Spezial Hessen Wieder belebt

Politik+Weltwirtschaft I Spezial Hessen Wie Friedhelm Loh mit Rittal in der tiefstenProvinz eines der innovativsten und wachstumsstärksten Unternehmen des Landes schuf. 

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Friedhelm Loh quält sich: „Mit dem Thema Sonntagsarbeit tu ich mich schwer.“ Loh ist nicht Betriebsrat beim Schaltschrank-Produzenten Rittal in Rittershausen, sondern der Eigentümer. Ein Milliardär, ein Oldtimer-Sammler, angeblich einer der 100 reichsten Deutschen. Aber auch ein evangelikaler Christ. Als solcher nimmt er es genau mit Gottes Wort. 

Um die stürmische Nachfrage nach Schaltschränken befriedigen zu können, hat das Management 2005 ein neues Schichtsystem eingeführt. Weil aber der Satz „Am siebten Tage sollst du ruhen“ für Loh eine direkte Anweisung seines obersten Chefs ist, endet sonntags die Nachtschicht um sechs Uhr früh, die nächste Spätschicht beginnt abends um 22 Uhr. Mehr war mit Loh nicht zu machen. Auf keinen Fall soll bei Rittal sonntags durchgearbeitet werden, obwohl die Produktion ansonsten rund um die Uhr läuft. 

Der fromme Mann hat im mittelhessischen Dilltal ein Unternehmen von Weltruf aufgebaut. Den Grundstein dafür legte 1961 sein Vater, der bis dahin Bügelbretter herstellte, sich dann aber darauf verlegte, Schaltschränke fließbandmäßig zu produzieren. Die Auftraggeber mussten zuvor auf die für elektronisch gesteuerte Fertigungen unverzichtbaren Blechkästen warten wie auf maßgefertigte Schuhe. Loh hingegen setzte Maschinen ein, lieferte von einem Tag auf den anderen und unterbot mit seiner Massenfertigung die Preise. Ein Pionier, der aus einem spezialisierten Handwerk eine neue Industriebranche machte. Als Friedhelm Loh 1974 die Geschäfte übernahm, hatte Rittal 200 Mitarbeiter. Heute sind es 9000 und zusammen mit den 13 weiteren Unternehmen der Unternehmensgruppe 10 500. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht. Um 15 bis 18 Prozent wird der mittelständische Familienkonzern 2006 seinen Umsatz steigern. 

Nach 1,7 Milliarden Euro Umsatz 2005 ist die Zwei-Milliarden-Euro-Marke damit in Reichweite. Besonders dynamisch entwickeln sich dabei die Werke in China und Indien. Rittal-Geschäftsführer Norbert Müller erklärt, davon profitierten auch die Betriebe in Deutschland: „Je mehr wir von den in Asien produzierten 800 Hauptprodukten dort verkaufen, desto mehr ergänzende Produkte aus Deutschland werden geordert.“ 70 Prozent der Rittal-Erzeugnisse gehen ins Ausland, und ebenfalls 70 Prozent des Weltumsatzes werden in Deutschland produziert. 

Ohne Loh wäre die Region ein Sorgenkind des Landes Hessen. Eine Branche nach der anderen machte in den waldigen Tälern an der Dill in den vergangenen Jahrzehnten dicht. Oft war es Loh, der die leeren Fabrikhallen wieder belebte. Die erste Schaltschrankfabrik zog in eine ehemalige Weberei ein. Die Rittal-Zentrale in Herborn wuchs aus der alten Valvo-Fabrik, in der Philipps einmal Leuchtstoffröhren hergestellt hat. Das Hauptquartier der Friedhelm-Loh-Gruppe in Haiger nutzt die ehemalige Zentrale des 1995 in Konkurs gegangenen Möbelhauses Franz. In der Nähe hat der Ofenhersteller Haas & Sohn mit zeitweise 2300 Arbeitsplätzen längst aufgegeben. Viele Werke mit einst klangvollen Namen sind hier nur noch Industriegeschichte. Sie alle, urteilt Geschäftsführer Norbert Müller, „haben Zukunftsinvestitionen verpasst“. 

Die arbeitslosen Mitarbeiter suchten neue Jobs, und Loh brauchte diese Leute. 4500 sind heute in den hessischen Loh-Betrieben beschäftigt. Fast ein Drittel der gesamten Gewerbesteuereinnahmen des Lahn-Dill-Kreises mit seinen 260 000 Einwohnern kommt aus Lohs Unternehmen. Im Ranking der hessischen Städte mit der höchsten Steuereinnahmekraft rangiert Dietzhölztal-Ewersbach dank des Schaltschrank-Werks im Ortsteil Rittershausen mit 2326 Euro pro Einwohner auf Platz zwei – hinter Eschborn unweit von Frankfurt, wo es in den Bereichen High Tech und Dienstleistung mehr Arbeitsplätze als Einwohner gibt. Frankfurt liegt trotz seiner Banken nur auf Platz sechs. 

Loh hat jedoch, gibt der Unternehmer zu, „ein Problem mit dem Nachwuchs“. Das Image der Schaltschränke ist nicht gerade sexy. Wie viel Know-how in ihnen steckt, sieht man den grauen Blechkästen von derGröße eines Dielenschrankes nicht an. Also investiert er in die lokale Aus- und Fortbildung. 

Loh fördert die Ausbildung von Jugendlichen mit schlechten Vermittlungsperspektiven, gehört aber auch zu den Initiatoren eines dreijährigen dualen Studiengangs mit Bachelor-Abschluss. An der Fachhochschule Gießen-Friedberg werden dabei Betriebswirte mit den Schwerpunkten Mittelstandsmanagement und Logistikmanagement sowie Ingenieure mit den Schwerpunkten Maschinenbau und Elektrotechnik ausgebildet. Gleichzeitig sind sie in Unternehmen der Region angestellt und pendeln zwischen Betrieb und Uni. 

Drei Werke hat Loh seit 1998 aber außerhalb der Region „auf die grüne Wiese“ gesetzt – jenseits der Landesgrenzen, in Rheinland-Pfalz. Eine bewusste Standortentscheidung, erklärt Geschäftsführer Müller, weil dort die „Genehmigungsverfahren wirklich schnell gehen“ und „ein Beauftragter für Investoren die Kontakte mit allen Behörden synchronisiert“. Ein Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Wiesbaden. 

Technologische Modernität und ein fundamentales Verständnis des Christentums schließen sich für den Freikirchler Loh nicht aus. Das Alte Testament legt der bald 60-Jährige wörtlich aus, es ist für ihn „die geschichtliche Darstellung von Gottes Wirken auf der Erde“. Loh gehört zu den Wortführern der evangelikalen Bewegung in Deutschland, die nach US-Vorbild Darwins Evolutionstheorie aus dem Biologieunterricht verbannen will, und steht der Stiftung Christliche Medien in Witten vor, die Bücher wie „Was Darwin nicht wissen konnte“ vertreibt. 

Wirtschaftlicher Erfolg bedeutet für Loh wie für seine Glaubensbrüder und -schwestern erst einmal Verpflichtung zur Leistungsbereitschaft. Und zur Wohltätigkeit: Loh spendet den zehnten Teil des Unternehmensgewinns an soziale und öffentliche Einrichtungen in der Region, stets auch den Schulen. Von den Werten, die ihm wichtig sind, profitieren – wie bei der Sonntagsarbeit – auch die Mitarbeiter. Sie erhielten allerdings fromme Zeitschriften per Post, weil Loh ihre Adresse weitergab. Loh missioniert auch mit Bibelsprüchen an den Bürowänden. Bei Einstellungsgesprächen aber, versichert ein Manager, „spielt Religion keine Rolle“. 

harald.schumacher@wiwo.de 

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