Streitgespräch Wie geht es weiter mit Hartz IV?

Brauchen Hartz-IV-Empfänger mehr Geld oder mehr Druck? Ein Streitgespräch zwischen dem CDU-Wirtschaftspolitiker Josef Schlarmann und dem Sozial- und Armutsexperten Ulrich Schneider.

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Josef Schlarmann, Ulrich Schneider Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Schlarmann, Herr Schneider, gibt es in Deutschland den viel beschworenen „anstrengungslosen Wohlstand“?

Josef Schlarmann: Von Wohlstand zu reden wäre wohl übertrieben, aber es gibt anstrengungslose Einkommen. Ich denke da zum Beispiel an jene Hartz-IV-Empfänger, die Teil des Medien-Spektakels geworden sind, weil sie von sich behaupten, gar nicht arbeiten zu wollen – und das schon seit Jahren. An dieser Minderheit kann man in der Sozialstaatsdebatte nicht vorbeigehen.

Ulrich Schneider: Mir fallen da ganz andere Fälle anstrengungslosen Wohlstandes ein: Menschen, die so viel Kapital angehäuft haben, dass sie von den Zinsen leben können. Oder Menschen, die von großen Aktienpaketen profitieren. Ich bin sehr erstaunt, dass Sie sofort die Empfänger von Hartz IV angehen.

Schlarmann: Ihre Argumentation hinkt. Sie würden den 20 Millionen Rentnern doch auch nicht vorwerfen, sie genössen einen anstrengungslosen Wohlstand. Diese Menschen leben im Ruhestand von dem, was sie im Laufe ihres Lebens angespart haben. Das ist nicht anstrengungslos – und das gilt auch für die Bezieher von Kapitaleinkünften.

Schneider: Aber längst nicht für alle. Wir vererben im Jahr etwa 150 Milliarden Euro. Hat das etwas mit Leistung zu tun? Es ist Quatsch, zu behaupten, bei Erben und Reichen handele es sich um erarbeiteten Wohlstand – und nur bei Hartz-IV-Empfängern um anstrengungslosen.

Schlarmann: Da fallen Sie nun aber in eine klassenkämpferische Argumentation, Herr Schneider.

Schneider: Ich hab’ ja nicht damit angefangen, Herr Schlarmann.

Egal, was im Leben passiert – am Ende garantiert der Sozialstaat jedem Erwachsenen 359 Euro im Monat und eine warme Wohnung. Ist diese Sicherheit Wohlstand?

Schneider: Auf keinen Fall. Das war ja das Perfide dieser Aussage von Herrn Westerwelle, dass er es überhaupt wagte, von Wohlstand zu sprechen. Versuchen Sie mal, von 359 Euro zu leben oder Ihre Kinder mit 215 Euro über den Monat zu bringen. Da geht es um Teilhabe auf bescheidenstem Niveau. Wenn eine Alleinerziehende ihre Kleider mit der Hand waschen muss, weil sie sich keine Waschmaschine leisten kann, dann ist das kein Wohlstand. Und es kann auch kein Wohlstand sein, wenn man seine Kinder vom Sportverein abmelden muss, kaum dass man in Hartz IV fällt.

Schlarmann: Natürlich lebt diese Gruppe der Einkommensbezieher nicht im Wohlstand. Aber es bleibt die Tatsache, dass sie ein Einkommen auf Kosten der anderen bezieht. Von 80 Millionen Einwohnern in Deutschland ist nur die eine Hälfte erwerbstätig und finanziert so die andere. Daher müssen wir nach jenen fragen, die arbeiten könnten, aber nicht wollen. Diese Gruppe mag nicht groß sein – aber sie bringt alle anderen Hartz-IV-Empfänger in Misskredit.

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