Windige Finanzanbieter Neue Regierung vertagt den Anlegerschutz

Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung verzichtet auf ein Gesetz, mit dem Anleger vor windigen Finanzanbietern und deren Produkten geschützt werden sollen. Zwar will Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) den Anlegerschutz zu einem "Schwerpunktthema" machen, doch insgesamt scheinen sich die Bestrebungen der Politik in Grenzen zu halten.

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Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner. Quelle: ap Quelle: handelsblatt.com

HB BERLIN. "Wenn es gutgeht, werden wir im Dezember oder Januar zwar kein Gesetz, aber Handlungsempfehlungen vorlegen", sagte Aigner. Es gehe um den Grundsatz: Wahrheit und Klarheit.

Bereits in den Koalitionsverhandlungen hatte sich abgezeichnet, dass Union und FDP beim Anlegerschutz nicht weit kommen. Bis heute konnten sich beide Seiten nur darauf verständigen, die Gründung einer unabhängigen Stiftung für Finanzprodukte nach dem Muster der Stiftung Warentest zu prüfen. Ferner will die Koalition die Haftung für Produkte und Vertrieb verschärfen und Anforderungen an Finanzberater vereinheitlichen.

Obwohl Anleger nach Angaben des Ministeriums jährlich rund 20 Mrd. Euro infolge von Fehlberatungen verlieren, gleichzeitig aber verstärkt von der Politik ermuntert werden, privat fürs Alter vorzusorgen, haben in der Vergangenheit die Bundesregierungen keine einschneidenden Konsequenzen gezogen.

"Wir haben bei den Finanzprodukten derzeit niemanden, der sich die Produkte materiell anguckt", kritisiert Hans-Peter Schwintowski, Wirtschaftsprofessor an der Berliner Humboldt-Universität. Die verbraucherpolitische Aufgabe der Finanzaufsicht BaFin bestehe im Wesentlichen darin, sich entsprechende Prospekte von Anbietern anzuschauen. Nötig sei aber ein Finanz-Tüv, fordert Schwintowski. Diese Instanz sollte auch in der Lage sein, Sanktionen gegen Anbieter auszusprechen. In letzter Konsequenz sollten Verbote ausgesprochen werden, und es sollte die Möglichkeit bestehen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dies fordert auch der wissenschaftliche Beirat des Ministeriums. In einer Stellungnahme, die der Beirat am 27. November verabschieden will, fordert er, Verbraucher vor Fehlberatungen zu schützen und entsprechend risikoreiche Anlageprodukte auf den Index zu setzen. Allerdings hat der Rat bislang keinen großen Einfluss. "Dem Verbraucherministerium würde es bei allem wichtigen Tagesgeschäft sicherlich nicht schaden, die Expertise seiner ehrenamtlich arbeitenden Beiräte intensiver zu nutzen", sagte die Beiratsvorsitzende Lucia Reisch von der Copenhagen Business School dem Handelsblatt. Reisch forderte unter anderem, dass die BaFin die Rolle des Produktwächters übernehmen solle: "Sie versteht sich aber nicht als Verbraucherbehörde."

Lobbyarbeit der Banken trägt Früchte

Das fordert auch der Chef der Verbraucherverbände, Gerd Billen. Statt einer Stiftung für Finanzprodukte sei es nötig, "Verbraucherschutz zum Aufsichtsziel der Finanzaufsicht zu erklären", sagte er dieser Zeitung. "Zum anderen brauchen wir eine bessere Ausstattung der Verbraucherzentralen und der Stiftung Warentest, damit diese die Verbraucher ausreichend beraten und informieren können." Derartige Vorstöße scheitern bislang vor allem am politischen Einfluss der Banken. In den Koalitionsverhandlungen konnten sie einen Passus verhindern, wonach der finanzielle Verbraucherschutz "im Rahmen der Finanzdienstleistungsaufsicht künftig mit überwacht" werden sollte. Dies ist in anderen Staaten der Europäischen Union üblich - sogar in Großbritannien; zu den zentralen Aufgaben der britischen Finanzaufsicht FSA gehört der Konsumentenschutz.

Im Verbraucherministerium gibt es hingegen noch keine klare Linie. Aigner kann sich zwar vorstellen, dass im Rahmen der Bankenaufsicht auch die Inhalte der Anlageinformationen geprüft werden. Aber für die Bewertung dürfe der Staat nicht haftbar gemacht werden. Das ist für Wirtschaftsprofessor Schwintowski nicht nachvollziehbar. Bei der Frage nach den Haftungsrisiken könne man sich an der Stiftung Warentest orientieren - wo immer die materielle Prüfung der Finanzmarktprodukte auch institutionell angesiedelt sei. "Die muss auch für fehlerhafte Einschätzungen und Urteile haften und in letzter Konsequenz auch Schadensersatz leisten."

Trotz Alternativen ist die Bereitschaft der Regierung, materielle Verbesserungen im Anlegerschutz durchzusetzen, gering. So wurde auch die Forderung der FDP, künftig alle Anlageprodukte von zwei unabhängigen Ratingagenturen vor dem Verkauf zu prüfen, nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen. "Die Lobbys der Banken und Versicherungen haben sich hier bereits im Vorfeld erfolgreich zur Wehr gesetzt", resümiert ein Verbraucherpolitiker der Koalition.

Am ehesten dürfte es noch Fortschritte beim sogenannten Grauen Kapitalmarkt geben. Verbraucherministerin Aigner will den Anlegerschutz auch auf die geschlossenen Immobilienfonds ausdehnen. "Produkte, die im Grauen Kapitalmarkt gehandelt werden, müssten den gleichen Aufsichtsanforderungen unterworfen werden wie andere Finanzprodukte", fordert Schwintowski. Bei der Beratung über diese Produkte müsste dann beispielsweise konkret über die Ausfallrisiken informiert werden.

Schwintowski kritisiert die verschiedenen Standards für die Beratung und Dokumentationspflichten von Finanzdienstleistern und Versicherern. "Versicherer müssen beispielsweise Qualifikationsnachweise erbringen, Finanzdienstleister nicht", kritisiert Schwintowski. Dabei würden viele Produkte gerade über gebundene oder freie Finanzmakler verkauft.

Das ist ein Problem, das auch die Regierung erkannt hat. So besteht nach dem Koalitionsvertrag die Absicht, die Anforderungen an Berater und Vermittler in puncto Qualifikation, Registrierung und Berufshaftpflicht zu vereinheitlichen. Dies hatte schon die Große Koalition angestrebt. Bei der Vermittlung von Finanzprodukten sei es für den Verbraucher ja egal, aus welcher Branche er ein Vorsorgeprodukt bezieht.

Grauer Markt: Unreguliert und ungeniert

Frankfurt. Kaum Regeln, kaum Kontrolle - Betrüger am Grauen Kapitalmarkt nutzen das aus und bedienen sich ungeniert. Ob Caviar Creator oder Göttinger Gruppe, sie alle versprachen Traumrenditen am Telefon oder in Hochglanzprospekten, lockten mit Steuerersparnis und Vermögenstipps; dabei garantierten sie nur eines: Geldverlust. Fast 6000 Fälle von Kapitalanlagebetrug registrierten die Ermittler im vergangenen Jahr. Die Schäden sollen sich auf rund 267 Mio. Euro belaufen. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Laut einer Studie des Bundeskriminalamtes verlieren Anleger pro Jahr zwischen 20 und 30 Mrd. Euro am Grauen Markt. Gemeint ist damit jener Teil des Kapitalmarktes, der nicht der staatlichen Finanzaufsicht (BaFin) unterliegt.

Spektakulärstes Beispiel war bislang der Zusammenbruch der Göttinger Gruppe. Rund 100 0000 Anleger hofften auf eine "Securente", ein Steuersparmodell für den kleinen Mann, das sich als Schneeballsystem entpuppte und die Anleger um rund eine Milliarde Euro brachte - ausgegeben für Vorstandsgehälter, Aufsichtsratstantiemen, Sportwagen oder Betriebsfeste mit Starkoch Alfons Schuhbeck.

"Geschlossene Fonds sind derzeit das größte Problem am Grauen Markt", sagt der Münchener Anwalt Peter Mattil. Er fordert schon seit Jahren eine Kontrolle, zuletzt im Juli als Sachverständiger vor dem Finanzausschuss.

Bislang unterliegen geschlossene Fonds, stille Beteiligungen, Namensschuldverschreibungen und Genussrechte keiner Regulierung, gehören zum Grauen Kapitalmarkt. Zwischen 500 und 1000 solcher Kapitalanlagemodelle jedes Jahr auf den Markt - oft zum Schaden der Anleger.

Jüngstes Beispiel: die Kaviar-Fonds. Rund 34 Mio. Euro sammelte Frank S. bis 2005 bei Tausenden von Anlegern ein, ein paar Jahre später noch einmal einen zweistelligen Millionenbetrag. Sein Versprechen: Kaviar aus Aquakulturen sollte sie reich machen, zweistellige Renditen generieren und den Reibach beim künftigen Börsengang seiner Firma Caviar Creator bringen. Darauf warten die Anleger aber noch heute. Das Geld ist weg. Und Frank S. kommt vor Gericht. Im März hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf Anklage wegen Kapitalanlagebetrugs gegen ihn erhoben.

Auch die BaFin will "kollektive Anlagemodelle" an die Leine legen, da sie "neben seriösen Anbietern gern von unseriösen Anbietern genutzt" würden, schrieb sie im Juli an den Finanzausschuss. Zwar müssen Anbieter seit 2005 ihre Prospekte einreichen, doch die BaFin prüft nur die Vollständigkeit, nicht aber, ob sich Lug und Trug darin verbergen. Das soll sich ändern, fordern die Experten. Schützenhilfe könnte von einem alten Bekannten kommen: Immer wieder hatte die BaFin Herbert Kiener, Initiator der K1-Fonds, die Geschäfte untersagt, immer wieder unterlag sie vor Gericht. Jetzt sitzt er im Gefängnis, und die Staatsanwaltschaft Würzburg ermittelt wegen Betrugs und Untreue im besonders schweren Fall.

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