Deutschland im Visier „Spekulanten wetten auf den Weltuntergang“

In der Schuldenkrise könnte auch Deutschland in schwieriges Fahrwasser geraten. Darauf deuten die gestiegen Kosten für Kreditausfallversicherungen hin. Ein Ökonom schlägt Alarm und fordert, die Angriffe abzuwehren.

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Weltkugel. Quelle: handelsblatt.com

Angesichts der Finanzmarktspekulationen gegen Frankreich und Deutschland fordert der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, ein verbot des Handels mit Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, kurz: CDS). Die einzig rationale Motivation der Anbieter und Käufer von CDS könne gegenwärtig nur deren gewinnträchtiger Weiterverkauf an Gutgläubige sein. „Das aber ist kein produktiver Handel, sondern ein mieses Wettspiel, das  schlicht verboten gehört“, sagte Horn Handelsblatt Online.

Unter Investoren geht nicht nur die Angst um, dass die Euro-Schuldenkrise weitere Länder erfasst und in den Abwärtsstrudel reißt. Zudem bezweifeln immer mehr Anleger, dass europäische Politiker die Krise in den Griff kriegen. In Bankenkreisen gilt es daher als wahrscheinlich, dass die Lage an den Refinanzierungsmärkten vorerst schwierig bleibt. Verschärft wird die Krise durch spekulative Investoren, die auf den Kollaps von Staaten und Banken wetten.

„Wenn Panik herrscht, setzt der Verstand aus, denn diese CDS sind gleichsam Wetten auf den Weltuntergang“, sagte IMK-Chef Horn dazu. Wenn sowohl die Bundesregierung  als auch die französische Regierung  in die Verlegenheit  kämen, ihre Schulden nicht  mehr  bedienen zu können, dann seien die meisten Regierungen  inklusive  der USA und Japan schon längst zahlungsunfähig. „Es  gehört nicht viel Phantasie dazu vorherzusagen, dass dann die Finanzmärkte  insgesamt zusammengebrochen sein werden“, so Horn. „Daher würden die  Besitzer einer CDS in dieser Situation mit hoher Wahrscheinlichkeit  völlig leer ausgehen, weil diejenigen, die die CDS begeben haben, selbst pleite sind.“

Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW), Michael Hüther, machte die Politik für die momentanen teilweise scharfen Marktreaktionen mitverantwortlich. „Wir erleben in diesen Tagen, wie eine fundamentale Neubewertung der Staatsverschuldung und weitgehende Zweifel an der politischen Handlungsfähigkeit vieler Staaten die Finanzmärkte in Übertreibungen führt", sagte Hüther Handelsblatt Online. "Die Laxheit der letzten Dekade führt nun zu einer völligen Schuldenintoleranz." Dabei hätten Finanzinnovationen, wie bestimmte Ordertechniken eine besondere Bedeutung erhalten. Politik kann dagegen nicht aber schnell wirksam agieren. "Spekulanten verlieren dann ihre Grundlage, wenn die Erwartungen gebrochen werden", sagte der IW-Chef. Deutschland und Frankreich seien Herren ihrer Staatsfinanzen. Die Konsolidierungszwänge seien erkannt und adressiert. "Insofern daran keine Zweifel begründet sind, sollten sich auch die Märkte beruhigen." Manchmal müsse man einfach abwarten, so Hüther.

"Alle werden abgestraft"

„Die Märkte sind zu - da ist eine allgemeine Verängstigung zu spüren“, beschreibt ein Investmentbanker die Situation. Die größten Schwierigkeiten haben kleine und mittelgroße Banken aus Italien und Spanien. Sie konnten ihre Refinanzierungsbedürfnisse für dieses Jahr in vielen Fällen anders als die Großbanken nicht schon im ersten Halbjahr decken. Wie stark das Misstrauen gegenüber vielen dieser Institute ist, zeigt sich an den Kosten für die Absicherung von deren Schulden. So ist es mittlerweile doppelt so teuer als zu Jahresbeginn, Schuldpapiere der italienischen Banco Popolare und Banco Popolare di Milano sowie der spanischen Bankinter zu versichern. Die Kreditversicherungen (CDS) für andere Geldhäuser sind zwar auch gestiegen, aber nicht so deutlich.

Vor allem US-Geldmarktfonds - eine wichtige Quelle für die kurzfristige Refinanzierung europäischer Banken - haben sich in den vergangenen beiden Monaten von Euro-Banken zurückgezogen. Nach Berechnungen von JP Morgan haben sie ihr Engagement um mehr als ein Fünftel reduziert. „Einige Häuser haben Schwierigkeiten, die fehlenden Mittel anderswo aufzutreiben“, sagt ein europäischer Spitzenbanker. Denn potenzielle Investoren mit einer starken Präsenz in Asien wie Standard Chartered ziehen es Finanzkreisen zufolge vor, ihre Gelder dort anzulegen.

Vielen Häusern bleibt nur die Europäische Zentralbank (EZB), die den Banken regelmäßig Liquidität bereitstellt. So standen die Institute in dieser Woche Schlange, um sich in einem sechsmonatigen Refinanzierungsgeschäft mit der Notenbank rund 50 Milliarden Euro zu sichern. „Diese Maßnahmen der EZB sollten vorbeugend wirken“, urteilen die Analysten von Goldman Sachs. Denn die Notenbank teile mittlerweile immer genau soviel zu wie nachgefragt werde. „Der Markt ist gestresst, aber der Stress ist geringer als zu Lehman-Zeiten, da die Notenbanken aktiver sind“, sagt Commerzbank-Zinsstratege Christoph Rieger.

Doch die Lehman-Krise hat gezeigt, wie schwierig es ist, eine Abwärtsspirale an den Märkten aufzuhalten. „Damals gab es zumindest noch eine Flucht in die Qualität, sprich in gute Banken“, sagt ein Vorstand einer europäischen Großbank. „Heute wird alles und jeder abgestraft."

EU-weites Leerverkaufsverbot unwahrscheinlich

Der steile Abwärtstrend an den Aktienbörsen hat auch die neue europäische Finanzmarktaufsicht ESMA auf den Plan gerufen. „Die Regulierer beobachten die Volatilität und die ordentliche Funktionsweise der Märkteverstärkt“, sagte ein Sprecher der ESMA. „Wir sind in engem Kontakt zu den nationalen Regulierern und verfolgen die Entwicklungen eng.“ Er wollte sich nicht dazu äußern, ob das in Teilen Europas geltende Leerverkaufs-Verbot ausgeweitet wird. Die ESMA selbst könnte kein solches Verbot verhängen, wohl aber die Beschlüsse der Behörden in einzelnen Staaten koordinieren.Ein pauschales Leerverkaufsverbot für Aktien in der EU ist aber wohl sehr unwahrscheinlich, wie ein mit der Situation vertrauter Marktaufseher der Nachrichtenagentur Reuters sagte. An der Athener Börse sind nach massiven Kursverlusten Leerverkäufe für zwei Monate verboten. Das hatte Spekulationen genährt, diese Regelung könne EU-weit eingeführt werden.Leerverkäufe können Kursausschläge einer Aktie drastisch beschleunigen. Investoren wie Hedge-Fonds wetten dabei auf fallende Kurse. Sie leihen sich etwa Aktien, verkaufen diese und versuchen, sich anschließend billiger wieder damit einzudecken. Ungedeckte Leerverkäufe von Aktien und von Staatsanleihen von Euro-Ländern sind seit vergangenem Sommer in Deutschland per Gesetz ganz verboten. Bei derartigen Geschäften haben Investoren die verkauften Papiere sich noch nicht einmal geliehen, was die Risiken noch erhöht.Der Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber äußerte indes Verständnis für die Ängste von Investoren, dass die Euro-Schuldenkrise auch Länder wie Frankreich erfassen und in den Abwärtsstrudel reißen könnte. „Die Märkte haben allen Grund nicht nur Italiens Schuldnerqualität, sondern auch die Bonität Frankreichs zu problematisieren“, sagte der Professor an der Technischen Universität Berlin Handelsblatt Online. Zu lange habe Frankreich zusammen mit Ländern als geborener AAA-Schuldner gegolten.

"Frankreich ist der nächste Wackelkandidat"

„Doch neben den chronischen Handelsbilanzdefiziten müsste die schwächelnde Wettbewerbsfähigkeit des Landes sowie die lange Zeit vernachlässigte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte die Rating-Agenturen auf die Spur bringen: Frankreich ist der nächste Wackelkandidat“, betonte Kerber.

Nur ganz zu Anfang seiner Amtszeit habe der französische Präsident Nicolas Sarkozy versucht, der Ausgabeninflation der Gebietskörperschaften Herr zu werden. Doch dann habe er die Konsolidierungspolitik  wieder ad acta gelegt und sogar den damaligen Finanzminister Peer Steinbrück im EU-Rat der Finanzminister (Ecofin) belehrt, dass der Stabilitätspakt für Frankreich nur dann gelte, wenn  der französische Staatschef dies zulasse. „Sein jetziger Kurswechsel ist lediglich verbaler Art“, sagte Kerber. „Sarkozy versucht, mit deklaratorischer Politik die Märkte zu beruhigen. Doch die wollen Zahlen und Fakten sehen.“ Mit realen Einsparungen müsse sich

Sarkozy schon aus Rücksicht auf seine Klientel Zeit lassen. „Er würde den gesamten militärisch-industriellen Sektor des Landes – also seine Spender –gegen sich aufbringen, wenn er die kostspieligen Rüstungsprogramme für strategische  Atom U-Boote oder gar das Baracuda-Programm für Angriffs-U-Boote schon jetzt stoppen oder gar kürzen würde“, gab der Finanzexperte zu bedenken.

Die Stunde der Wahrheit für Frankreich kommt nach Ansicht Kerbers spätestens nach seiner Wiederwahl im nächsten Jahr. Dafür lägen die Sparlisten bereits fertig in der Schublade. Aber niemand  werde das Tabu brechen, einem Präsidenten vor den Wahlen Sparvorschläge zu machen und deren Umsetzung anzumahnen. „Für die Märkte bleibt  Frankreich also eine wichtige Baustelle."

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