Seit vielen Jahren steckt Japans Wirtschaft in der Krise. Die vorrangige Ursache allen Übels, so sehen es zumindest Regierungschef Shinzo Abe und seine Berater, sei das Gefühl von Unsicherheit, das ihre Landsleute befallen habe. Die Japaner müssten einfach wieder mehr Zutrauen in ihr Land haben, dann würden die Verbraucher auch wieder ihren Geldbeutel öffnen und die Unternehmen würden wieder mehr investieren und Arbeitsplätze schaffen. Mit anderen Worten, Schuld an der Krise und der Deflation, dem 20 Jahre lang andauernden Verfall der Preise, sei der Verlust an Vertrauen.
„Abenomics“, wie Abes Wirtschaftsprogramm sich nennt, soll genau dies wieder schaffen. Abe spricht dabei von „drei Pfeilen“: Aggressive Lockerung der Geldpolitik, massive Konjunkturspritzen und Strukturreformen. Die ersten beiden Pfeile hat Abe schon verschossen, vom dritten ist noch nicht viel zu sehen. Zwar scheint die Deflation tatsächlich überwunden, Japans Probleme sind damit aber nicht gelöst.
Parallelen zur US-Finanzkrise
Japans Malaise begann mit dem Platzen der Immobilienblase Anfang der 90er Jahre. Das Land rutschte in eine handfeste Finanzkrise. Die Banken kämpften die nächsten Jahre damit, ihre Bücher in Ordnung zu bringen, mussten massiv Kredite abschreiben und konnten dadurch immer weniger Kredite vergeben. Immer mehr Banken wurden verstaatlicht und durch öffentliche Kredite aufgefangen. Also eine ganz ähnliche Situation wie in den USA und Europa ab 2007. Während sich die EU und Amerika jedoch wirtschaftlich berappelt haben - wenn auch nicht püberall im selben Ausmaß - hatte sich der japanische Staatshaushalt dermaßen verschlechtert, dass die Mehrwertsteuer erhöht wurde. Die Verbraucher kauften weniger. Japan steckte erneut in der Krise.
Wegen der fallenden Preise gerieten immer mehr Unternehmen in Probleme. Eine Pleitewelle folgte. Die Banken gerieten erneut in Schwierigkeiten und wurden noch vorsichtiger bei der Kreditvergabe - ein Teufelskreis. Erneut griff der Staat mit Stützungsmaßnahmen und Bankenzusammenlegungen ein. Inzwischen dominieren nur noch vier Megainstitute Japans Bankensystem. In dieser zweiten Phase der Finanzkrise verschärfte sich die Preisspirale nach unten - die Deflation kam voll in Gang.
Und hier ist der Unterschied zur Situation in Europa und den USA: Anstatt in neues Wachstum und neue Märkte zu investieren, konzentrierten sich die japanischen Unternehmen vor allem darauf, ihre Kosten zu senken. Gleichzeitig hielten die Unternehmen ihre Löhne niedrig. Der Preisdruck nahm weiter zu. Die unausweichliche Folge war eine kontinuierlich niedrige Nachfrage, die durch immer neue staatliche Kredite und Konjunkturspritzen aufgefangen wurde. Erst nach zehn Jahren konnte die Finanzkrise als überwunden angesehen werden. Japans Schuldenberg schwoll jedoch auf inzwischen gigantische 240 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes an. Zugleich verschlechterte sich die demografische Struktur des Landes dramatisch. Kein anderes Industrieland altert so schnell wie Japan.
Japans Probleme werden durch Inflation nicht gelöst
Während die japanische Regierung weiter versucht, die Wirtschaft anzukurbeln, haben sich die Unternehmen inzwischen in dieser Lage der sinkenden Nachfrage eingerichtet. Sie investieren lieber im Ausland - in junge Wachstumsmärkte in Asien. „Da sie zu einem Großteil ihre Gewinne im Ausland verdienen, sind sie langfristig kaum dazu bereit, die Löhne im Inland wesentlich zu erhöhen“, meint Martin Schulz, Ökonom am Fujitsu Research Institute.
Regierungschef Abe vertritt jedoch die Auffassung, dass die Gehälter steigen werden, sobald Beschäftigte und Unternehmen eine Inflation erwarten - Ziel der Notenbank ist eine Inflationsrate von zwei Prozent zum nächsten Jahr. Tatsächlich ziehen die Preise in Japan wieder an. Doch sehen Experten dies nicht zuletzt als Folge der im Zuge der aggressiven Öffnung der Geldschleusen rapiden Abwertung des Yen. „Deflation ist nicht die Ursache von Japans Problemen, sondern ein Symptom“, meint Richard Katz vom „Oriental Economist“. „Japans Malaise durch Inflation heilen zu wollen ist wie zu versuchen, ein Fieber dadurch zu heilen, indem man Eis auf ein Thermometer legt.“
Deshalb kann eine Finanzpolitik, wie sie Japan betreibt, auch in Europa nicht funktionieren - ganz davon abgesehen, dass auch Japan nur eines wirklich helfen kann: Letztlich, da sind sich Ökonomen einig, hängt alles von Abes drittem Pfeil ab: Reformen. Nur durch Steigerung der Produktivität und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen werde es Japan gelingen, aus seiner jahrzehntelangen Krise herauszufinden.
Zwar ist die Produktivität in Branchen, die einer internationalen Konkurrenz ausgesetzt sind, hoch, so speziell Autobauer wie Toyota. Der größte Teil der japanischen Wirtschaft ist aber auf den Inlandsmarkt ausgerichtet. Viele Sektoren wie der Agrarsektor sind von Konkurrenz abgeschottet. Abe müsste die völlig verkrusteten Strukturen aufbrechen, fordern Ökonomen. Die Deflation an sich mag überwunden sein, Japans Probleme aber bleiben.