Wirtschafts-Seminare Was Manager von Damien Hirst lernen können

Ein in Formaldehyd eingelegter Tigerhai, ein mit Tausenden Diamanten besetzter Totenschädel, ein langsam verwesender Kuhkopf: Radikale Kunstwerke haben den Briten Damien Hirst reich und berühmt gemacht. Jetzt nutzen ihn Dozenten in Business Schools als Fallbeispiel in ihren Seminaren.

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Der Diamantenschädel wechselte 2007 für 75 Millionen Euro den Besitzer: Damien Hirst beeindruckt Manager mit umstürzlerischem Geschäftsgebahren. Quelle: dpa Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. Ddie Werke des britischen Künstlers Damian Hirst sind provokant bis zur Schmerzgrenze. Und sie sind teuer, extrem teuer: Der Diamantenschädel zum Beispiel wechselte im Sommer 2007 für 75 Millionen Euro den Besitzer. Mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde US-Dollar gilt Hirst als einer der reichsten zeitgenössischen Künstler der Welt.

Ein Mann, der polarisiert. Nicht nur unter Kunstkennern, sondern auch unter angehenden Top-Managern. Eine Reihe von Business Schools ziehen den 44-jährigen als Fallbeispiel in seinen Management-Kursen heran. "Da ist dann gleich Hitze im Raum", erzählt Martin Kupp, Programmdirektor von der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin. Manche Seminarteilnehmer sind überzeugt: Hirst habe nur Mist produziert und einfach nur Glück gehabt. Andere halten ihn für genial und sind von seiner Kreativität begeistert. "Wir sind sofort mitten in der Diskussion", freut sich Kupp.

Ein Künstler als Meister strategischer Innovationen

Zusammen mit seinen Kollegen Jamie Anderson, Professor an der TiasNimbas Business School und Jörg Reckheinrich, Unternehmensberater und Gastdozent an der London Business School, hat Kupp eine Fallstudie über den Künstler geschrieben und Handlungsempfehlungen für Manager abgeleitet.

Ihnen geht es nur wenig um die Kunst an sich, sondern vor allem um die Selbstvermarktung des Künstlers. Um das umstürzlerische Geschäftsgebahren, mit dem Hirst in den vergangenen 20 Jahren seinen Weltruhm aufgebaut hat. Denn Hirst ist in den Augen der Wissenschaftler ein Meister der strategischen Innovationen. "Strategische Innovationen sprengen etablierte Industrien", erklärt Anderson, "und das ist genau das, was Hirst gemacht hat."

So hat der 44-jährige zum Beispiel Händler und Galeristen umgangen und ist selbst als Kurator oder Anbieter bei Auktionshäusern wie Sotheby´s aktiv geworden - er hat sich, um in der Sprache der Betriebswirte zu bleiben, neue Vertriebskanäle erschlossen. Und neue Kundengruppen: Hirst vertraute nicht auf traditionelle Kunstliebhaber, sondern suchte sich gezielt russische Oligarchen, arabische Ölscheichs und angelsächsische Hedge-Fonds-Manager als Abnehmer.

Am Beispiel von Hirst wollen Anderson, Kupp und Reckheinrich ihre Seminar-Teilnehmer vor allem für einen typischen und fatalen Fehler von Managern sensibilisieren: Sich ausschließlich auf die Analyse etablierter Märkte und Geschäftsmodelle zu konzentrieren und neue, radikal andere Wege zu vergessen. "Marktchancen werden vertan, weil man sich bislang zu sehr auf die Konkurrenzbeobachtung fokussiert hat", sagt Kupp. Psychologen haben dafür einen Fachbegriff: Sie sprechen von der "Unaufmerksamkeitsblindheit" ("inattentional blindness").

Der Begriff geht auf den Psychologen Daniel Simons zurück, der ein Experiment einführte, das inzwischen weltberühmt ist und deutlich macht, wie leicht Menschen in ihrer Wahrnehmung blinde Flecken entwickeln: Probanden sollen auf einem Bildschirm ein Basketballspiel beobachten und die Zahl der Pässe zählen. Dabei läuft ein als Gorilla verkleideter Erwachsener durch das Bild. Doch die Versuchsteilnehmer konzentrieren sich in aller Regel so sehr auf das Zählen der Pässe, dass sie den Affen gar nicht wahrnehmen.

Den gleichen Fehler, sind Management-Forscher überzeugt, machen auch viele Manager. Sie sind oft blind für neue Ideen und sind fixiert darauf, ihr Unternehmen ausschließlich mit etablierten Wettbewerbern zu vergleichen.

"Es geht darum, zu lernen, wie man über den Tellerrand hinausblickt", sagt Holger Ernst, Innovationsforscher an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar. Er lehrt seit zehn Jahren strategische Innovationen für Manager und MBA-Absolventen und weiß um die Wirkung guter Fallbeispiele. Diese könnten im Idealfall den Horizont deutlich erweitern. Die Zeiten, in denen angehende Manager in Vorlesungen mit trockenen Theorien, endlosen Zahlenreihen und Daten aus einer anderen Zeit konfrontiert werden, sind zumindest an teuren Business Schools für Führungskräfte mit etwas Berufserfahrung vorbei.

Fallstudien wie die über Damien Hirst sind ein didaktisches Instrument, das sich in der Managerausbildung nicht mehr wegdenken lässt. Allerdings dürfen diese auch kein Selbstzweck sein und müssen über das rein Anekdotische hinausgehen. "Das muss ein Professor aber wirklich vermitteln können", mahnt Ernst, "sonst hat er es schwer, den Bezug zum eigentlichen Thema, der strategischen Innovation, zu finden."

Bei Hirst ist das vergleichsweise einfach. Der Brite habe es nicht nur geschafft, neue Vertriebskanäle und Kundengruppen zu erschließen, er sei auch ein lebender Beweis für eine provokante These von Marketing-Experten - dass nämlich ein Kunde eine Marke nicht zwangsläufig mögen muss, um sie zu kaufen. Ein Beispiel dafür sei, dass Hirsts langjähriger Förderer Charles Saatchi auch dann noch Arbeiten behielt und kaufte, als die beiden persönlich schon längst zerstritten waren.

Als innovativ empfinden die Wissenschaftler darüber hinaus, wie Hirst mit "viel totem Fleisch" lebendige Kunstwerke schaffte. Zudem verstehe er es meisterhaft, seine Wertschöpfungskette zu strukturieren und viele Tätigkeiten auszulagern. "Kein anderer Künstler hat so viele Kunstschüler für sich arbeiten lassen, ohne selbst noch mal Hand anzulegen", erklärt Kupp. Der Marke Hirst hat es nicht geschadet: "Jeder Hai in einem Glastank ist ein Hirst. Punkt."

Fallstudien eignen sich besonders gut für Managerseminare

Natürlich könne Hirsts Erfolg nicht bis ins letzte Detail als Vorlage für Managerstrategien gelten, betonen die Wissenschaftler. Aber das sei auch gar nicht das Ziel. Es gehe vor allem darum, bei den Teilnehmern von Management- oder MBA-Kursen Aufmerksamkeit und Diskussionsfreude zu wecken.

Fallstudien eignen sich daher zur Illustration von Managementlehren besonders gut. Das European Case Clearing House verwaltet mit insgesamt 45 000 Fallstudien die weltweit größte Sammlung. Bei der Non-Profit-Organisation können die Business Schools Lizenzen dieser Fallstudien kaufen - abgerechnet wird nach der Zahl der Seminarteilnehmer.

Natürlich lehren Strategie- oder Innovationskurse auch an Beispielen aus der Firmenwelt, wie Ikea, Dell oder Apple. Doch Fälle mit kontroversen Protagonisten bringen das neue oder andere Denken oft plakativer in die Diskussion und plastischer in die Köpfe der Lernwilligen. So nutzen einige Business Schools auch gerne das Fallbeispiel Madonna. Auch ihr Erfolg eignet sich zum Studium von Strategien.

Seit 25 Jahren bestimmt sie die Welt der Musik. "Das hat nichts mehr mit Glück zu tun, sondern mit Strategie", erklärt Kupp. An Madonna lasse sich strategisches Management im Sinne des berühmten Wirtschaftswissenschaftlers Henry Mintzberg illustrieren. Mintzbergs Strategiebegriff geht über die rationale Planung hinaus und zählt auch das Ergreifen von Chancen hinzu. Madonna habe diese Strategien über die Zeit immer wieder angewendet. An ihr lasse sich gut zeigen, dass sie sich immer wieder neu erfunden hat in einer sich ständig bewegenden Musikwelt.

Die Künstlerin sucht sich für jedes ihrer Alben neue Produzenten. Ihr Erfolg ist nicht an eine Plattenfirma geknüpft und auch nicht nur an die Musik. Mit Werbeverträgen und Filmen steht sie seit ihrem Durchbruch mit "Like a Virgin" immer im Fokus der Medien , selbst wenn mal ein Film von ihr floppt.

Sie testet ihre Lieder vor der Veröffentlichung in Clubs und verbreitete 2007 einen Hit als erstes über das Internet. Sie ist seit Jahren die erfolgreichste Sängerin weltweit.

Und Damien Hirst? Er ist noch immer der vermögendste lebende Künstler, heißt es. Derzeit aber macht er sich auffallend rar. Ist es Erschöpfung, mangelnder Erfolg oder Strategie?

Stichwort: Fallbeispiele

Realität

In den Business Schools spielen Fallbeispiele eine immer größere Rolle. Denn dort lernen nicht nur gestandene Manager, die ein wirtschaftswisenschaftliches Studium bereits hinter sich haben, sondern auch Ingenieure, und Chemiker, Elektrotechniker und Juristen, an Fallbeispielen, welche Strategien unter welchen Bedingungen erfolgreich waren und welche nicht.

Horizont

Fallbeispiele sollen den Kursteilnehmern ermöglichen, auf einem höheren Abstraktionsniveau wichtige strategische Fragen zu erörtern. Es geht dabei ganz bewusst nicht nur um eine bestimmte Branche, sondern darum Erfolgsfaktoren zu identifizieren, die über eine Industrie hinaus gehen.

Erfolg

Bereits zu Beginn der 1980er-Jahre definierte der renommierte Management-Professor Derek Abell die entscheidenden Faktoren für erfolgreiche Geschäfte: 1. Wer sind meine Kunden? 2. Was will ich verkaufen? Und 3. Wie steuere ich meine Prozesse? Fallbeispiele wie das über Damien Hirst (Foto) sollen dabei helfen, dass Manager sich diese Fragen viel radikaler stellen. Den größten kommerziellen Erfolg erzielte Hirst am 15./16. September 2008 - als die Investmentbank Lehman pleite ging. Damals hatte er bei Sotheby´s seine Kunstwerke zum Kauf angeboten und insgesamt rund 110 Mill. Pfund umgesetzt. Zurzeit ist es um Hirst allerdings ruhiger geworden.

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