40 Jahre WirtschaftsWoche Helmut Schmidt: Die Sünden der Politik in den 70ern

Altkanzler Helmut Schmidt über die politischen Ursachen der Währungsspekulation, historische Fehler bei der Bankenrettung und die Konstruktionsschwächen der Europäischen Union.

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Helmut-Schmidt1 Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Bundeskanzler, welche wirtschaftspolitischen Entscheidungen der Siebzigerjahre wirken noch bis heute fort?Schmidt: Hinsichtlich der langfristigen Wirkungen war dies eine Entscheidung der Vereinigten Staaten von Amerika. Nämlich die Verpflichtung, jede Dollar-Note in Gold umzutauschen, aufzuheben. De facto schon in den späten Sechzigern, de jure in den frühen Siebzigern. Damit wurde dem internationalen Währungssystem von Bretton Woods der Boden entzogen. Der amerikanische Dollar verlor seine Qualität als alleiniger Maßstab für alle anderen Währungen der Welt. Das hat eine Reihe von Konsequenzen ausgelöst, zum Beispiel eine ganz erhebliche Aufwertung der Deutschen Mark.

Inwieweit wirkt das heute fort?Man konnte sich auf künftige Dollar-Wechselkurse nicht mehr verlassen. Also fing man an, wenn man zum Beispiel gegen Dollar exportierte, sich gegen eine etwaige Abwertung des Dollar bis zum Zahltag durch Hedging abzusichern. Das wiederum war der Anlass für manche Leute, auf Wechselkurse zu spekulieren. Die späten Folgen dieser enormen Ausweitung der Währungsspekulation, insbesondere mithilfe von Hunderttausenden von Derivativen, haben wir dann ab 2007/08 bis hin zu Lehman Brothers erleben können. Letztlich eine Konsequenz der Aufhebung von Bretton Woods.

Sie haben immer für feste Wechselkurse gekämpft.Alle europäischen Staaten, nicht nur Deutschland, haben versucht, feste Wechselkurse zum Dollar und untereinander aufrechtzuerhalten – ohne Erfolg. Kennzeichnend für die amerikanische Haltung war ein Wort des damaligen amerikanischen Finanzministers John Connally: „The Dollar is our currency, but it’s your problem.“In den Siebzigerjahren haben wir dann ein sogenanntes Europäisches Währungssystem (EWS) erfunden, mit festen Wechselkursen der beteiligten Währungen. Der Eckstein war eine Währung, die hieß ECU und existierte nur auf dem Papier und bei den Zentralbanken. Das war der Name einer mittelalterlichen französischen Münze. Aber es traf sich so schön: bei uns stand ECU für European Currency Unit. Er war der Vorläufer des Euro.

Damals war die Gemeinschaft noch homogen und überschaubar!Seit der Euro beschlossen wurde, sind aus den zwölf Mitgliedern der EWG 27 Mitglieder der EU geworden. Die politische Grundregel untereinander lautete seit 1952, seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl: Einstimmigkeit. Das waren aber damals nur sechs Staaten. Als wir dann zu zwölft waren, musste man neue Spielregeln erfinden. Hat man aber nicht getan. Hinzu kam, dass der Lissabon-Vertrag ausdrücklich auf über 70 Politikfeldern die Einstimmigkeitsregel gelten lässt. Dazu trat dann die Erweiterung der EU auf 27 Mitgliedstaaten. Dies beides ist der schwerste Fehler gewesen.

Ist dieser Fehler korrigierbar?Es sieht momentan nicht danach aus, dass die europäischen Staaten in der Lage wären, sich auf eine Korrektur zu einigen.

Was bedeutet das für den Euro?Der Euro ist im Gegensatz zu vielerlei dummem Geschreibsel, insbesondere in englischen Zeitungen, in Wahrheit eine völlig ungefährdete Währung. Die zweitwichtigste Währung der Welt – hinter dem Dollar, aber noch vor dem japanischen Yen und dem chinesischen Renminbi. Es liegt überhaupt kein Grund vor, von einer Krise des Euro zu reden.

Trotzdem driftet die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der europäischen Partner eher auseinander.Einerseits hat die gemeinsame Währung zu einer tieferen Integration der europäischen Volkswirtschaften ineinander geführt; andererseits bleibt es selbstverständlich, dass Volkswirtschaften sich verschieden schnell entwickeln. Nehmen Sie als Beispiel die unglaublich unterschiedliche Entwicklung Chinas und der Sowjetunion. Vor 30 Jahren konnte man beide miteinander vergleichen, heute wäre das lächerlich.

Es hat noch niemals in der Weltgeschichte einen Gleichlauf in der ökonomischen Entwicklung zwischen allen Staaten gegeben. Wird es auch in Zukunft nicht geben, ist auch nicht notwendig erstrebenswert. Der eigene technologische Fortschritt, die Arbeitsmarkt-, Steuer- und Sozialpolitik oder die Rüstungspolitik, wie der Fall Russland zeigt: Es gibt viele Faktoren, die zu unterschiedlicher Entwicklung führen müssen. Zwar tendieren wir innerhalb der Europäischen Union langsam zu einer Angleichung dieser Politiken. Aber das sind ganz lange Zeiträume, Jahrzehnte, Generationen. Es hängt nicht an der aktuellen Wirtschaftspolitik einer Regierung, wie sich das manche Leitartikler vorstellen.

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