EZB-Monatsbericht Zentralbank verteidigt Staatsanleihen-Kauf mit dramatischer Marktlage

Die Europäische Zentralbank den historisch einmaligen Schritt, Staatsanleihen zu kaufen, mit dem drohenden Zusammenbruch der Anleihenmärkte in Teilen Europas verteidigt. Die Intervention sei deshalb alternativlos gewesen.

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Entschied sich zu historisch einmaligem Schritt: EZB-Chef Jean-Claude Trichet. Quelle: dpa

HB FRANKFURT. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre höchst umstrittene Entscheidung zum Kauf von Staatsanleihen erneut mit einer schweren Störung der Märkte begründet. Zwar seien ganz andere Faktoren für die sprunghafte und gefährliche Verschlechterung der Lage am 6. und 7. Mai verantwortlich gewesen als nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman 2008, schreibt die Notenbank in ihrem am Donnerstag in Frankfurt veröffentlichten Monatsbericht Mai. Jedoch könne eine Vielzahl von Parallelen gezogen werden. "Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Geschwindigkeit, mit der die Stimmung umschlug, sowie mit Blick auf die jähe Flucht der Finanzinvestoren in sichere Anlagen."

So habe der Vertrauensverlust mit rasender Geschwindigkeit vom Anleihen- auf den Interbankenmarkt übergegriffen und in der Folge die Aktien- und Devisenmärkte erfasst, beschreibt die EZB die dramatischen Ereignisse vor dem zweiten Mai-Wochenende. In der Nacht zum folgenden Montag kippte die Notenbank eines ihrer Tabus und kauft seitdem Staatspapiere von Euro-Ländern am Sekundärmarkt. Bislang hat sie Anleihen im Volumen von 47,1 Milliarden Euro erworben und will damit so lange weitermachen, bis die Lage wieder unter Kontrolle ist. Das Kaufprogramm hat die EZB in eine schwierige Lage gebracht, denn sie wird dafür nicht nur von außen kritisiert. Mittlerweile geht auch ein Riss durch den EZB-Rat. Bundesbank-Präsident Axel Weber etwa wird nicht müde, die Risiken der Käufe zu brandmarken.

Nach Ansicht der Autoren des EZB-Monatsberichts hatte die Notenbank jedoch Anfang Mai keine Wahl: Durch die Ketten- und Panikreaktion an den Finanzmärkten sei nämlich nicht nur der Übertragungssmechanismus der Geldpolitik empfindlich gestört worden. Die Lage war offenbar so brisant, dass ein Kollaps des Kreditflusses und der sich gerade von der Rezession erholenden Konjunktur in der Euro-Zone zu befürchten stand: "Im gesamten Eurogebiet war der Zugang der Banken zur Marktfinanzierung erheblich beeinträchtigt", konstatiert die EZB. Mit anderen Worten: Am Interbankenmarkt, auf dem sich die Kreditinstitute in normalen Zeiten untereinander Geld leihen, ging nichts mehr.

Den ersten Schlag erhielt das Finanzsystem laut EZB am 6. Mai durch den plötzlichen und bis heute nicht ganz geklärten Einbruch des Dow Jones-Index an der Wall Street. Hinzu kamen die Schuldenprobleme in Griechenland und anderen Staaten der europäischen Währungsunion, die dem Markt für Staatspapiere seit geraumer Zeit zusetzten. Von dort aus griff die Panik auf den Geldmarkt über und ließ die Furcht vor einer Bankenpleite am 7. Mai, dem letzten Handelstag vor dem Eingriff der Zentralbank, explodieren - erkennbar an Indizes, die die Wahrscheinlichkeit einer Bankenpleite bewerten. "So stieg die Wahrscheinlichkeit eines gleichzeitigen Zahlungsausfalls von zwei oder mehr großen und komplexen Bankengruppen des Eurogebiets sprunghaft an und überschritt die nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers beobachteten Werte." Am Aktienmarkt gerieten Papiere aus der Finanzbranche massiv unter Druck.

Auch der Devisenmarkt wurde von dem Flächenbrand erfasst, ebenso der Dollar-Geldmarkt in Europa - an dem die Kosten für Refinanzierungsgeschäfte in US-Währung in die Höhe schnellten.

Zwar hatte der Euro wegen der griechischen Schuldenkrise bereits massiv Federn gelassen. Nun sorgten jedoch ungewöhnlich viele Währungsorders und eine Überlastung des weltgrößten Devisenabwicklungssystems CLS für weitere Verunsicherung der Akteure. Der Rückstand bei der Bearbeitung der Transaktionen "führte zu Unsicherheit, da es über einen längeren Zeitraum außergewöhnlich viele offene Geschäfte gab", schreibt die EZB.

Das beschleunigte die Abwärtsspirale: "Es wurden Bedenken laut, dass ein schwerwiegenderes systemisches Problem und nicht bloß ein sprunghafter Anstieg des Volumens die Verzögerungen bedingt haben könnte." Die Angst vor dem großen Knall war Anfang Mai mit Händen zu greifen.

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