+++ Türkei-Newsblog +++ Erdogan will Ausnahmezustand erneut verlängern

Die Türken haben sich in einem Referendum mit knapper Mehrheit für die geplante Verfassungsreform ihres Präsidenten Erdogan ausgesprochen. Dem Land droht nun eine Ein-Mann-Herrschaft. Die Reaktionen im Newsblog.

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Der türkische Präsident hat von seinem Volk die Befugnis erhalten, das Land nach seinen Vorstellungen umzubauen. Quelle: AP

Am Sonntag haben die Türken in einem Referendum ein historisches Votum abgegeben: Sie haben mit knapper Mehrheit für eine Verfassungsreform gestimmt, die dem Präsidenten Erdogan weitreichende Machtbefugnisse gewährt. In der EU ist das geplante Präsidialsystem umstritten. Viele fürchten ein Abdriften der Türkei in ein autoritäres System. Das belastet nicht zuletzt die EU-Beitrittsgespräche. Die Ereignisse einen Tag nach dem Referendum im Newsblog.

  • Erdogan hat das Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems, das ihm künftig eine noch größere Machtfülle beschert, knapp gewonnen. Nach dem vorläufigen Ergebnis der Wahlkommission entfielen 51,3 Prozent der Stimmen auf „Ja“, 48,7 Prozent votierten demnach mit „Nein“.
  • Die wahlberechtigten Türken in Deutschland haben in dem Referendum zu fast zwei Dritteln für die Verfassungsreform gestimmt, die Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht gibt. Nach inoffiziellen Medienangaben votierten 63 Prozent mit „Ja“, insgesamt waren es nur 51,3 Prozent.
  • Nach dem knappen Votum stehen die Beitrittsgespräche mit der EU auf der Kippe.

+++ Bericht: Ausnahmezustand in der Türkei wird erneut verlängert +++
Nach dem knappen Sieg von Staatschef Recep Tayyip Erdogan beim Referendum in der Türkei soll der Ausnahmezustand einem Medienbericht zufolge erneut verlängert werden. Der Sender CNN Türk meldete, noch am Montag sollten dafür zunächst der Sicherheitsrat und dann das Kabinett zusammenkommen, die beide unter dem Vorsitz Erdogans tagen. Am Dienstag ist die nächste Sitzung des Parlaments geplant, das der Verlängerung zustimmen muss. Mit der Mehrheit von Erdogans AKP im Parlament gilt eine Zustimmung als sicher.

Erdogan hatte den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli vergangenen Jahres ausgerufen. Er wurde seitdem zwei Mal verlängert und würde in der Nacht zu Mittwoch auslaufen. Erdogan hatte bereits vor dem Referendum gesagt, der Ausnahmezustand könne danach erneut verlängert werden. Die Opposition hatte Einschränkungen ihres Wahlkampfs vor dem Referendum wegen des Ausnahmezustands beklagt, der unter anderem die Versammlungsfreiheit einschränkt.

+++ Türkische Lira legt nach Sieg Erdogans zu +++
Die türkische Lira hat zum Handelsstart mit einen kräftigen Kurssprung auf den Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan im Verfassungsreferendum reagiert. Die Währung legte am Montag in den ersten Handelsminuten in Istanbul gut 2,5 Prozent zum Dollar zu, im weiteren Handelsverlauf bröckelten die Gewinne wieder ab. Zuletzt stand der Kurs bei 3,6732 Lira je US-Dollar, ein Plus von gut einem Prozent. Im Januar hatte die türkische Währung ihr jüngstes Rekordtief markiert, damals kostete ein US-Dollar noch 3,9415 Lira.

+++ Bundesregierung ruft nach Türkei-Referendum zum Dialog auf +++
Die Bundesregierung hat die türkische Regierung nach dem Verfassungsreferendum zur Dialogbereitschaft aufgefordert. "Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten ist", erklärten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Montag in Berlin. Die Bundesregierung nehme das vorläufige Abstimmungsergebnis zu Kenntnis und erwarte von der Regierung in Ankara, dass diese "nach einem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht".

+++ Türkei-Beauftragte: Referendum gefährdet EU-Beitrittsprozess +++
Der Ausgang des Referendums in der Türkei gefährdet nach Ansicht der Türkei-Berichterstatterin des Europaparlaments die Verhandlungen über einen EU-Beitritt des Landes. Sollten die geplanten Verfassungsänderungen in ihrer Gesamtheit umgesetzt werden, würde dies zu einem Stopp der Beitrittsverhandlungen führen, schrieb die Berichterstatterin Kati Piri am Sonntagabend auf ihrer Webseite. „Das Land kann der EU nicht mit einer Verfassung beitreten, die die Gewaltenteilung nicht respektiert.“ Die Fortsetzung der Gespräche unter den jetzigen Umständen sei zu einer Farce geworden.

Dennoch habe der knappe Ausgang des Referendums gezeigt, dass Millionen türkischer Bürger europäische Werte teilten und eine andere Zukunft für ihr Land gewählt hätten. Diesen Menschen dürfe die EU niemals die Tür verschließen, sagte Piri.

+++ Bundesregierung will Gesprächsfaden mit der Türkei wieder aufnehmen +++
Nach dem Verfassungsreferendum will die Bundesregierung so schnell wie möglich den Gesprächsfaden mit Ankara wieder aufnehmen. In einer ersten Reaktion erinnerten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel am Montag die türkische Regierung daran, dass sie als Mitglied des Europarats, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und als EU-Beitrittskandidat Bedenken des Europarats gegen die neue Verfassung Rechnung tragen müsse. Gleichzeitig forderten sie Ankara dazu auf, der Spaltung der türkischen Gesellschaft entgegenzuwirken.

„Der knappe Ausgang der Abstimmung zeigt, wie tief die türkische Gesellschaft gespalten ist“, erklärten Merkel und Gabriel. „Die Bundesregierung erwartet, dass die türkische Regierung nun nach einem harten Referendumswahlkampf einen respektvollen Dialog mit allen politischen und gesellschaftlichen Kräften des Landes sucht.“

+++ Scheuer: Türkei bricht mit Referendum Beitrittsgespräche selbst ab +++
Nach Ansicht von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat die Türkei mit dem Ergebnis des Referendums die EU-Beitrittsgespräche selbst abgebrochen. „Erdogan hat die Türken in der Türkei und in Europa gespalten“, sagte Scheuer am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Obwohl sich viele Türken für Freiheit und Grundrechte entschieden, habe es nicht gereicht. „Der Despot vom Bosporus will eine veraltete, rückwärtsgewandte Staatsform“, sagte der CSU-Generalsekretär. Das knappe Volksvotum müsse respektiert werden. „Wir müssen aber auch die richtigen Konsequenzen daraus ziehen.“ Das Land habe über seine Zukunft abgestimmt, die Türkei bewege sich jetzt in Richtung Autokratie. „Die Türkei hat für den Türkxit gestimmt“, sagte Scheuer.

+++ Jugendarbeitslosigkeit auf 24,5 Prozent gestiegen +++
In der Türkei ist inzwischen fast jeder vierte Jugendliche und junge Erwachsende arbeitslos. Die Arbeitslosenquote in der Altersspanne zwischen 15 und 24 Jahren habe im Januar bei 24,5 Prozent gelegen, teilte das türkische Statistikamt am Montag mit. Das sei ein Anstieg um 5,3 Punkte verglichen mit dem Vorjahresmonat. Die Arbeitslosenquote insgesamt habe im Januar um 1,9 Punkte auf 13 Prozent zugelegt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat nach seinem Sieg beim Referendum über ein Präsidialsystem in der Türkei politische und wirtschaftliche Stabilität versprochen.

+++ Nikosia besorgt nach Ergebnis des Referendums in der Türkei +++
Die Regierung der geteilten Republik Zypern hat besorgt auf den knappen Sieg des „Ja“-Lagers beim Referendum in der Türkei reagiert. „Es besteht eine gewisse Besorgnis, weil die Türkei ab morgen ein anderes Land sein wird“, erklärte der zyprische Regierungssprecher Nikos Christodoulides in der Nacht zum Montag im zyprischen Fernsehen (RIK). Nikosia wünsche sich, dass in der Türkei Normalität vorherrsche, meinte Christodoulides weiter.

Die EU-Inselrepublik Zypern ist seit 1974 in einen griechisch-zyprischen Süden und einen türkisch-zyprischen Norden geteilt. Zurzeit finden Gespräche zur Lösung des Konflikts statt. Die Überwindung der Teilung hängt auch von Ankara ab, das eine Armee von mehr als 30.000 Soldaten im Norden der Insel unterhält.

+++ Türkische Börse im Plus nach Erdogan-Sieg +++
Der Aktienmarkt in der Türkei hat positiv auf den Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan im Verfassungsreferendum reagiert. Am Montagvormittag legte der BIST-100-Index der 100 größten Werte der Istanbuler Börse zuletzt knapp 0,6 Prozent zu. Nun sei zunächst eine Quelle für politische Unsicherheit verschwunden, meinten Beobachter. Der Index hatte sich seit Anfang April erholt, die Tage vor dem Referendum aber dann eher wieder nachgegeben.

Erdogan hat das Referendum zur Einführung eines Präsidialsystems, das ihm künftig eine noch größere Machtfülle beschert, knapp gewonnen. Nach dem vorläufigen Ergebnis der Wahlkommission entfielen 51,3 Prozent der Stimmen auf „Ja“, 48,7 Prozent votierten demnach mit „Nein“.

+++ Türkische Wahlbehörde weist Einwände der Opposition zurück +++
Nach dem knappen Sieg von Präsident Recep Tayyip Erdogan beim türkischen Verfassungsreferendum hat die Wahlbehörde Einwände der Opposition gegen die Abgabe nicht abgestempelter Stimmzettel zurückgewiesen. Diese Stimmen seien gültig, sagte Amtschef Sadi Güven am Montag in Ankara. Die kurzfristige Entscheidung, diese nicht verifizierten Wahlzettel bei der Abstimmung am Sonntag zuzulassen, sei noch vor Eingang der Ergebnisse im System gefallen. Zudem habe die Regierung schon in früheren Fällen einen solchen Schritt erlaubt.

+++ Scharfe Kritik aus Deutschland an Erdogans Haltung im Fall Yücel +++
Die Ankündigung des türkischen Präsidenten Recep Tayip Erdogan, den deutsch-türkischen „Welt“-Journalisten Deniz Yücel auf keinen Fall freizulassen, ist in Deutschland auf scharfe Kritik gestoßen. Dies sei Ausdruck für das Ende der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, sagten Vertreter mehrerer Parteien. „Erdogan nimmt den letzten Zweifel, dass die Türkei kein Rechtsstaat und kein Kandidat für die EU-Mitgliedschaft ist“, sagte etwa FDP-Chef Christian Lindner der „Bild“ (Samstag).

Ähnlich äußerte sich der SPD-Außenpolitiker Niels Annen. Erdogans Einlassungen seien erschreckend, weil sie bestätigten, dass es in der heutigen Türkei keine Rechtsstaatlichkeit mehr gebe, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstag). „Die Aussagen von Präsident Erdogan zeigen, dass er Deniz Yücel als politische Geisel betrachtet.“ Es sei zu befürchten, dass der Schlüssel zur Freilassung Yücels nicht mehr bei der türkischen Justiz, sondern allein bei Erdogan liege. „Für Deniz Yücel sind das keine guten Nachrichten“, sagte Annen.

+++ Kurz sieht klares Signal der Türken gegen die EU +++
Für den österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) ist das knappe „Ja“ der Türken bei der umstrittenen Verfassungsreform „ein klares Signal gegen die Europäische Union“. Nun müsse die EU reagieren. „Die Zeit des Taktierens muss endlich vorbei sein“, sagte Österreichs Chefdiplomat der Nachrichtenagentur APA. Kurz erneuerte seine Forderung nach einem Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara.

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) betonte, dass viele Menschen in der Türkei gegen den Kurs Erdogans seien. Erdogan habe den Bruch mit dem europäischen Grundkonsens von Demokratie und Rechtsstaat gesucht, fast die Hälfte der Türken sei ihm nicht gefolgt, schrieb Kern auf Twitter.

+++ Opposition will Abstimmungsergebnis in Türkei anfechten +++
Die größte türkische Oppositionspartei will das Ergebnis des Verfassungsreferendums vom Sonntag anfechten. Der Abgeordnete Utku Cakirözer sagte der Nachrichtenagentur AP am Montag, seine Republikanische Volkspartei CHP werde bei örtlichen Zweigstellen der Wahlkommission Widerspruch einlegen und dann die Oberste Wahlkommission anrufen. „Momentan ist dies ein fragwürdiges Abstimmungsergebnis“, sagte er.

+++ Türkischer Leitindex startet nach Referendum mit Kursplus +++
Der Leitindex der Istanbuler Börse ist nach dem Sieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beim Verfassungsreferendum zunächst mit leichten Gewinnen in den Handel gestartet. Der Index eröffnete am Montagmorgen 0,7 Prozent höher, das Plus bröckelte im weiteren Verlauf jedoch etwas ab. Zuvor hatte schon die türkische Lira zugelegt.

Nach dem gescheiterten Putsch vom Sommer 2016 hatte der Leitindex der Istanbuler Börse gegen den europäischen Trend bis zum Jahreswechsel 2016/2017 gut zehn Prozent verloren. Seither ging es mit einem Plus von gut 13 Prozent doppelt so stark bergauf wie bei Dax und EuroStoxx50.

+++ Iran reagiert zurückhaltend auf Wahlergebnis in der Türkei +++
Der Iran hat zurückhaltend auf den Ausgang des Verfassungsreferendums im Nachbarland Türkei reagiert. „Das ist eine interne Angelegenheit der Türkei und des türkischen Volkes und wir werden daher das Ergebnis respektieren“, sagte Außenamtssprecher Bahram Ghassemi am Montag. Es sei noch zu früh, über die politischen Konsequenzen des Referendums zu urteilen. Teheran hoffe aber, dass das Ergebnis zu Stabilität in der Türkei und zu Sicherheit und Frieden in der Region führen werde, füge Ghassemi auf einer Pressekonferenz in Teheran hinzu.

+++ Özdemir: Von Deutsch-Türken mehr Treue zum Grundgesetz einfordern +++
Grünen-Chef Cem Özdemir fordert nach dem Referendum in der Türkei von Deutsch-Türken in der Bundesrepublik ein klareres Bekenntnis zum Grundgesetz. „Die Auseinandersetzung um Herz und Verstand der Türkeistämmigen muss endlich aufgenommen werden“, sagte Özdemir der Deutschen Presse-Agentur. „Künftig muss stärker darauf bestanden werden, dass auf Dauer in Deutschland Lebende nicht nur mit den Zehenspitzen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, sondern mit beiden Füßen.“

Das Wahlergebnis zeige „in einem Brennglas“ die Versäumnisse in der Integrationspolitik, sagte Özdemir. Die wahlberechtigten Türken in Deutschland haben in dem Referendum zu fast zwei Dritteln für die Verfassungsreform gestimmt, die Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich mehr Macht gibt. Nach inoffiziellen Medienangaben votierten 63 Prozent mit „Ja“, insgesamt waren es nur 51,3 Prozent.

Auf die Türken, die „gegen die orientalische Despotie“ gestimmt hätten, kämen wohl schwere Zeiten zu, sagte Özdemir. „Die Menschen, die sich für Demokratie eingesetzt haben, brauchen unsere Unterstützung gerade jetzt.“

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