Nordrhein-Westfalen Wie Hannelore Kraft die Wirtschaft gegen sich aufbringt

Ob Kinder, Handwerker oder Beamte - SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat ein Ohr für viele im wichtigsten Industrieland. Nur die Konzerne beginnen aufzubegehren.

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Hannelore Kraft und Kinder Quelle: Picture-Alliance/DPA

Da, wo NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sich wohlfühlt, ist ganz viel Hannelore – und sehr wenig Ministerpräsidentin. Es herrscht Wohnzimmeratmosphäre in der Mülheimer Stadthalle, auf der Bühne ein dunkles Ledersofa, davor ein Glastisch mit Obstkorb, das Bild an der imitierten Sandsteinwand dahinter zeigt wenig, ist aber bunt. Kraft hat eingeladen, um von ihrem Tag an der Seite eines Familientherapeuten zu berichten.

„TatKraft“ nennt sie diese regelmäßigen Einsätze, erklärtes Ziel ist es, ein Bild von den Facetten des Alltags der Bürger zu gewinnen. Mal war sie in der Berufsschule, mal im Krankenhaus, im Handwerksbetrieb, auf der Polizeiwache. „Ich habe vor allem eines gespürt“, resümiert Kraft nach getaner Arbeit, „ganz viel Liebe.“

Gala auf dem Hügel

Doch so viel Zuneigung erfahren nicht alle im Land, die Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen wundern sich zunehmend über das Zeitmanagement der Ministerpräsidentin. Dass die es schafft, den ganzen Tag für einen Familientherapeuten freizuräumen, für die Probleme der Wirtschaft aber oft nicht mal ein paar Stunden hat. Als der Initiativkreis Ruhr (IR), Zusammenschluss der wichtigsten Unternehmen in der Herzkammer der deutschen Industrialisierung, sich nach Jahren der Lethargie jüngst mit der Neubesetzung des Vorstands frischen Wind verlieh, feierten die Unternehmen das mit einer Gala in der Krupp’schen Villa Hügel. Kraft schickte zwar einige ihrer Minister, sie selbst ging lieber zum Wahlkampf nach Baden-Württemberg. Und als sie wenig später zum Staatsbesuch nach Israel reiste, nahm sie Gewerkschafter mit, von Umsätzen anbahnenden Geschäftsleuten keine Spur.

Jahrzehntelang hat das Verhältnis zwischen Wirtschaftselite und Sozialdemokratie kaum anderswo so gut funktioniert wie in NRW – das war unter Ministerpräsidenten wie Rau oder Clement. Weniger aus Liebe als aus pragmatischem Wissen um die Bedeutung der Industrie für die Prosperität des Landes setzten sich Krafts Vorgänger für diese ein. Öffentlich tut das auch die aktuelle Regierung. „Wir wollen die Chancen industrieller Produktion nutzen“, verkündete Kraft kurz nach Amtsantritt. Die rhetorisch Umworbenen gewinnen jedoch den Eindruck, dass die Kluft zwischen Reden und Handeln kontinuierlich wächst.

Kraft geht dabei nicht offen auf Konfrontation, es ist eher eine Politik der kleinen Stiche. Selten handelt sie selbst, doch sie lässt vieles geschehen, was wehtut. Im Koalitionsvertrag vereinbart ist ein „Kies-Euro“, eine Abgabe für die Betreiber von Quarzwerken; die Erhöhung des „Wasserpfennigs“ für die industrielle Grundwasserentnahme um mehr als ein Viertel steht an. Außerdem erlaubte die Landesregierung der Stadt Köln eine Bettensteuer für die Betreiber von Hotels; eine Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts schreibt den Vorrang kommunaler Unternehmen gegenüber der Privatwirtschaft fest. „Es gilt das Motto ,Staat vor Privat‘“, benennt Stephan Wimmers, IHK-Geschäftsführer im Land, den Wirtschaftsverdrängungskurs noch vornehm.

Politik der Deindustrialisierung

Bei den ausstehenden Großprojekten im Land pikst die Landesregierung vor allem, indem sie stillhält. Den Streit um das E.On-Kraftwerk in Datteln überlässt sie den Juristen, eine von der Vorgängerregierung angestoßene Änderung des Planungsrechts in dieser Sache kippte Kraft direkt nach Amtsantritt. Den Bau einer 67-Kilometer-Pipeline zwischen zwei Bayer-Werken bremst das grün geführte Regierungspräsidium durch immer neue Prüfanordnungen aus, die Staatskanzlei schaut zu. Beim Kampf um Bundesmittel für den Ausbau der Bahntrasse vom Ruhrgebiet in die holländischen Häfen werfen Beobachter der Landesregierung vor, so lange untätig geblieben zu sein, bis die Mittel anderswo gelandet seien. Die größte Sorge jedoch bereitet der Wirtschaft das angestoßene Klimaschutzgesetz. Sollte sich Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) durchsetzen, würde Umweltverträglichkeit zur obersten Prämisse der Landesplanung.

Die Opposition nennt all das „eine Politik der Deindustrialisierung“, so Fraktionschef Armin Laschet. Aufseiten der Wirtschaft attestiert mancher der Regierung zumindest „Dialogbereitschaft“, so Kammerchef Wimmers. Doch gleichzeitig beginnt man sich zu organisieren. „Die Industrie muss ihre Akzeptanz selbst erzeugen“, sagt der neue IR-Vorsitzende Bodo Hombach. „Die Politik lebt doch derzeit vom Protest gegen die Industrie.“ Mit Koordinierungskreisen und Sprechern soll der Initiativkreis in den neuen Konflikten um Standorte auftrumpfen, aus dem honorigen Plauderclub ein echter Interessenverband werden. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft nimmt den Fehdehandschuh auf.

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