100 Prozent Grupp

Wladimir Putin ist kein Kriegstreiber

In der Ukraine-Krise darf sich Deutschland nicht von Amerika am Gängelband herum führen lassen, sondern muss das gute friedliche Zusammenwirken erhalten, das wir uns in den Jahrzehnten nach dem Krieg erarbeitet haben.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Wolfgang Grupp sieht nicht in Russland eine Gefahr für den Frieden, sondern in den USA Quelle: dpa

Wer jeden Tag Zeitung liest und die Fernsehnachrichten verfolgt, muss miterleben, wie sich  Journalisten überschlagen, um Misstrauen gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin teils offen, teils verpackt in den Worten ukrainischer Politiker, zu schüren. Mäßigende Mahner wie der „Handelsblatt“-Herausgeber Gabor Steingart oder der deutsche Unternehmer Stefan Dürr in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, der es zum größten Milchproduzenten gebracht hat, bilden leider die Ausnahme.

Dieser verbalen Verschärfung der Ukraine-Krise durch den veröffentlichten Mainstream muss Einhalt geboten werden. Alle, die ein Mindestverständnis von Geschichte, wirtschaftlichen Zusammenhängen und den Bedingungen für ein friedliches Zusammenleben der Völker mitbringen, müssen sich zu Wort melden. Die mal unverhohlene, mal kaschierte Hetze gegen Putin muss aufhören. Putin ist kein Kriegstreiber. Er hat in der Ukraine-Krise nicht agiert, sondern reagiert: auf schwere Fehler des Westens und auf die Tour der Amerikaner, die Nato an die Grenze Russlands heranzuführen.

Die Sanktionen der EU und USA gegen Russland

Deutschland hat viel zu verlieren. Nicht die Amerikaner, sondern wir haben spätestens seit Bundeskanzler Willy Brandt 1969 mit einem Land unseren Frieden schließen müssen, das von den Nazis 1941 überfallen wurde und Millionen Menschen im Krieg gegen die Barbaren aus dem Westen verloren hat. Das ist uns mit großen Anstrengungen gelungen, vor allem über den schrittweisen Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen. Dadurch ist Deutschland, wie wir alle wissen, nicht kommunistisch geworden.

Scheinheilige Sanktionen

Umkehrt wurde ein Schuh draus. Ohne diese wirtschaftliche und auch politische Zusammenarbeit, einst durch den Begriff der Koexistenz beider Systeme in Ost und West beschrieben, wäre das Vertrauen der Russen in Deutschland nie gewachsen. Ohne dieses Vertrauen hätte Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 schließlich die deutsche Einheit nicht wiederherstellen können. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit war es schließlich auch, die den Polen, die unter der kommunistischen Herrschaft Russlands nach dem Krieg gut vier Jahrzehnte lang litten, half, ihr Verhältnis zum einstigen großen Bruder ein wenig zu entspannen.

Dieses zarte Pflänzchen dort und das wohl bestellte Feld bei uns machen die Sanktionen mit jedem Monat weiter kaputt. Es bringt nichts, darum herum zu reden: Gewinner sind die USA. Die Amerikaner haben so gut wie keine Wirtschaftsbeziehungen zu Russland. Indem sie die EU mithilfe der meiner Ansicht nach ein wenig paranoiden Polen, Balten und Ungarn gegen Putin in Position gebracht haben, schwächen sie Europa als Völkergemeinschaft, als eigenständigen Pol in der Welt und als Wirtschaftsmacht.

Auch die andere Seite möge gehört werden

Dabei ist das Argument für die Sanktionen gegen Russland scheinheilig. Es lautet, Putin habe die Krim völkerrechtswidrig annektiert, die Volksumfrage über einen Anschluss der mehrheitlich von Russen bewohnten ukrainischen Halbinsel an Moskau sei nur eine Farce gewesen. Tatsache ist, dass Putin vom Westen dazu getrieben wurde. Eine vermeintliche Volksbewegung im Westen der Ukraine, die nachweisbar von den USA aus mit Milliarden Dollar unterstützt wurde, hat mit Gewalt eine gewählte russlandfreundliche Regierung gestürzt.

Dass die bis dahin Mächtigen nicht nach unserem Geschmack waren, sie sich ein protziges Leben genehmigten und autokratische Züge trugen, lasse ich nicht als Grund für eine Einmischung des Westens, insbesondere der USA, gelten. Mir ist nicht bekannt, dass die Amerikaner sich in die Innenpolitik etwa in Saudi-Arabien oder den Emiraten einmischen, obwohl die mit den westlichen Menschenrechten und individuellen Freiheiten so viel gemeinsam hat wie eine Wüste mit einem Swimmingpool.

Tatsache ist auch, dass gerade die USA, wenn es um Krieg und Frieden geht, sich letztlich nicht um das Völkerrecht kümmern. Der Krieg gegen den Irak etwa war ein krasser Verstoß gegen das Völkerrecht. Zudem ist die US-amerikanische Außenpolitik immer wieder in wesentlichen Punkten gescheitert, weil sie zu sehr auf den Konflikt setzt und zu wenig die Interessen der Gegenseite ins Kalkül zieht, so wenig selten diese uns auch gefallen mögen.

Machtvakuum im Nahen Osten

In Vietnam mussten die Amerikaner als Verlierer abziehen und das Land den Kommunisten zurücklassen. Von einer Befriedung Afghanistans kann nicht im Geringsten die Rede sein. Die hässliche, aber die Region stabilisierende Diktatur von Saddam Hussein im Irak wurde zerbombt und durch ein Machtvakuum ersetzt, in dem sich nun Islamisten ausbreiten, die den ganzen Nahen Osten bedrohen - mit überhaupt nicht absehbaren Kollateralschäden für Verbündete des Westens wie die Türkei und die dort unterdrückten Kurden.

Audiatur et altera pars - auch die andere Seite möge gehört werden. Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung handelt und sich – im Gegensatz zu den USA – wieder verstärkt auf diese Maxime der Außenpolitik verlegt. Nur so finden wir heraus aus der Sackgasse der Sanktionen, von denen niemand weiß, welche Seite sie eigentlich wann und aus welchem Grund wieder zurücknehmen sollte.

Die Mitglieder der Bundesregierung haben geschworen, ihre Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm wenden. Zu letzterem gehört wohl oder übel auch, die von Putin geschaffenen Fakten auf der Krim auf irgendeine Weise hinzunehmen, damit die USA mit ihren geopolitischen Überlegungen die Bundesregierung nicht weiter zu einem Handeln nötigen, das dem deutschen Volk auf Dauer großen Schaden zufügen wird.

P.S.: An besten informellen Kontakten zu Putin mangelt es in Deutschland wahrlich nicht. Wieso schließt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel eigentlich nicht mit ihrem Vorgänger Gerhard Schröder vertraulich kurz, um dessen direkten Draht zu Putin für eine schnelle Deeskalation und eine Rückkehr zur strategischen Partnerschaft mit Russland zu nutzen?

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%