Konjunktur Wirtschaftskrise erreicht Zentral- und Osteuropa

Die Wirtschaftskrise erreicht die aufstrebenden Volkswirtschaften Zentral- und Osteuropas. Exportstarken Ländern wie Tschechien wird ihre enge Verflechtung mit Westeuropa zum Verhängnis.

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Skoda Fahrzeuge: Die Autos Quelle: REUTERS

Tomas Kypta macht sich auf das Schlimmste gefasst. Der Polizeichef der böhmischen Industriestadt Mlada Boleslav will seine Beamten nachts häufiger auf Streife schicken und jene Viertel strenger überwachen, in denen die Wohnheime der Leiharbeiter aus Vietnam und der Ukraine stehen. Mlada Boleslav ist die Heimat des tschechischen Autoherstellers Skoda. Die Volkswagen-Tochter hat hier schon 1500 ihrer 4000 ausländischen Hilfsarbeiter entlassen. Sie sind, ohne Lohn in der Tasche, zur Untätigkeit verdammt und bereiten nun dem Polizeichef Kopfzerbrechen.

Der Nachfrageeinbruch im Westen trifft die exportstarken Industrien Zentral- und Osteuropas hart, besonders die Autobranche und den Maschinenbau. Die tschechische Wirtschaft beispielsweise sei „so sehr mit der deutschen verflochten, dass sie Probleme in Deutschland sofort zu spüren bekommt“, sagt Andreas Ortmann, Ökonom an der Prager Wirtschaftshochschule CERGE-EI. Ähnlich ergeht es Polen und der Slowakei, teilweise auch Rumänien, wo viele Unternehmen eng in den Wertschöpfungsketten der deutschen Industrie eingebunden sind. Noch sagen Experten der bisherigen Boomregion keine Rezession voraus, aber einen schmerzhaften Einbruch ihres Wirtschaftswachstums, steigende Arbeitslosenquoten, Pleiten, weniger Investitionen und lähmende Kreditknappheit.

Dem Zockerfieber waren in den östlichen EU-Ländern die wenigsten verfallen

Die europäische Entwicklungsbank EBRD fürchtet besonders um die Existenz kleiner und mittlerer Firmen und um die östlichen Bildungssysteme. Schon warnt der Brüsseler Wirtschafts-Thinktank Bruegel vor einem starken Kapitalabfluss aus der Region, deren Wachstum sich bisher vor allem aus ausländischen Investitionen speiste. Gefährlich seien besonders die Staatsgarantien für Bankeinlagen in den Euro-Ländern, weil sie Investitionen in den Westen zögen.

Einen Sonderfall stellt die Slowakei dar, die zum Jahreswechsel den Euro eingeführt hat. Zwar bietet die europäische Gemeinschaftswährung dem Land Schutz vor gefährlichen Währungsspekulationen. Aber Ökonomen befürchten, die neue Währung werde in der Slowakei die Inflation und das Lohnwachstum anheizen, was die Standortqualität für ausländische Investoren mindern würde. Jetzt beginnen die Unternehmen in Zentral- und Osteuropa damit, ihre Belegschaften abzubauen: Entlassungen angekündigt haben in Tschechien die Stahlhütte von Arcelor Mittal, der Autozulieferer Bosch Diesel und der Lkw-Bauer Tatra.

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Unmittelbar Schuld an der Misere hat in vielen Volkswirtschaften der Region eigentlich niemand. Dem Zockerfieber ihrer westlichen Kollegen waren die wenigsten Banker in den größeren östlichen EU-Ländern verfallen; Regierungen hatten ihre Staatshaushalte in Ordnung gehalten. Doch es gibt Ausnahmen: Der einstige Vorzeige-Transformationsstaat Ungarn ist nach Jahren laxer Haushaltsdisziplin und verschleppter Reformen so knapp bei Kasse, dass Internationaler Währungsfonds und Europäische Union mit einem Hilfspaket von 20 Milliarden Euro den Bankrott verhindern müssen. Auch Lettland wankt. Die Baltenrepublik hat sich viel Geld bei westlichen Banken geliehen und kann ihre Schulden nicht mehr bezahlen.

Auslandskredite belasten auch Rumänien und Bulgarien. Beiden Ländern sagen Ökonomen des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) nur noch ein Wachstum von drei Prozent für 2009 voraus. Damit ist der wirtschaftliche Aufholprozess der jungen EU-Mitglieder im Osten gefährdet. Allerdings bietet die Krise auch Vorteile: So können die meisten Länder vorerst mit einem Rückgang der Inflation rechnen. Starke Währungen wie die Tschechische Krone werten ab – tröstlich für Unternehmen, die in die USA und in die EuroZone exportieren. Zudem könnten die Entlassungen den Arbeitsmarkt entspannen, der in Ballungszentren vielerorts leergefegt ist.

In Tschechien will die Regierung den Konjunkturabschwung durch niedrigere Unternehmensteuern, höhere Renten und Beamtengehälter bremsen. Der tschechische Premierminister Mirek Topolanek ist dabei doppelt herausgefordert: Am 1. Januar hat sein Land für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Kenner der tschechischen Politik bezweifeln, dass Topolaneks Minderheitsregierung stark genug sein wird, die Wirtschaftskrise im eigenen Land zu bekämpfen, während sie gleichzeitig die EU führen, im palästinensisch-israelischen Krieg und im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine vermitteln soll.

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