Koalition Zweiter Aufbruch für Schwarz-Gelb

In höchster Not will sich die schwarz-gelbe Koalition zusammenraufen. Die Liberalen üben sich in Geduld, die Union will netter sein. Und die Wirtschaft hofft auf ein Happy End.

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Kontrahenten Westerwelle (l) Quelle: dpa

Ordentlicher Inhalt, grauenhaftes Marketing – wenn der bayrische Maschinenbauer Karl Haeusgen über die schwarz-gelbe Koalition in Berlin spricht, kann er kaum an sich halten. „Die provinziellen Profilneurosen von Seehofer und Rüttgers sowie Westerwelles Personality-Storys überlagern die ganze Performance“, ärgert sich der 44-Jährige, der wie so viele Unternehmer am Abend der letzten Bundestagswahl gefeiert hatte.

Vor einem halben Jahr hatte die Traumkombination der Wirtschaft im Bundestag die Mehrheit errungen. Sie galt als Liebesheirat zwischen Union und FDP – nach dem Zweckbündnis CDU/CSU/SPD zuvor. Doch in Rekordzeit gerieten sich die Verliebten in die Haare.

Die Bundesbürger quittieren den Beziehungsstreit mit Vertrauensentzug. Bei der aktuellen Sonntagsfrage kommen CDU, CSU und FDP laut tns Emnid deutschlandweit nur noch auf 44 Prozent – zu wenig für eine Regierungsmehrheit, würde jetzt gewählt. Doch alarmierender sind die Nachrichten aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo am 9. Mai abgestimmt wird. Hier droht der akute Verlust der schwarz-gelben Mehrheit, auch wenn der amtierende Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) unbedingt weiter mit der FDP koalieren möchte und Gerüchte über ein schwarz-grünes Techtelmechtel klar dementiert.

Weckruf aus NRW

Die „kleine Bundestagswahl“, wie NRW-Wahlen gelegentlich genannt werden, betrifft die Bundesregierung konkret. Kippt die bürgerliche Koalition in Düsseldorf, wäre die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat perdu. Dann könnten die Liberalen ihr Lieblingsprojekt, die Steuerstrukturreform, ganz begraben.

Es ist ein Weckruf für die CDU/CSU-FDP-Koalition in Berlin. Sogar FDP-Chef Guido Westerwelle, sonst gern auf Krawall gebürstet, mahnt nun selbst die eigenen Truppen zur Besonnenheit. Zwar müsse die Union endlich erkennen, dass die FDP nicht einfach in die Rolle der SPD schlüpfe. Aber die Liberalen müssten sich damit abfinden, dass sich vielleicht doch nicht alle Punkte aus dem Koalitionsvertrag eins zu eins mit der Realität verbinden ließen.

Es geht um Geduld und einen Neustart. Ein paar rasche Erfolge sollen der schwarz-gelben Koalition in NRW wieder Rückenwind verschaffen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner verlangt: „Wir brauchen einen zweiten Aufbruch“, indem die Koalition schnell einige Lösungen für drängende Probleme fände. Lindner: „Bei effektiver Finanzaufsicht, höheren Eigenkapitalforderungen und einer finanziellen Beteiligung der Banken an der Krisenbewältigung können wir uns bald einig werden.“ Schwieriger ist es bei der Steuerreform. In der vorigen Woche machten Gerüchte einer Mini-Novelle mit fünf bis zehn Milliarden Euro Entlastung die Runde, die noch im April abgesegnet werden könne. Doch die Dementis folgten umgehend.

„Elf Jahre lang hat die FDP versprochen, im Himmel ist Jahrmarkt“, beschreibt der CDU-Gesundheitspolitiker Rolf Koschorrek das Auftreten der Liberalen. „Jetzt stellen die fest: Es ist vielleicht Jahrmarkt, aber es gibt keine Freikarten.“ Sein Sozialpolitik-Kollege Peter Weiss klagt, die Liberalen machten aus jeder Kleinigkeit eine Grundsatzfrage. Die Verlängerung des Mindestlohns für Dachdecker sei doch „eine rein technische Frage“, sagt Weiss, trotzdem habe FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sie bis in den Koalitionsausschuss gebracht. „Die kamen so stolz aus der Bundestagswahl, die hatten wohl einen Zahlendreher: 51 statt 15 Prozent.“

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