Negative Einkommensteuer Starker Anreiz durch Mindesteinkommen

Die neue magische Formel, mit der die SPD sich und ihre Anhänger verzaubern will, heißt „negative Einkommensteuer“. Das ist nichts anderes als ein spezieller Kombilohn - und wird bereits in Großbritannien und den USA eingesetzt. Experten äußern sich wohlwollend.

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Der Bürger ist verwirrt. Noch schwirrt ihm der Kopf von all den Kombi-, Investiv- und Mindestlöhnen, die ihm täglich um die Ohren fliegen – und was ist das jetzt wieder? Die Idee der negativen Einkommensteuer wurde ausgerechnet von einem erzliberalen Vordenker populär gemacht, dem Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman. Er schlug in den Sechzigerjahren vor, jedem Bürger, der ohne Einkommen ist, ein Mindesteinkommen zu garantieren, das bei Arbeitsaufnahme nur langsam abgeschmolzen wird. Übersteigt das Arbeitseinkommen einen bestimmten Betrag, verwandelt sich diese negative Einkommensteuer, die der Bürger vom Staat erhält, in ganz normale Steuerzahlungen des Bürgers an den Staat. Die negative Einkommensteuer ist also letztlich nichts anderes als ein spezieller Kombilohn, dem deutschen Arbeitslosengeld II gar nicht so unähnlich. Friedman schwebte allerdings vor, dass von zusätzlich verdientem Geld deutlich weniger auf den Transfer angerechnet würde als beim Arbeitslosengeld II, um einen starken Arbeitsanreiz zu schaffen. Außerdem sollte die negative Einkommensteuer à la Friedman im Unterschied zum deutschen System sämtliche anderen Sozialleistungen ersetzen – und ganz nebenbei Bürokratie einsparen, weil sie komplett über die Finanzämter abgewickelt würde. Eine solche Steuergutschrift, die von den Finanzbehörden ausgezahlt wird, gibt es heute zum Beispiel in den USA und in Großbritannien. In Deutschland hat jetzt Sachverständigenratsmitglied Peter Bofinger die Idee aufgegriffen – und die SPD-Spitze dafür begeistert. Seine negative Einkommensteuer soll so aussehen, dass zum Beispiel ein lediger Arbeitnehmer, der 750 Euro brutto im Monat verdient, vom Finanzamt einen Zuschuss in Höhe des Sozialversicherungsbeitrags erhält – sein Nettoeinkommen also dem Bruttoeinkommen entspricht. Der Zuschuss soll dann bis zu einem Einkommen von 1300 Euro langsam auf null abgeschmolzen werden. Außerdem schlägt Bofinger vor, die Minijobs abzuschaffen und die Hinzuverdienstmöglichkeiten beim Arbeitslosengeld II so zu modifizieren, dass eine Vollzeitbeschäftigung attraktiver wird als eine Kombination aus Teilzeit oder Minijob und Stütze. Schließlich fordert Bofinger einen niedrigen, aber flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 4,50 Euro. Würde Bofingers Vorschlag so realisiert, wäre es eine kleine Revolution. Einige Punkte stoßen in der Fachwelt auf Anerkennung – die Reform des Hinzuverdienstes beim Arbeitslosengeld II, die Flurbereinigung bei den Minijobs und die Idee der negativen Einkommensteuer erfreut sich unter Ökonomen sowieso großer Beliebtheit. Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, sieht in Bofingers Vorschlag jedoch nur einen ersten Schritt. Damit die Reform wirke, müsse man „schon weit über das hinausgehen, was die SPD jetzt vorschlägt“. Das Bofinger-Modell hat tatsächlich aber auch seine Tücken. So halten es die meisten Fachleute für abwegig, einen Kombilohn wie die negative Einkommensteuer mit einem Mindestlohn zu verbinden. Denn Kombilöhne sollen ja gerade dafür sorgen, dass die Löhne ohne größere soziale Verwerfungen sinken können und der Niedriglohnsektor, der in Deutschland weitgehend brach liegt, erschlossen wird. Genau dies würde ein Mindestlohn aber verhindern. Hinzu kommt, dass es vermutlich nicht bei dem niedrigen Mindestlohn bleiben würde: Einmal eingeführt, würden sich die Sozialpolitiker in allen Parteien regelmäßig damit profilieren wollen, dass sie eine Anhebung des Mindestlohns fordern. Auch die Ausbezahlung der negativen Einkommensteuer durch die Finanzämter stößt auf Kritik. Die Finanzbeamten bekämen mit der Ausbezahlung von Sozialtransfers eine völlig neue Aufgabe, mit der sie keinerlei Erfahrung haben. Und die Betroffenen, die ihr Geld mal vom Finanzamt, mal vom Jobcenter bekämen, würden hin und her geschickt. „Da würde ein neuer Verschiebebahnhof geschaffen, nachdem durch die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe gerade erst einer abgeschafft wurde“, kritisiert Alexander Spermann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Auch hinsichtlich der Kosten des Modells, von Bofinger selbst auf vier Milliarden Euro taxiert, ist Spermann skeptisch. „Das dürfte deutlich teurer werden.“

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