Achim Steiner Die klimafreundliche Wirtschaft wird unweigerlich kommen

Klimagipfel frustrieren, da Entscheidungen mit schöner Regelmäßigkeit vertagt werden. Dennoch ist die Welt dabei, ihre Wirtschaft klimafreundlich zu gestalten, sagt der Direktor des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner.

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Achim Steiner ist überzeugt, dass die Gipfel ein starkes Signal senden – zumindest an die meisten Länder. Quelle: picture-alliance/dpa/Martial Trezzini

Doha Herr Steiner, die Klimaverhandlungen in Doha kommen kaum voran. Sie vertreten die These, dass der Umbau der Wirtschaft hin zu mehr Klimafreundlichkeit auch außerhalb der Gipfel an Fahrt gewinnt. Brauchen wir solche Mega-Veranstaltungen dann noch? Achim Steiner: Durch die Klimakonferenzen und den UN-Weltklimarat hat die Welt in den vergangenen 20 Jahren ein Verständnis dafür gewonnen, was Klimawandel bedeutet und was die Konsequenzen sind, wenn wir nichts unternehmen. Zwar stecken die Verhandlungen immer wieder fest. Aber die Gipfel senden ein starkes Signal an die meisten Länder der Welt, auch an die Unternehmen.

Was für ein Signal soll das sein?

Steiner: Dass die klimafreundliche Wirtschaft unweigerlich kommen wird. Trotz aller Schwierigkeiten der Klimagipfel akzeptiert man mittlerweile fast überall, dass wir den Übergang schaffen müssen. Viele Länder haben längst begonnen zu handeln. Der Anteil von Wind, Sonne und Wasserkraft an der weltweiten Stromversorgung ist in den vergangenen fünf Jahren von 3,4 Prozent auf 20 Prozent gestiegen. Ein solch tiefgreifender Wandel in so kurzer Zeit ist historisch einmalig. Was die Regierungen ermutigt: Sie erkennen nicht nur den Handlungsbedarf, sondern es gibt auch die Möglichkeit, zu handeln.

Trotzdem steigen die weltweiten Emissionen weiter.

Steiner: Deshalb muss es auch in Zukunft Welt-Klimaverhandlungen geben. Um ihre Investitionen steuern zu können, brauchen Staaten und Unternehmen ein Signal, das in alle Ecken der Welt reicht. Ohne die Verhandlungen werden wir es nicht schaffen.

Mit ihnen vielleicht auch nicht. Wir bräuchten dringend verbindliche Emissionsziele für viel mehr Länder als bisher, und ambitioniertere Ziele für die bisherigen Teilnehmer des Kyoto-Protokolls. Eine Einigung darüber hat bisher kein Gipfel erzielen können.

Steiner: Dennoch ist dieser Prozess die beste Möglichkeit, alle Interessen an einen Tisch zu bekommen. Sie haben ja Recht: Wir sind in den vergangenen drei Jahren kaum weitergekommen. Deshalb müssen wir uns schon fragen, ob wir hier über die richtigen Lösungsansätze verhandeln. Wir müssten viel ungeduldiger werden. Die Statistiken zeigen, dass der Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft heute schon konkret begehbar wäre. Etwa 70 Prozent der Emissionsreduktionen, die wir umsetzen müssen, sind mit heutiger Technologie machbar. Wir haben die Mittel. Jetzt geht es vor allem darum, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen.

Aber noch einmal: Wie kann es in so komplexen Verhandlungen gelingen, schneller zu einer Einigung zu kommen?

Steiner: Ich sehe drei Faktoren, die das bewirken können. In den nächsten Jahren werden die Klimasignale zunehmen, das heißt wir werden extreme Wetterlagen wie Stürme oder Überschwemmungen häufiger erleben. Das kann die öffentliche Meinung so schnell verändern, dass Regierungen plötzlich unter ganz anderen Vorzeichen verhandeln. Zudem kommen wir gerade aus einer Finanzkrise, die genau zu einem Zeitpunkt eintrat, an dem der Konsens in der Klimapolitik zentral davon abhing, dass die Industrieländer den Entwicklungsländern Geld und Technologien zur Anpassung an die Erderwärmung zur Verfügung stellen. Die Krise hat das verhindert.


"Hier ist ein Pokerspiel im Gang"

Und der dritte Faktor?

Steiner: Wir hängen immer noch an der Frage fest, wie schnell die Entwicklungsländer und Industrieländer gleich behandelt werden sollen. Aber das Wachstum von Volkswirtschaften wie China und Indien ist so schnell, dass eine grundlegende Ungleichbehandlung sich auf Dauer nicht mehr rechtfertigen lässt.

Die Chinesen und Inder dürften das anders sehen.

Steiner: Kein Land begibt sich in diese Verhandlungen ohne Eigeninteresse. Hier ist ein Pokerspiel im Gang. Es geht um die Frage, wie lange diese Länder ihr Wachstum noch so vorantreiben können wie bisher. Aber das wird sich ändern. In China, Indien oder Brasilien sieht man den Klimawandel mittlerweile anders als noch vor zehn Jahren. Man betrachtet ihn nicht mehr als alleiniges Problem des Nordens, sondern hat realisiert, dass der Klimawandel alle betrifft. Indien war im vergangenen Jahr der am schnellsten wachsende Markt für erneuerbare Energien, China der größte Investor. Weltweit wurden 2012 über 200 Milliarden Dollar in Erneuerbare investiert – das ist, bezogen auf Kapazitäten zur Stromerzeugung, mehr als in alle fossilen Brennstoffe.

Bisher deutet aber nichts darauf hin, dass die jetzt schon spürbaren Klimafolgen die Bremserstaaten, zum Beispiel die USA, zum Einlenken in den zentralen Verhandlungen über Emissionsziele bringen könnten. Sind Sie da nicht zu optimistisch?

Steiner: Ich kann das Verhalten einzelner Staaten nicht bewerten. In den USA scheint es mir aber, als ob der eigentliche Streit sich gar nicht um den Klimawandel dreht. Es scheint ein Grundkonflikt zu sein über die Rolle des Staates in der Gesellschaft, und die Klimapolitik scheint ins Kreuzfeuer dieser Diskussion geraten zu sein. Wichtig ist aber, dass es hier zwar auch um die USA geht, aber nicht nur um sie...

Sondern?

Steiner: Ich schaue eher auf die Schwellenländer. China, Indien und Brasilien werden in der Öffentlichkeit wahrgenommen als Staaten, die den Klimawandel nicht ernst nehmen. Aber der Mythos, dass sie nichts täten, während die Europäer als Einzige handelten, ist faktisch widerlegbar. Brasilien zum Beispiel hat in den vergangenen Jahren durch eine konsequente Forstpolitik einen der größten Beiträge zum Klimaschutz überhaupt weltweit geleistet.

Was würden Sie sich vom deutschen Umweltminister hier in Doha wünschen?

Steiner: Herrn Altmaier öffentlich Ratschläge zu erteilen, steht mir nicht zu.

Auch keine grundsätzliche Botschaft an die deutsche Regierung?

Steiner: Deutschland kann auf seine Energiewende stolz sein. Kein anderes Land hat in einer solch kurzen Zeit eine solche Wende eingeleitet. Das ist ein Innovationsmotor. Vor allem aber werden wir durch die Energiewende zu einem Beispiel, das viele andere Länder genau beobachten. Wenn wir nun im kommenden Jahr fast ein Viertel unserer Stromversorgung aus Erneuerbaren bestreiten können, wenn der Preis an der Strombörse wegen der Erneuerbaren sinkt, sind wir schon sehr weit gekommen.


"Politik muss Interessen der Verlierer entgegenkommen"

Dennoch gibt es viel Streit in Deutschland. Was läuft schief?

Steiner: Wir haben übersehen, dass nicht jeder sofort durch die Energiewende gewinnt. Man müsste ernsthafter darüber nachdenken, wie die Politik den Interessen der Verlierer entgegenkommen kann. Ganz offen und ehrlich. Sonst findet der Lobbyismus hinter den Vorhängen statt, und ich glaube, das ist für eine gesellschaftliche Diskussion nicht zweckdienlich.

Zurück nach Doha. Was wäre ein gutes Ergebnis dieses Gipfels?

Steiner: Wenn Doha den Verhandlungsprozess durch kleine Fortschritte am Leben erhält und uns dadurch eine realistische Perspektive für das Jahr 2015 gibt. Wenn die Konferenz das nicht schafft, haben wir ein großes Problem.

Das ist ernüchternd wenig. Langfristig müsste viel mehr passieren.

Steiner: Vor allem muss der Ausstoß von Kohlendioxid weltweit mit einem Preis belegt werden. Das würde Investitionen in die richtige Richtung lenken, indem es einen Anreiz schafft, saubere, effizientere Technologien schneller auf den Markt zu bringen. Wenn wir das nicht schaffen, müssen wir mit den Instrumenten nach vorne gehen, die wir haben. Der Green Climate Fund beispielsweise ist gerade für einen Kontinent wie Afrika extrem wichtig. Afrika wird in den kommenden 20 Jahren eine Energie-Infrastruktur für 1,3 bis 1,4 Milliarden Menschen aufbauen müssen. Mithilfe von internationaler Finanzierung könnten die Staaten Afrikas auch unter heutigen Marktbedingungen in erneuerbare Energien investieren. Mit den Erneuerbaren könnte sich der Kontinent selbst versorgen und sogar Devisen verdienen. Doch wenn die Afrikaner keine Finanzhilfe erhalten, werden sie auf die fossilen Energieträger des 20. Jahrhunderts zurückgreifen.

Sie preisen immer wieder die wirtschaftlichen Chancen der erneuerbaren Energien für Entwicklungs- und Schwellenländer. Für die Ölstaaten ist Klimapolitik aber auch eine wirtschaftliche Bedrohung. Wie kann man sie in den Verhandlungsprozess mit einbeziehen?

Steiner: Im Gegenteil – die Entscheidung Saudi Arabiens, in den nächsten Jahren 100 Milliarden Dollar in Erneuerbare zu investieren, ist durch eine ganz nüchterne volkswirtschaftliche Analyse entstanden. Saudi Arabien subventioniert fossile Energie stark. Ein Drittel der Fördermenge brauchen sie, um Strom zu produzieren und Trinkwasser zu entsalzen. Wenn das so weitergeht, könnte Saudi Arabien in zehn oder zwanzig Jahren sogar zu einem Netto-Ölimporteur werden. Deshalb wird das Land in den kommenden Jahren zu einem der größten Investoren in Erneuerbare und Energieeffizienz. Die arabischen Staaten haben das Geld, den Übergang zu neuen Energien sehr schnell zu finanzieren. Deshalb verspreche ich mir von ihnen viel.

Dennoch besitzen sie mit dem Öl und Gas hohe Vermögenswerte. Es wird schwer sein, sie davon zu überzeugen, diesen Schatz ungenutzt im Boden zu lassen.

Steiner: Jeder, der hier mit am Tisch sitzt, bringt eigene Interessen mit. Keiner sollte so tun, als täten das nur die Anderen. Die Vereinten Nationen und ihre Klimagipfel sind dazu da, daraus eine globale Klimapolitik zu machen. So schmerzhaft langsam das auch voranschreiten mag.

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