Abkommen mit der EU Jordanien öffnet Arbeitsmarkt für syrische Flüchtlinge

Jahrelang lebten sie in ständiger Sorge vor einer Festnahme. Nun haben mehr als 20.000 syrische Flüchtlinge in Jordanien eine Arbeitserlaubnis bekommen. Dafür fürchten nun aber andere Gastarbeiter um ihre Jobs.

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Syrische Flüchtlinge dürfen neuerdings in Jordanien arbeiten. „Vorher war es für uns hier wie im Gefängnis“, sagt ein Syrer. „Jetzt können wir hierher kommen und arbeiten, so wie wir das wollen.“ Quelle: Reuters

Bis vor kurzem ließ Fawas al-Dschassem sein Werkzeug fallen und suchte das Weite, wenn sich ein Polizist näherte. Seit drei Jahren arbeitet der syrische Flüchtling als Obstpflücker im Norden von Jordanien. Vor einer Festnahme muss er nun keine Angst mehr haben.

Der 34-Jährige ist einer von rund 23.000 Syrern, die seit Jahresbeginn eine Arbeitserlaubnis in Jordanien bekommen haben. „Vorher war es für uns hier wie im Gefängnis“, sagt er, während er auf einem Tomatenfeld Unkraut ausreißt. „Jetzt können wir hierher kommen und arbeiten, so wie wir das wollen.“

Insgesamt hat Jordanien der internationalen Gemeinschaft zugesagt, seinen Arbeitsmarkt in diesem Jahr für 50.000 syrische Flüchtlinge zu öffnen und Bildungsmöglichkeiten für sie zu schaffen. Im Gegenzug erhält das Land einem Abkommen vom Februar zufolge günstige Kredite und einen leichteren Zugang zu den europäischen Märkten. Die Chance zur legalen Beschäftigung soll vertriebenen Syrern eine langfristige Perspektive in der Region bieten und sie davon abhalten, wie hunderttausende Landsleute vor ihnen die Flucht nach Europa anzutreten. Seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 flüchteten fast fünf Millionen aus ihrer Heimat, die meisten von ihnen ins benachbarte Jordanien, in den Libanon oder in die Türkei.

Jordanien habe bei der Öffnung des Arbeitsmarktes für Syrer deutliche Fortschritte gemacht, stellte kürzlich der EU-Botschafter in dem Königreich, Andrea Matteo Fontana, fest. Doch andere ausländische Arbeiter im Land lehnen das als „Jordan Compact“ bezeichnete Abkommen mit den Geberstaaten ab: Sie befürchten, selbst aus dem immer engeren Jobmarkt verdrängt zu werden. In Jordanien sind Schätzungen zufolge etwa eine Million Gastarbeiter beschäftigt, die meisten von ihnen auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder im Putzgewerbe.

Als ersten Schritt hatte Jordanien den Zuzug von ausländischen Arbeitern gestoppt und angefangen, die bis dahin illegalen Beschäftigungsverhältnisse von Syrern umzuwandeln, wie Planungsminister Imad Fachuri erklärt. „Wir werden die Flüchtlinge aufnehmen und sie als überschüssige Arbeitsreserve betrachten“, erklärte er.

Mehr als 650.000 Flüchtlinge fanden in Jordanien Zuflucht. Etwa 80 Prozent von ihnen leben nicht in Flüchtlingslagern, sondern in Gemeinden. Das belastet die Ressourcen die Kommunen, etwa bei der Gesundheitsversorgung, in den Schulen und auf dem Wohnungsmarkt.

Um Investitionen im Königreich anzukurbeln und dort Jobs für syrische Flüchtlinge zu schaffen, erleichterte Brüssel nun den Zugang für Jordanien zum EU-Binnenmarkt. Damit dürfen nun mehr jordanische Produkte zollfrei in Europa verkauft werden. Voraussetzung ist, dass die Hersteller einen bestimmten Prozentsatz an Syrern beschäftigen. Unter anderem zur Finanzierung arbeitsintensiver Projekte erhält das Land zudem internationale Kredite zu günstigen Konditionen.


Billige Arbeitskräfte drückten Löhne

Im Gegenzug gab die Regierung in Amman ihren Widerstand gegen Arbeitsrechte für Flüchtlinge auf – trotz einer Arbeitslosenquote von mehr als 14 Prozent unter den Einheimischen und einer anhaltenden Konjunkturflaute. Vor dem Kurswechsel hatten zehntausende Syrer ohne Genehmigungen gearbeitet, da diese zu teuer oder zu schwer zu bekommen waren. Die billigen Arbeitskräfte drückten in bestimmten Sektoren wie dem Bau und der Landwirtschaft die Löhne.

Den neuen Regeln zufolge können jordanische Arbeitgeber nun bis September gebührenfrei eine Arbeitserlaubnis für syrische Beschäftigte beantragen. Als Voraussetzung müssen die Flüchtlinge ein Gesundheitszeugnis und eine vom jordanischen Innenministerium ausgestellten Ausweis vorlegen. Fast 200.000 Syrern fehlt nach Angaben des Uno-Flüchtlingshilfswerks dieser Ausweis, da sie keinen Reisepass oder anderen Nachweis ihrer Identität besitzen.

Für andere wie den Landarbeiter Al-Dschassem hat sich mit der neuen Erlaubnis das ganze Leben geändert. Der frühere Bauer war zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern 2013 aus der syrischen Stadt Hama nach Jordanien geflohen. Sie lebten zunächst für kurze Zeit im größten Flüchtlingslager Zaatari und zogen dann auf die florierende Obst- und Gemüseplantage außerhalb von Ramtha nahe der Grenze zu Syrien um, auf der Al-Dschassem auch Arbeit fand.

Dort wohnt die Familie in einem Plastikzelt. Beide Eltern haben eine Arbeitserlaubnis erhalten. Neben ihrem Stundenlohn von umgerechnet 1,30 Euro bekommen sie kostenlos Essen auf dem Hof. Insgesamt sind dort fast 1300 Arbeiter beschäftigt - mehr als 700 aus Pakistan, 300 aus Syrien und 270 aus Ägypten.

Einer der Ägypter, Ahmed Abd El Haj, äußerte sich empört über den Einstellungsstopp für neue Gastarbeiter angesichts der Öffnung des Arbeitsmarktes für Syrer. Jordanische Regierungsvertreter versicherten jedoch, dass keine langjährigen Arbeiter des Landes verwiesen würden.

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hingegen begrüßte den Stopp für Neuankömmlinge. Die Rechte von Arbeitsmigranten müssten zwar geschützt werden, sagte Maha Kataa von der ILO in Jordanien. „Aber vielleicht sollten wir keine weiteren Ägypter nach Jordanien einreisen lassen, weil wir Flüchtlinge haben, die die Arbeit machen können“.

Syrische Flüchtlinge, die nicht die Voraussetzungen für das neue Programm erfüllen, leben indes weiter in Angst. Einer von ihnen ist Emad Abdullah, der in einem anderen landwirtschaftlichen Betrieb in Jordanien arbeitet. In zwei Jahren sei es ihm bisher gelungen, den amtlichen Ausweis als Bedingung für eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, sagt er. Er habe Angst, in ein Flüchtlingslager oder zurück nach Syrien geschickt zu werden: „Wir arbeiten nur auf diesem zwei Kilometer langen Stück Land und trauen uns nicht, es zu verlassen.“

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