70 Jahre Pakistan Der blutige Schnitt

Die Entstehung Pakistans war eine brutale Zeit. Am 14. August feiert das Land 70 Jahre Unabhängigkeit. Dabei wirkt die Teilung von Indien bis heute nach – in den Herzen der Menschen und in der Politik ihrer Regierung.

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Fakhra Hassan (rechts), Akademikerin, und Mohammad Hanif, der eigentlich Postbeamter ist, arbeiten für das 1947 Partition Archive, eine von privaten Spenden finanzierte Organisation, die seit 2010 die Erinnerungen von Überlebenden der Spaltung von Britisch-Indien in Indien sowie das neue Pakistan im Jahr 1947 sammelt. Quelle: dpa

Islamabad Der Monsunregen prasselt vom Himmel und lässt die Fensterscheiben im alten Bus neblig anlaufen, als der Postmeister und die Akademikerin sich aufmachen in die Vergangenheit. Ihr Ziel sind zwei Dörfer an der pakistanisch-indischen Grenze, Bambanwala und Ghartel. Dort wollen Mohammad Hanif und Fakhra Hassan, freiwillige Helfer eines großen Geschichtsprojekts, Erinnerungen sammeln von Menschen, die vor 70 Jahren eine der größten politischen Umstürze und Migrationswellen der Weltgeschichte überlebt haben.

Die sogenannte „partition“, die Teilung von Britisch-Indien in Indien und Pakistan im Jahr 1947, war ein brutales Kapitel. Mindestens eine Million Menschen starben in Unruhen und Massakern, die Historiker zu den schwersten religiös begründeten Massentötungen überhaupt zählen. Bis zu 15 Millionen Menschen verloren ihre Heimat, als Muslime westwärts nach Pakistan zogen oder flohen und Hindus und Sikhs ostwärts nach Indien.

Die Mitarbeiter des „1947 Partition Archive“ haben in Pakistan und Indien seit 2010 mehr als 4300 Geschichten von Überlebenden dieser Zeit gesammelt. Es ist der Beginn einer Bürger-basierten Bewegung, die die Stimme des Volkes in der Geschichtsschreibung verankern will. Denn hier, sagt Fakhra Hassan, liege ein großes Versagen des pakistanischen Staates seit seiner Gründung. „Er verweigert den Menschen ihre Erinnerungen und das Recht, um Verlorenes zu trauern.“

Der Staat porträtiere die Schaffung eines Landes allein für die Muslime der Region als triumphalen Erfolg; Kritiker dieser Darstellung würden potenziell als Staatsfeinde angesehen, sagt Hassan. Am 14. August jährt sich der Unabhängigkeitstag zum 70. Mal, und an Straßenecken sprießen schon überall patriotische Sträuße grünweißer Flaggen. „Aber der Tag ist mehr als ein Triumph“, sagt Hassan. Für viele Menschen sei es der Jahrestag einer Tragödie. Es sei außerdem Zellkern vieler Probleme, die bis heute nachwirkten. Das trifft wohl vor allem auf die Politik gegenüber Pakistans Nachbarn zu, darunter Erzfeind Indien, Konkurrent im Wettrüsten mit Atomwaffen.

Die Teilung hat die Region – die mit 1,3 Milliarden Indern und rund 200 Millionen Pakistanern eine der am dichtesten bevölkerten der Erde ist – ungleich zurückgelassen. Indien ist in der öffentlichen Wahrnehmung heute ein selbstsicherer Staat, der sich aus der Dritten Welt herausgekämpft hat. Pakistan wiederum ist ein Staat mit maroder Wirtschaft und noch schwachen demokratischen Strukturen, dessen Oberster Gerichtshof gerade den Ministerpräsidenten abgesetzt hat. Wegen Korruption, heißt es offiziell. Es halten sich aber hartnäckig Gerüchte, dass das mächtige Militär hier möglicherweise eine Gelegenheit genutzt hat. Nawaz Sharifs Versöhnungskurs mit Indien zum Beispiel war den Generälen immer suspekt.

Pakistan hat auch weiter ein massives Sicherheitsproblem mit einer der höchsten Dichten an extremistischen Gruppen in der Welt. Seit einigen Jahren bekämpft es sie schärfer und mit Erfolg – kneift aber dabei ein Auge zu. Viele Regierungen kritisieren scharf, dass Pakistans Geheimdienste weiter Islamisten unterstützten, die die Nachbarn Indien und Afghanistan zu destabilisieren suchen.


Die Spannungen nehmen wieder zu

Abdullah, der nur einen Namen trägt, war zwölf Jahre alt, als der lange Treck in sein neues Heimatland begann. An diesem regnerischen, heißen Tag im Juli erzählt er Mohammad Hanif, dem Postbeamten und freiwilligen Helfer vom Partition Archive, davon in gemurmelten, kurzen Sätzen. Ein Scheinwerfer vom Fotolädchen im Dorf scheint in die Augen des alten Herrn und macht ihn blind für die Gegenwart.

Auf allen Seiten peitschten damals Demagogen die Massen auf, während der Vertreter der Muslime in Britisch-Indien, Mohammad Ali Jinnah, und der Wortführer der Hindus und Sikhs, Jawaharlal Nehru, für ihre Anhängerschaften um das Territorium des zusammenbrechenden britischen Empires verhandelten. Jinnahs Argument war, dass die muslimischen Massen des Subkontinents diskriminiert würden und eine sichere Heimstatt brauchten. Er und andere machten auch Druck auf den Straßen. Hindus und Muslime jagten einander in tödlichen Razzien.

Einige der Massaker sind bis heute im kollektiven Gedächtnis beider Nationen lebendig. In Pakistan waren es die Blutzüge. Sikh- und Hindu-Extremisten stürmten Frachtzüge mit Flüchtlingen und schossen, bis sich nichts mehr regte. Bei der Ankunft in Pakistan triefte das Blut unter den Türen hervor und tropfte auf die Gleise.

„Mein Vater starb in einer dieser Unruhen“, erzählt Abdullah. Er blieb alleine zurück, ein Junge nur, mit der Aufgabe, die Familie ins gelobte Land zu bringen. Sie reisten per Ochsenkarren. Das Dorf von Abdullahs Kindheit in Indien ist nur 220 Kilometer entfernt, aber für ihn könnte es auch auf einem anderen Planeten liegen. Sowohl Indien als auch Pakistan erlauben bis heute Trennungs-Betroffenen nur selten, die Orte ihrer Kindheit zu besuchen.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wieviel Hass ich bei unseren Interviews höre“, sagt Fakhra Hassan vom Partition Archive im Bus von einem feucht-heißen Bauerndorf ins andere. Der Autor des Buches „Das tödliche Erbe von Indias Teilung“, Nisid Hajari, beschreibt die Ängste, die Verdächtigungen und den Hass der Massen aufeinander in jenen Monaten des Jahres 1947 als „Furien“, die losgelassen und nie wieder eingefangen wurden. Es habe sich damals eine „gefährliche psychologische Kluft zwischen Indien und Pakistan“ aufgetan. In Pakistan habe sie gegenüber dem so viel größeren Nachbarn Indien ein „unbewältigtes Gefühl des Belagert-Seins“ ausgelöst.

Einige Analysten argumentieren, Pakistans Militär kultiviere diesen Antagonismus bis heute, als Mittel, um den multiethnischen, armutsgeplagten Staat zusammenzuhalten. Selbst in den liberaleren englischsprachigen Zeitungen ist fast jede Woche eine einigermaßen nachrichtenfreie Überschrift zu lesen wie „Armeechef schwört Vereitelung böser Pläne von übelwollenden Mächten“ – Infusionen des Argwohns, die das Gefühl auslösen, umzingelt zu sein von Feinden.

„Das Land definiert sich durch die Opposition zu anderen und das kommt aus seinen Gründungsmythen“, sagt Anam Zakaria, die ein Buch geschrieben hat über das Thema Trennung und Identität. Anam Zakaria hat wie Fakhra Hassan und Mohammad Hanif in Pakistan mit vielen Überlebenden der Teilung gesprochen. Es hat sie erstaunt zu sehen, wie sehr auch „positive Erinnerungen an Indien unter dem Druck der Indien-feindlichen Atmosphäre im Land ausgefiltert“ wurden. Bei längeren Gesprächen kämen dann aber oft nuanciertere Erinnerungen zurück, wie die an Freundschaften oder friedliche Koexistenz.

Wenn Pakistan jemals im Frieden mit sich und seinen Nachbarn sein wolle, müssten solche Stimmen mehr Gehör finden, sagen Zakaria und Hassan. Schnell. Denn die letzten Überlebenden sterben langsam aus.

Hier sind sich Menschen einig, wo Regierungen es nicht sein wollen. In beiden Ländern gab es lange kein Mahnmal für die Teilung und ihre Opfer. In Pakistan kämpft nun eine Schwesterorganisation des Partition Archives um eines. In Indien hat nahe der pakistanischen Grenze, in Amritsar, gerade das erste Teilungs-Museum geöffnet. Es soll ein Ort sein, um Verluste betrauern zu können, aber auch der Versöhnung, sagt Kishwar Desai von der NGO, die das Museum verwaltet.

Seit die hindu-nationalistische Partei BJP das Land regiert, nehmen Spannungen zwischen Hindus und Muslimen in Indien wieder zu. Das Museum soll auch die Geschichten von Menschen erzählen, die einander gerettet haben, sagt Desai. „Das war ein vergessener Teil unserer Geschichte, aber einer, den die heutigen Generationen nicht vergessen sollten.“

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