Regierungspolitik Die Kanzlerin verliert die Kontrolle

Atom-Debatte, Guttenberg-Abgang, Euro-Dilemma: Die Bundeskanzlerin steht vor großen Problemen. Viele hat sie selbst geschaffen - und kann sie auch nicht mehr eindämmen. Die Merkel-Dämmerung hat begonnen.

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Kanzlerin Merkel: Viele Probleme, oft selbst geschaffen. Quelle: handelsblatt.com

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es schon jetzt ein verflixtes Jahr. Das Atom-Unglück in Japan lässt das Schlimmste für die Landtagswahlen vermuten. Mit Karl-Theodor zu Guttenberg hat sie ihren Hoffnungsträger verloren. Und in der Euro-Krise droht ein heftiger Streit mit der FDP.

Es ist noch viel schlimmer als 2010, einem Jahr, in dem doch schon fast alles schief lief in ihrer Regierungskoalition. Schwarz-Gelb überschüttete sich gegenseitig mit Hohn und Spott und musste dann entsetzt mit ansehen, wie mit Nordrhein-Westfalen auch die Mehrheit im Bundesrat verloren ging und der Stuttgart-21-Protest den oppositionellen Grünen satte Umfragegewinne einbrachte. Ganz nebenbei gingen Merkel auch noch einige CDU-Ministerpräsidenten von der Stange.

Selbst der Hoffnungsträger, Superstar Karl-Theodor zu Guttenberg, musste sich von der politischen Bühne verabschieden. Auch Merkels "Herbst der Entscheidungen", als Mutmacher gedacht, hatte fatale Folgen.

So wird die von ihr Ende des Jahres durchgeboxte Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke der CDU in Baden-Württemberg - dem Kernland der Union - bei der Wahl am 27. März aller Voraussicht nach eine schwere Wahlschlappe einbringen. So weit reichen die Auswirkungen des Atom-Unglücks in Japan allemal, dass auch die bürgerliche Mitte im Ländle schwer ins Grübeln gerät.

Das von Merkel eilig verordnete Atom-Moratorium und die heutige Ankündigung, sieben alte Atommeiler vorläufig vom Netz zu nehmen, werden die Stimmung in der Bevölkerung in den nächsten knapp zwei Woche kaum ändern. Genau so wenig wie das Versprechen von Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus, das Atomkraftwerk Neckarwestheim I für immer abzuschalten.

Das Dilemma: Auch eine totale Kehrtwende in der Atompolitik würde Mappus nichts nutzen. Seine Glaubwürdigkeit wäre endgültig zerstört. So oder so: Sein Abschied dürfte kurz bevorstehen.

Dass Merkel Hamburg verloren hat, war einkalkuliert. Und natürlich ist Baden-Württemberg für sie die wichtigste Wahl. Doch auch in Sachsen-Anhalt (20, März) und Rheinland-Pfalz (27. März) gehen die Bürger zur Urne - auch in diesen Ländern sind die innenpolitischen Nachbeben der Japan-Katastrophe zu spüren.

Viel Zündstoff in Merkels Euro-Politik

Die Chancen der CDU, in Magdeburg auch künftig in einer Koalition mit der SPD zu regieren, sind nicht gestiegen. In Reihen der CDU in Rheinland-Pfalz herrscht Ratlosigkeit. Noch vor kurzem konnte sich Kurt Becks Herausforderin Julia Klöckner berechtigte Hoffnungen auf das Amt als Ministerpräsidentin machen. Das scheint nun vorbei.

Immerhin hat Julia Klöckner vor dem Wahlkampf ihren Job als Staatssekretärin im Verbraucherschutzministerium an den Nagel gehängt und damit vorgemacht, was die CDU-Basis in Nordrhein-Westfalen auch von ihrem Vorsitzenden Norbert Röttgen erwartet: totale Konzentration auf die Landespolitik.

Der Verfassungsgerichtshof in Münster hat den rot-grünen Nachtragshaushalt in NRW gekippt. Eine Auflösung des Landtages und Neuwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland werden immer wahrscheinlicher. Will Röttgen seine Chancen auf das Amt des Ministerpräsidenten nicht verspielen, muss er sich bald entscheiden. Wenn Röttgen nach Düsseldorf geht, verliert Merkel schon wieder einen ihrer Minister. Die Struktur des Bundeskabinetts gerät erneut ins Wanken.

Merkel muss sich überdies erneut einem altbekannten Problem stellen: Wie soll Deutschland in der Euro-Krise verfahren? Die Katastrophe in Japan hat die Vereinbarungen des Euro-Sondergipfels in den Hintergrund gedrängt. Merkel mag dies vor den Landtagswahlen ganz recht gewesen sein. Denn in Merkels Euro-Politik steckt jede Menge Zündstoff.

Die von Merkel am Wochenende in Brüssel mit den Regierungschefs der Euro-Zone verabredete Erweiterung des Krisenfonds EFSF sieht vor, europäischen Pleitestaaten zukünftig Kredite in Höhe von bis zu 440 Milliarden Euro zu gewähren. Zudem soll der Krisenfonds Staatsanleihen aufkaufen dürfen - wenngleich nicht an der Börse, sondern direkt von den ausgebenden Staaten. Der Weg von der Währungsunion zur Transferunion scheint damit besiegelt.

Doch über neue deutsche Garantien, die auf bis zu 250 Milliarden Euro steigen können, entscheidet der Bundestag. Und dort ist es nicht nur die Opposition, die sich gegen Merkels Politik wehrt. Das FDP-interne Protestbündnis "Liberaler Aufbruch" um den Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler will die Beschlüsse von Brüssel im Parlament scheitern lassen.

Wie aber soll Merkels Kanzlerschaft aussehen, wenn sie die Landtagswahlen verliert, im Bundesrat auf verlorenem Posten steht und auch im Bundestag um jede Mehrheit kämpfen muss?

Das Frühjahr 2011 könnte den Herbst ihrer Kanzlerschaft einläuten.

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