieter auch die Hemden in die Reinigung bringen oder mit einer Briefmarke aushelfen. „Guter Wohnraum ist hier reichlich verfügbar“, erzählt Seifert, „da muss man sich was einfallen lassen.“ Auf die aufwendig sanierten Plattenbauten hat es der neue Besitzer wohl gar nicht so sehr abgesehen, spekulieren die Dresdner, sondern eher auf die Altbauten, immerhin jedes dritte Haus im Woba-Bestand stammt aus der Jugendstil- und der Gründerzeit – Immobilien, die sich wohl besser weiterverkaufen lassen als Häuser in Plattensiedlungen. Davon ist derzeit aber noch nicht die Rede, nur so viel sagt die Fondsgesellschaft Fortress zu ihren Zielen: Woba soll in den nächsten drei Jahren eine Rendite von fünf Prozent einbringen. 2005 fuhr das kommunale Unternehmen einen Bilanzverlust von 40 Millionen Euro ein. Die ruhigen Jahre sind für Woba-Chef Seifert vorbei: Statt öffentlichem Dienst ist nun Gewinn gefragt. Seifert gibt sich ungerührt: „Wir werden so weitermachen wie bisher, nur unsere Bilanz auf IFRS umstellen und unser Augenmerk stärker auf die Senkung der Leerstände richten.“ Denn jede fünfte Woba-Wohnung ist unvermietet, im Durchschnitt stehen in Dresden zwölf Prozent der Wohnungen leer. Die einfachen Woba-Mitarbeiter sehen den Vorgaben nicht so gelassen entgegen. „Wir haben hier jetzt schon teilweise zu kämpfen, damit der Leerstand nicht steigt“, erzählt eine Mitarbeiterin. Seit einigen Jahren interessieren sich Fondsgesellschaften – meist aus den USA oder Großbritannien – für deutsche Mietwohnungen. Sie heißen Terra Firma, Fortress, Apellas oder auch Cerberus. 800 000 Mietwohnungen haben die Investoren bislang erworben, in der Regel von Kommunen. Und es sollen noch mehr werden. Das Angebot wird auf bis zu drei Millionen Wohnungen geschätzt. Für die Finanzinvestoren ist jeder Kauf ein Geschäft mit überschaubarem Risiko – auch wenn sie die Käufe meist mit viel Fremdkapital finanzieren. Die Kredite werden aus Mieteinnahmen getilgt. Solange die Rendite aus den Mieten höher ist als die Kreditzinsen, so wie derzeit, streicht der Investor einen Gewinn ein. Gesteigert wird dieser durch den Weiterverkauf von Wohnungen oder durch einen Börsengang der Wohnungsbaugesellschaften, wie Fortress ihn plant für Ende 2006 oder Anfang 2007. Für die, die bei der Woba arbeiten, ein seltsamer Gedanke: „Wenn ich mir unsere Mieter vor allem in den noch unsanierten Platten angucke und mir vorstelle, von welchen Firmen ich mir denn Aktien kaufen würde, dann passt das irgendwie nicht zusammen“, erzählt eine Mitarbeiterin. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen und auch nicht näher erläutern, wie viele A-Mieter, also Alte, Arbeitslose, Ausländer und Alkoholiker die Woba beherbergt. „Uns wurde eingetrichtert, nicht zu jammern und froh zu sein, dass wir noch unseren Job haben.“ Vor dem Verkauf hat Dresden eine Sozialcharta aufgestellt, die ist Teil des Verkaufsvertrags. Damit sind wenigstens die Woba-Mitarbeiter für fünf Jahre vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Der Mieter Je lauter seine Stimme wird, desto durchdringender wird das Zetern seiner Wellensittiche. Und bei diesem Satz von Tilo Kluge steigt der Lärmpegel mal wieder gewaltig an. „Die Menschen sind zu phlegmatisch, hocken lieber zu Hause vor dem Fernseher, statt sich zu engagieren.“ Diese Leute sind seiner Ansicht nach jetzt schuld, dass die Woba verkauft wurde, haben sie doch nicht die Energie aufgebracht, sich mit ihrer Unterschrift an einer Bürgerinitiative zu beteiligen, die das zu verhindern versuchte. 45.000 Unterschriften haben sie zusammenbekommen. Mehr als 60 000 wären aber für einen Bürgerentscheid nötig gewesen. Kluge hat sich engagiert, geradezu verbissen, um seine freie Zeit auszufüllen. Denn davon hat der Woba-Mieter eine Menge. Der 45-Jährige ist arbeitslos. Wie lange schon? Das will er gar nicht sagen, macht nur eine wegwerfende Handbewegung. Und erzählt lieber davon, dass er die meisten Unterschriften gesammelt hat. „Mehr als 500 Listen, auf jeder Liste sieben Unterschriften.“ Er hat vor Supermärkten gestanden, Flugzettel verteilt, und Passanten erklärt, was droht, wenn Fortress die Woba übernimmt. „Und wenn dann Mieten steigen, Wohnungen luxussaniert werden – und keine Ahnung, was denen noch alles einfällt, um auf ihre Rendite zu kommen.“ Sind die Sorgen begründet? Es gibt Fälle, die belegen: Es wohnt sich nicht mehr ganz so unbeschwert, wenn Private-Equity-Gesellschaften einziehen. Da sind beispielsweise die Erfahrungen in Berlin, die der lokale Mieterverein in seinem „Schwarzbuch Privatisierung“ zusammengefasst hat. Danach kann der Einbau eines Balkons die Miete um ein Drittel steigen lassen oder ein neuer Aufzug 200 Euro je Monat mehr kosten. Und: Der Mieterbund sieht noch andere Probleme. Dem einmaligen Erlös stünden langfristige Nachteile gegenüber. Wenn die Investoren die Mieten erhöhten, werde mehr Wohngeld und mehr Miete für Sozialhilfe fällig. Mit wem, fragt Mieterbund-Direktor Franz-Georg Rips, wenn nicht mit den öffentlichen Wohnungsgesellschaften, kann eine Kommune ihre Stadt entwickeln? Was wird aus dem sozialen Frieden, wenn sich mehr Hartz-IV-Empfänger in Blocks konzentrieren und eine Stadt nicht mehr eingreifen kann, weil sie keine eigenen Wohnungen mehr hat? Doch auch der Mieterbund gibt unumwunden zu: Größtenteils verhielten sich die neuen Wohnungsbesitzer kooperativ und zurückhaltend. Schließlich wollen die Unternehmen weiter hinzukaufen und mögliche Verkäufer nicht verschrecken. Kluge beruhigt das nicht. Seit acht Jahren lebt er mit Lebensgefährtin und Tochter in einer sanierten Woba-Platte im Dresdner Süden, knapp 60 Quadratmeter, 440 Euro warm. Er fragt: „Wie lange noch?“ Begehrte Heimat Gefragte Objekte: In Nordrhein-Westfalen haben Fondsgesellschaften längst die 100 000 Wohnungen der Landesentwicklungsgesellschaft im Visier, die die Landesregierung privatisieren will. In Leipzig steht womöglich ein Teilverkauf der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft an. Und in Köln plädiert die FDP für einen Verkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaften GAG und Grubo, findet aber bislang keine Mehrheit. Zu den Akten: Nicht alle Verkäufe gehen glatt über die Bühne. Den Verkauf der Aachener Wohnungsgesellschaft GeWoGe hat der Kölner Regierungspräsident untersagt. Der Grund: Die Veräußerung verstoße gegen die Gemeindeordnung. Die GeWoGe habe die Aufgabe, „breite Bevölkerungsschichten“ mit preiswertem Wohnraum zu versorgen.

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