Gastkommentar Warum Deutschland EU-Zahlmeister bleiben muss

Wie lässt sich die Euro-Schuldenkrise dauerhaft in den Griff bekommen? Die Politik feilt an einer Lösung. Dabei liegt diese auf der Hand - und sie wird Deutschland treffen, meint DZ-Bank-Chef Wolfgang Kirsch.

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Wolfgang Kirsch. Quelle: handelsblatt.com

Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie wurde eine Hoffnung für viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit für alle.“ Wer die in Deutschland gegenwärtig geführte Diskussion über die Schuldenkrise in Europa an diesem Ausspruch Konrad Adenauers misst, spürt: Wir laufen Gefahr, uns mit der zunehmenden Euro-Skepsis von einem Pfeiler unserer politischen und wirtschaftlichen Ordnung zu verabschieden, der uns Deutschen über Jahrzehnte hinweg aus innerer Überzeugung wie auch aus guten wirtschaftlichen Gründen als unantastbar galt.

Wir sollten dem entschieden entgegenwirken, denn gerade Deutschland hätte von einer fortgesetzten Krise der Europäischen Union, die ihren Ursprung, aber nicht ihre Grenzen in der aktuellen Staatsschuldenkrise hat, den wohl größten Schaden. Anders gewendet: Das gemeinsame Europa und seine Gemeinschaftswährung haben Deutschland wie keinem anderen Land in den zurückliegenden Jahrzehnten Nutzen gestiftet – und zwar weit über die ökonomische Dimension hinaus.

Was ist festzuhalten? Das Euro-Währungsgebiet ist unmittelbarer Ausdruck der europäischen Identität und ein entscheidender Treiber der Einheit Europas. Wir haben damit nicht nur dem währungspolitischen Flickenteppich in Europa ein Ende gemacht. Der Euro hat Europa ein deutlich größeres Gewicht in der globalisierten Welt gegeben und sichert für Europa die internationale Wettbewerbsfähigkeit als Standort – gerade mit Blick auf die aufstrebenden Märkte in Asien und Lateinamerika. Schon heute liegt der Anteil der entwickelten „alten“ Volkswirtschaften am weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch bei knapp 50 Prozent, Europa kommt auf gerade einmal noch 20 Prozent. Für Deutschland gilt: Mehr als 40 Prozent unserer Exporte gehen in den Euro-Raum. Für deutsche Unternehmen heißt das: kein Wechselkursrisiko, vereinfachter Zahlungsverkehr, vergleichbare Preise. Der gemeinsame Binnenmarkt sichert in Deutschland rund fünf Millionen Arbeitsplätze.

"Kluge Überzeugungsarbeit nötig"

Für Deutschland gilt aber auch: Unsere ursprüngliche Vorstellung von der Währungsunion – eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern volle finanzpolitische Eigenverantwortung der Mitglieder – war von Anfang an ein Idealbild, das in der Gefahr stand, mit der Realität konfrontiert zu werden. Das ist jetzt passiert.

Was ist zu tun? Wir sollten konsequent an einem Regelwerk für einen dauerhaften Transfer-Mechanismus zwischen den Ländern der Euro-Zone arbeiten – analog zum deutschen Länderfinanzausgleich. Ein solchermaßen dauerhaft angelegtes Regelwerk wäre ein essenzieller Beitrag zur Stabilisierung der Märkte. Es ist der fehlende Baustein in der Verfassung des Hauses Europa.

Ein europäischer Finanzausgleich sollte zwei wesentliche Elemente beinhalten. Erstens: Zwischenstaatliche Transferleistungen werden in den jeweiligen Landesverfassungen mit der Einführung einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild verbunden. Zweitens: Wir führen Euro-Bonds ein, wie sie der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, vorgeschlagen hat. Danach kann sich jedes Land bis zu einer Verschuldung von 60 Prozent seines BIP mit einer Garantie des restlichen Euro-Raums refinanzieren. Zusätzliche Schulden müssen ohne diese Garantie finanziert werden, Regelverstöße konsequent mit Sanktionen belegt werden.

Dieser europäische Finanzausgleich beschreibt den Weg für den Euro-Raum nach der Lösung der Probleme in Griechenland und Portugal. Die unmittelbare Schuldenkrise bekommen wir auch nur mit zwei Schritten in den Griff: Wir müssen diesen Ländern helfen, ihre Schulden zu reduzieren und die Fehler der Vergangenheit zu bereinigen. Das ist nicht nur eine Bringschuld der Finanzbranche, sondern eine Aufgabe der Gesellschaft in Europa insgesamt. Wenn wir alle den Nutzen aus der Euro-Zone tragen, tragen wir auch gemeinsam die Lasten. Zweitens müssen wir diesen Ländern Anreize und Perspektiven bieten, damit die Bürger in Griechenland und Portugal die harten Sanierungsmaßnahmen mittragen. Beide Länder brauchen also in den nächsten Jahren Hilfe zur Selbsthilfe. Das gibt es nicht zum Nulltarif.

Zur Stabilisierung und dauerhaften Sicherung der Euro-Zone bedarf es nun kluger Überzeugungsarbeit und beherzter Schritte. Das hat viel mit Führung zu tun. Deutschland hat diese Rolle in Europa gemeinsam mit Frankreich über Jahrzehnte hinweg wahrgenommen – zum Nutzen aller Mitglieder. Wir sollten uns dieser Aufgabe auch jetzt stellen.

Der Autor Wolfgang Kirsch ist Chef der DZ Bank. Sie erreichen ihn unter: gastautor@handelsblatt.com

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