Medienrecht Twittern im Gerichtssaal ist juristische Grauzone

Am Landegericht Koblenz untersagte ein Richter einem Redakteur das Live-Tickern. Laut Gesetz sind allerdings nur Ton- und Filmaufnahmen während Verhandlungen verboten. Der Vorfall wirft Grundsatzfragen auf.

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Beim Auftakt des Mordprozess Quelle: REUTERS

Ein Mordprozess gegen Hells Angels-Mitglied Karl-Heinz B. bewegt die Koblenzer: Die örtliche Rhein-Zeitung möchte ihre Leser deshalb quasi in den Verhandlungssaal des Koblenzer Landgerichts holen. Redakteur Lars Wienand berichtet am 14. September über den Prozessauftakt für die Homepage der Zeitung – und zwar live. Per Newsticker verfolgen die Leser die Verhandlung direkt im Internet. Doch schon kurz nach Prozessbeginn muss Wienand mit dem Tickern aufhören. 

Während der Oberstaatsanwalt die Anklageschrift verliest, betritt ein Gerichtsdiener den Saal und reicht dem Vorsitzenden Richter, Ralf Bock, einen Zettel. Daraufhin unterbricht er den Oberstaatsanwalt: „Mir wurde gerade mitgeteilt, dass jemand aus diesem Gerichtssaal live über einen Ticker ins Internet berichtet. Wer ist das?“ Lars Wienand gibt sich zu erkennen – und muss mit dem Tickern aufhören.

Gegen Live-Tickern aus dem Gerichtssaal gibt es jedoch kein Gesetz: Das Gerichtsverfassungsgesetz verbietet lediglich Ton- und Filmaufnahmen, egal ob live oder für das Archiv. Zu Live-Textberichterstattung per Twitter oder Newsticker sagt es nichts. Trotzdem ist der Richter im Recht, erklärt Justiz-Journalist Peter Doebel: „Der Vorsitzende hat die sitzungspolizeiliche Befugnis für Ordnung im Gerichtssaal zu sorgen und Störungen zu verhindern“, sagt Doebel. „Tickern gehört ja nicht zum normalen Zuhören. Es gab sogar schon mal Richter, die den Journalisten untersagten, sich Notizen zu machen.“

Tweets sollen Zeugen vor Aussage nicht beeinflussen

Die Idee dahinter ist, dass die Wahrheitsfindung durch Störungen nicht beeinflusst werden soll. Der gleiche Gedanke steckt auch hinter dem gesetzlichen Verbot von Live-Ton- und Filmberichterstattung „Die Aussagen der Zeugen sollen durch den Verhandlungsverlauf nicht beeinflusst werden. Deshalb müssen Zeugen auch nach Verhandlungsbeginn bis zu ihrer Aussage den Saal verlassen“, erklärt Doebel.

Live-Textberichterstattung könnte die Zeugen genauso beeinflussen, wie jene in Ton und Bild. „Grundsätzlich ist mir die Problematik klar gewesen, aber die Gefahr bestand überhaupt nicht“, sagt Wienand. Am Prozessauftakt sollten nämlich gar keine Zeugen Aussagen. Um Störung durch Tippen zu vermeiden, hat er extra auf einem iPad geschrieben. „Unsere Redaktion hat nicht gesehen, dass ein Schaden dadurch entsteht.“

Dass Twitter und redaktionelle Nachrichtenticker nicht im Gesetz auftauchen, liegt daran, dass sie vergleichsweise neu sind. Dafür erfahren sie jedoch großen Zuspruch:. Internetnutzer können dadurch überall auf dem aktuellen Stand sein. So tickert die Rhein-Zeitung etwa seit 2002 von Großereignissen, wie WM-Spielen, zu Wahlen oder lokal von spannenden Ratssitzungen – und das laut Wienand teils mit „enormen Zugriffszahlen“. Doch Gesetzgeber und Gerichte scheinen mit der Entwicklung des Online-Journalismus wenig anfangen zu können.

Gerichten ist Twittern kaum ein Begriff

So twitterten etwa von einem Strafverfahren am Landgericht Rostock die Nutzer „sebaso“, „mspro“ und „343max“ live aus der Verhandlung – anscheinend ohne, dass das Gericht das wusste. Auf Anfrage von wiwo.de zeigte sich die dortige Richterin und Pressesprecherin Hansje Eidem überrascht: „Ich weiß nichts davon, dass das bei uns passiert ist.“ Auch eine Mitarbeiterin der Pressestelle des Bundesgerichtshofs, dessen Verhandlungen oft Medienrummel auf sich ziehen, sagt: „Bei uns wurde das noch nicht thematisiert.“

Unbekannt sollte das Thema jedoch nicht sein: Zu Twittern aus dem Gerichtssaal veröffentlichte vergangenes Jahr etwa Rechtsanwalt Henning Krieg einen mehrseitigen Artikel in der Fachzeitschrift „Kommunikation und Recht“. In seinem Justiz-Blog kriegs-recht.de stellt er außerdem regelmäßig Beiträge zum rechtlichen Rahmen von Twitter online. Dort stellt er die Frage: „Wenn Radio- und Fernsehjournalisten bislang nicht live aus Gerichtsverfahren berichten dürfen, ihren Print- (besser: Text-) Kollegen diese Möglichkeit nun aber offensteht - könnte das dazu führen, dass das Verbot von Ton- und Filmaufnahmen gekippt werden muss, vielleicht sogar schon unwirksam ist?“

Klar ist, dass Gerichte und Gesetzgeber über kurz oder lang die Frage klären müssen. Denn Gerichtsprozesse ziehen immer wieder die mediale Aufmerksamkeit auf sich, wie der Fall Kachelmann zeigt. Justiz-Journalist Peter Doebel glaubt jedoch nicht an einen Siegeszug für  Tickern und Twittern während Verhandlungen. „Wenn sich das Thema unter Richtern zunehmend rumspricht, werden sie Live-Blogger zu bestimmten Prozessen schon im Vorfeld ausschließen“, sagt Doebel. Doch selbst wenn Richter das schon jetzt verbieten können glaubt er, dass Twittern und Tickern bald per Gesetz untersagt werden, um Klarheit zu schaffen.

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