Abwanderung Geisterstädte in Chinas Provinz

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Einnahmequellen chinesischer Städte und Gemeinden Quelle: UBS

Zwar dürfen lokale Regierungen eigentlich keine Kredite aufnehmen. Doch die Chinesen sind kreativ. Städte und Gemeinden haben sogenannte Investitionsgesellschaften gegründet. Diese können sich frei auf dem Kapitalmarkt bedienen, denn sie gehören formal nicht zur Stadt. Mit den Darlehen finanzieren sie dann ihre Großprojekte. Victor Shih, China-Experte der Northwestern University in Chicago, hat 8000 öffentliche Bauprojekte in China untersucht und schätzt, dass Städte und Gemeinden auf diese Weise 11,4 Billionen Yuan, umgerechnet 1,3 Billionen Euro, Schulden angehäuft haben.

Die Zentralregierung in Peking versucht zwar, die Städte an die kurze Leine zu nehmen und Überinvestitionen einzudämmen. Doch der Arm der Herrscher in Peking reicht offenbar nicht mehr weit. Nach einer Umfrage des Magazins "Century Weekly" wollen 14 von 26 untersuchten Provinzen die öffentlichen Investitionen 2011 um mehr als 20 Prozent steigern. Die Provinzen Guizhou im Süden und Heilongjiang im Nordosten planen sogar ein Plus von 30 Prozent.

Auch die Banken führen zunehmend ein Eigenleben. In Chinas Planwirtschaft ist die Höhe der zu vergebenden Kredite eines der wichtigsten wirtschaftlichen Steuerungsinstrumente. Die von den Behörden festgelegte Obergrenze für neue Kredite haben die Geldhäuser 2010 jedoch um fast ein Viertel übertroffen. Darüber hinaus haben sie Darlehen in Höhe von umgerechnet 340 Milliarden Euro vermittelt, die in den Büchern gar nicht auftauchen – sogenannte graue Kredite. Die Bank gründet eine sogenannte Trust Company. Über diese leitet sie den Kredit, den sie eigentlich nicht vergeben darf, an den Kreditnehmer. Im laufenden Jahr setzt sich dieser Trend fort; allein im Januar haben die Banken ihre Kreditquote um etwa zehn Prozent überschritten.

Graue Kredite

Yang Manxi will von solchen Problemen nichts hören. Der stämmige Chinese ist Vizedirektor der Bezirksregierung von Kangbashi, einer auf dem Reißbrett entworfenen Stadt in der Steppe bei Ordos im Norden Chinas. Er steht an seinen schweren Mahagoni-Schreibtisch gelehnt und blickt aus seinem Büro über die Stadt. "Momentan ist eben niemand da", kommentiert der Funktionär die Leere in den Häuserschluchten unter ihm, "die Leute kommen aber bald nach Hause."

Doch auch nach Tagen kommt niemand. Wie in Erenhot und Zhengdong leben und arbeiten auch in den Luxussiedlungen und Bürotürmen von Kangbashi so gut wie keine Menschen. Auf fast 20 Quadratkilometern haben Yang und seine Kollegen eine neue Stadt hochziehen lassen – inklusive Finanzviertel mit sechs Wolkenkratzern und einer Formel-1-Strecke. Ein neues Dubai, eine Wirtschafts- und Finanzmetropole in der Wüste, wollten die örtlichen Funktionäre schaffen. Das Geld dafür stammt unter anderem aus den reichen Kohlevorkommen, die unter Kangbashi liegen. Eigentlich sollten laut Planung mittlerweile 300 000 Menschen in Kangbashi leben. Doch die Wohnanlagen mit ihren wohlklingenden Namen wie Imperial Academic Gardens oder Exquisite Silk Village stehen fast komplett leer.

Die spekulativen Verkäufe dagegen laufen gut. Wohnungen und Häuser im Wert von umgerechnet rund 1,9 Milliarden Euro wechselten 2009 den Besitzer. Seit 2004 ist der Preis für einen Quadratmeter Wohnraum in Kangbashi um 260 Prozent gestiegen – eine geradezu groteske Überzeichnung angesichts der nicht existierenden Wohnnachfrage. Inzwischen werden auch internationale Organisationen und Ratingagenturen nervös. Mitte April stufte Moody’s Chinas Immobiliensektor auf "negativ" herab. In seinem neuesten World Economic Outlook warnt auch der Internationale Währungsfonds vor einer Immobilienblase in China.

Opulenter als die teuren Wohnsiedlungen sind in Chinas Geisterstädten nur noch die Gebäude der Lokalregierungen. In Kangbashi führt der Weg zu dem Respekt einflößenden Bau aus Glas und Stahl über einen weiten Platz aus teurem Stein. Auch in Erenhot an der mongolischen Grenze hat sich die Regierung für ihren schicken neunstöckigen Bau aus hellem Stein einen besonderen Platz ausgesucht: am großen Kreisverkehr der Stadt – direkt neben dem Dinosaurier-Museum.

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