Liberalismus Was Freiheit heute braucht

Die traditionellen Begriffe des Liberalismus haben sich verbraucht: Eigentum muss heute global gedacht, Freiheit als Verantwortung wahrgenommen werden – und Marktwirtschaft das Beste aus den Menschen herausholen.

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Eine Menschenmenge steht am Quelle: AP

Seit mehr als 80 Jahren, seit der Weltwirtschaftskrise 1929, liegt der ehemals so stolze Liberalismus nun schon auf der Intensivstation, mehrfach klinisch tot, wieder zurück ins Leben geholt und künstlich beatmet – ein Dauerpatient der Politik- und Wirtschaftstheorie, anscheinend ohne Aussicht auf Genesung. Seine Freunde haben ihm gleich nach dem Zweiten Weltkrieg ein ordnungspolitisches Rückgrat verpasst ("Neoliberalismus") und ihm bis weit in die 1970er-Jahre mit semantischen Krücken unter die Arme gegriffen ("wirtschaftsliberal", "sozialliberal"), sich aber dann von ihm abgewendet, um seine Pflege wirtschaftsmedizinischen Effizienztheoretikern zu überlassen.

Diese "Neo-Neo-Liberalen" haben den chronisch Siechen in den 1980er-Jahren durch allerlei ideologische Schrumpfkuren ("Thatcherism", "Reagonomics") und Aderlässe ("Liberalisierung der Finanzmärkte") massiv geschwächt. Am Ende war der Liberalismus als anspruchsvolle Denkform so ausgehungert, dass er außer "Privatisierung", und "Steuersenkung" kein Wort mehr über die Lippen brachte.

Heute, angesichts eines neuen Dienstleistungsproletariats in den Industrieländern und kurz vor dem Kollaps des internationalen Staatsschuldenkapitalismus, ist sein Zustand so hoffnungslos, dass er sich nicht einmal mehr der Esoteriker von der FDP erwehren kann, die an sein Krankenbett eilen, um ihn mit ein bisschen Wärme ("mitfühlender Liberalismus") endgültig tot zu pflegen.

Gefährliche Selbstzerstörungskräfte des Liberalismus

Dass der Liberalismus zu wichtig ist, um ihn den Liberalen zu überlassen, ist keine neue Erkenntnis. Alfred Müller-Armack (1901–1978), der Mitbegründer der sozialen Marktwirtschaft, fürchtete die Selbstzerstörungskräfte einer liberalen Wirtschaftsordnung beinah mehr als ihre erklärten Feinde – und erinnerte bereits 1946 daran, dass "die marktwirtschaftliche Organisationsform ihre Überlegenheit nur dann zu entfalten vermag, wenn ihr aus geistigen und politischen Kräften eine feste äußere Ordnung gegeben wird".

Schon damals hielt Müller-Armack den in "religiösen Bezirken verankerten Harmonieglauben" der Adam-Smith-Jünger für dringend säkularisationsbedürftig. Es sei eine unkluge Übertreibung des Liberalismus gewesen, die Wettbewerbsform für eine Naturform gehalten und in der Tauschgesellschaft einen "Vollautomaten" gesehen zu haben, der keiner sinnvollen menschlichen Steuerung bedürfe.

Er selbst habe nicht nur das Zutrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft verloren, sondern vor allem das Zutrauen in eine Marktwirtschaft, die vom Liberalismus "zum Idol seiner Weltanschauung" erhoben werde. Die Marktwirtschaft, so Müller-Armack, sei kein Selbstzweck, sondern ein "zweckmäßiges Organisationsmittel", das "im stärksten Maße einer geistigen Formung" bedürfe. Ohne "von außen kommende Prägung" könne sie auf die Dauer nicht existieren, weil es ihr "sichtlich an stabilisierenden Kräften" fehle. Kurzum: Die Liberalen wollen nicht begreifen, dass die Marktwirtschaft von Voraussetzungen lebt, die sie selbst nicht garantieren kann.

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