20-Milliarden-Entlastung Frankreich hilft Unternehmen auf die Sprünge

Frankreich braucht einen Ruck, stellt Ministerpräsident Ayrault fest. Mit weniger Steuern will er der Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Im Gegenzug soll die Mehrwertsteuer steigen. Die Bürger werden sich bedanken.

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Ministerpräsident Jean-Marc Ayrault: „Frankreich braucht einen Ruck.“ Quelle: AFP

Paris Mit milliardenschweren Steuererleichterungen will Frankreich seine Unternehmen wieder fit für den internationalen Wettbewerb machen. Die Regierung von Präsident Francois Hollande versprach Arbeitgebern am Dienstag eine Entlastung von 20 Milliarden Euro über drei Jahre.

Zur Gegenfinanzierung bürdet der Sozialist den Bürgern allerdings höhere Abgaben auf. Von 2014 an werde der Staat weitere Einsparungen in Höhe von zehn Milliarden Euro vornehmen. Zudem solle es Erhöhungen der Mehrwertsteuer und neue Ökosteuern geben. Beim Höchstsatz der Mehrwertsteuer von derzeit 19,6 Prozent ist eine Anhebung um 0,4 Punkte geplant. Zudem wird in den öffentlichen Haushalten noch mehr gekürzt.

„Wir brauchen einen Ruck auf nationaler Ebene, um unser Schicksal wieder in den Griff zu bekommen“, sagte Ministerpräsident Jean-Marc Ayrault. Abgehängt nicht zuletzt durch brummende deutsche Exporte hatte Frankreichs Industrie eine Art Schocktherapie gefordert, der die nun vorgestellten Maßnahmen überraschend nahe kommen.

Ayrault bezeichnete das Konzept seiner Regierung am Dienstag als eine „entscheidende Etappe“ im Kampf gegen den Niedergang der französischen Industrie. Der Premier sprach wie zuvor schon Präsident François Hollande von einem „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“, ohne Partner eines solchen Abkommens näher zu benennen.

Die Steuererleichterungen werden nach Angaben der Regierung auf Basis der Zahl der Beschäftigten berechnet, die Unternehmen in Frankreich haben. Gezählt werden nur die Arbeitnehmer, die nicht mehr als das 2,5-Fache des Mindestlohns (Smic) verdienen. Dieser liegt aktuell bei 1425,67 Euro im Monat.


Ermäßigte Mehwertsteuer in Restaurants steigt

Frankreich sei nicht dazu verdammt, in einer Abwärtsspirale dem Untergang seiner Industrie entgegenzuschlittern, sagte Ayrault. Die Maßnahmen sollten die Unternehmen manövrierfähiger machen. Er schlug Steuererleichterungen für Unternehmen vor, die Arbeitsplätze in Frankreich halten. Die Nachlässe dürften unter dem Strich darauf hinauslaufen, dass die Arbeitskosten vorübergehend um etwa sechs Prozent sinken. Firmen sollen so in der aktuellen Wirtschaftsflaute entlastet werden. Ayrault will zudem Innovationen in Fortschrittstechnologien, Ausbildung und Kleinunternehmen fördern

Die Regierung schnürt ein Paket, das zeitlich versetzt erst die Unternehmen begünstigt und dann die Gegenfinanzierung - je zur Hälfte über neue Steuereinnahmen und Einsparungen - einleitet. So soll die Wirtschaft schon ab 2013 in den Genuss der Steuererleichterungen kommen.

Erst ab Anfang 2014 will die Regierung dann die Mehrwertsteuer anheben, so unter anderem den Standardsatz auf 20 von derzeit 19,6 Prozent. Der ermäßigte Satz auf bestimmte Produkte in Restaurants soll von sieben auf zehn Prozent steigen. Ab 2016 ist auch eine neue Ökosteuer geplant. Konkret war zuvor eine Abgabe auf Diesel im Gespräch gewesen.

Allein der Aufschlag bei der Mehrwertsteuer - die die von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten und um ihre Kaufkraft besorgten Franzosen im Portemonnaie zu spüren bekommen werden - soll dem Staat etwa zwei Drittel der zehn Milliarden Euro in die Kassen spülen, die das Wettbewerbspaket zur Hälfte finanzieren sollen. Die übrigen zehn Milliarden sollen durch zusätzliche Einsparungen der öffentlichen Hand hereingeholt werden.

Die Regierung folgt mit diesen Plänen teilweise den Empfehlungen ihres Sondergutachters Louis Gallois, der Frankreich eine „Schocktherapie“ ans Herz legte. Der frühere Chef des Flugzeugbau- und Rüstungskonzerns EADS hatte in einem am Montag vorgelegten Bericht zur mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft Erleichterungen bei den Lohnnebenkosten in Höhe von 30 Milliarden Euro gefordert. 20 Milliarden davon sollten die Unternehmer direkt entlasten, weitere 10 Milliarden bei den Arbeitnehmern reduziert werden.


Frankreichs Exportwirtschaft im Schatten Deutschlands

Die Pläne gingen auf nahezu alle Vorschläge im Sondergutachten ein, betonte Ayrault. Gallois hatte neben dem Vorschlag zur Senkung der Arbeitskosten auch Empfehlungen für Exporthilfen, Bürokratieabbau sowie Forschungs- und Innovationsförderung abgegeben.

Die französische Industrie erlebt seit Jahren einen scheinbar unaufhaltsamen Niedergang. Die Exportwirtschaft steht im Schatten vor allem Deutschlands. Neben der Innovationskraft der deutschen Wirtschaft werden in Frankreich vor allem auch die niedrigeren Arbeitskosten hierzulande als Erfolgsfaktor genannt.

Vielen französischen Arbeitnehmern sind aber Errungenschaften wie die 35-Stunden-Woche und der üppig ausgestatte Sozialstaat heilig. Das macht jedes Wettbewerbspaket zugunsten der Wirtschaft für den Sozialisten Hollande zur Gratwanderung. Er selbst hatte eine von seinem konservativen Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy geplante Erhöhung der Mehrwertssteuer auf 21,2 Prozent gekippt.

Der Internationale Währungsfonds hatte jüngst rasches Handeln angemahnt und erklärt, ohne Reformen könne Frankreich den Anschluss an seine Nachbarn verlieren. Kritiker sagen, Hollande gehe die Probleme der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone zu zaghaft an. Die Regierung indes fürchtet, die Bürger mit zu ambitionierten Plänen zu überfordern.


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