Fachkräftemangel Migranten sollen die Lücke füllen

Den Unternehmen droht ein massiver Mangel an Fachkräften. Kinder von Einwanderern sollen jetzt in die Bresche springen. Doch deren Förderung wurde lange verschlafen. Jetzt ist die Politik gefragt: Sie muss unter anderem den Deutschunterricht verbesseren und die Berufsorientierung an den Schulen vereinfachen.

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Durch stärkere und frühere Förderung sollen mehr Migranten für eine Facharbeiterlaufbahn gewonnen werden. Quelle: dpa Quelle: handelsblatt.com

BERLIN. Von Deutschlands Schulen kommt künftig immer weniger Nachwuchs - zugleich entscheidet sich ein wachsender Teil für ein Studium. Das bringt die duale Ausbildung in die Zwickmühle: Schon 2009 gab es teilweise nicht genug qualifizierte Bewerber am Lehrstellenmarkt, Tendenz massiv steigend. Es gibt nur einen Ausweg aus dem Dilemma: "Wir müssen das Reservoir der Migranten besser ausschöpfen", sagt Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger, Sondergesandter der Arbeitgeber und des BDI für Bildung.

Politik und Unternehmen haben das Thema lange vernachlässigt - die Migranten schneiden in den Schulen weit schlechter ab als ihre Kameraden. Jetzt drängt die Zeit: Schon 2015 fehlen nach einer Prognos-Studie fast drei Millionen Fachkräfte auf allen Ebenen. Die Partner des Ausbildungspaktes wollen daher mehr Migranten für eine Facharbeiterlaufbahn gewinnen. "Der Meister der Zukunft ist Türke", hat es Handwerkspräsident Otto Kentzler auf den Punkt gebracht. Doch bisher ist das nur ein frommer Wunsch.

Das Potenzial ist riesig: Fast jeder fünfte Bewohner Deutschlands hat einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Unter den Kindern bis zehn Jahre ist es sogar ein Drittel, in den Industrieregionen des Westens mehr als 40 Prozent (siehe Karte).

Bisher jedoch machen nur wenige Migranten-Kinder eine Lehre. Das gilt zumindest für die Ausländer, die knapp die Hälfte der gut 15 Millionen Migranten stellen. Hier beträgt die Ausbildungsquote gerade mal ein knappes Viertel, bei den Deutschen sind es fast 60 Prozent. Zur gesamten Gruppe der Migranten gibt es hier wie im gesamten Bildungsbereich keine Zahlen. Diese dürfte jedoch besser ausfallen, da Migranten mit deutschem Pass meist besser integriert sind.

In Zeiten der Lehrstellenkrise, als die Unternehmen noch aus dem Vollen schöpfen konnten, fielen viele Migranten wegen schlechterer Zeugnisse durch den Rost. Nach dem Mikrozensus haben 4,4 Prozent der Migranten zwischen 18 und 25 gar keinen Schulabschluss - unter Nicht-Migranten nur 1,6 Prozent. Bei den Zuwanderern der zweiten Generation ist die Kluft zumindest geringer: Hier haben nur gut zwei Prozent keinen Abschluss.

Das Problem beginnt im Kindergarten, den Migranten seltener besuchen, und der noch immer mangelhaften Sprachförderung in den Grundschulen. Danach trennen sich die Wege: Vor allem türkischstämmige Jugendliche und Aussiedler aus der Sowjetunion besuchen viel häufiger als andere die noch vorhandenen Hauptschulen.

Am Ende gelten viele Migranten als "nicht ausbildungsfähig". Um das zu ändern, "stellen sich hier - neben der Sprachförderung - die gleichen Fragen wie bei Risikoschülern ohne Migrationshintergrund", sagt die Berufsbildungsexpertin des DIHK, Sybille von Obernitz. Nach Pisa sind fast 40 Prozent der Migranten sogenannte Risikoschüler, die auch mit 15 Jahren nur Grundschulniveau erreichen - doch auch unter Nicht-Migranten sind es 15 Prozent.

Die Länder haben gelobt, Migranten besser zu fördern. Nennenswerte Erfolge sind bisher jedoch nicht zu vermelden. Bei der Quote der Schulabbrecher ist die Tendenz leicht positiv (siehe Grafik).

Vorreiter bei der Integration von Migranten sind im übrigen die freien Berufe: Sie weisen mit 7,7 Prozent die höchste Quote an ausländischen Azubis auf - vor allem bei Ärzten und Apothekern lernen viele Migrantinnen als Helferin.

Schwerer ist es im gewerblichen Bereich. Im Handwerk sind fünf Prozent der Azubis Ausländer, im Reich der IHK sogar nur 3,9 Prozent. Das liegt auch daran, dass die klassische deutsche duale Berufsausbildung bei Migranten nicht so hoch im Kurs steht, weil sie ihren Wert nicht erkennen, heißt es bei beiden Verbänden. Deshalb "brauchen wir dringend eine Elternkampagne, denn wenn wir die Eltern nicht vom Wert einer Ausbildung überzeugen, nützt alles andere wenig", sagt von Obernitz.

"Wir müssen bei den Eltern der Migranten für Ausbildung werben"

Umgekehrt bilden auch Migranten selbst nur unterdurchschnittlich aus. Die IHK Frankfurt spricht daher schon seit 2001 mit drei Sonderberatern gezielt Multiplikatoren an und hat so 4 000 Ausbildungsplätze dazugewonnen. "Es bringt viel mehr, wenn Türken oder Griechen selbst in ihrer Community für die duale Ausbildung werben", berichtet Geschäftsführerin Brigitte Scheuerle. Besonders begeistert ist sie etwa von der "türkischstämmigen Steuerberaterin, die heute bei all ihren Klienten für die duale Ausbildung trommelt".

Damit nicht genug: "Mittlerweile schulen wir sogar Imame zum deutschen Ausbildungssystem." All das reicht jedoch nicht, meint Scheuerle. "Was wir brauchen ist eine bundesweite Imagekampagne mit Migranten, die mit dualer Ausbildung Karriere gemacht haben."

Die Politik muss helfen, indem sie künftig die Berufsorientierung in den Schulen verbessert, heißt es beim Handwerk. Das stand eigentlich schon 2008 auf der Themenliste des 1. Bildungsgipfels. In diesem Sommer wird es beim 3. Gipfel erneut Thema sein. Studien haben gezeigt, dass es in den Betrieben durchaus noch Vorurteile gegen Migranten gibt. Obernitz vom DIHK konstatiert trocken: "Hier müssen wir noch mehr Einwanderungsland werden."

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