Ägypten Die Moslembrüder versuchen den Aufschwung

Seite 2/4

Der Präsident ist nicht machtlos

Kleiner Beitrag zum wirtschaftlichen Ruin. Ägyptische Fahnen made in China Quelle: dpa

Alles komme jetzt ins Lot, meint Ziad Akl, Kommentator der bei allen Umbrüchen stets regierungsfreundlichen Tageszeitung "Al Ahram": Solange Mursi regiere, werde der Militärrat weiter den ägyptischen "tiefen Staat" kontrollieren. Er meint damit das Gewebe von Armee, Bürokratie, Justiz, Polizei und Geheimdiensten. Gegen das unberechenbar gewordene Volk von den jungen Gebildeten der Revolution von 2011 bis hin zu den vielen bettelarmen Landarbeitern und Arbeitslosen brauche der "tiefe Staat" einen Verbündeten, und das seien jetzt Mursis Moslembrüder. "Genauso brauchen die Moslembrüder den Militärrat, und die ägyptische Szene bleibt weiter bipolar wie die ganze Zeit seit dem Sturz von Hosni Mubarak", sagt Akl.

Was aber auch bedeutet, dass der neue Präsident keineswegs so machtlos ist, wie es nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtes aussehen mag. "Der Oberste Militärrat wird eine neue Parlamentswahl nicht unendlich hinausschieben können", sagt der Ägypten-Fachmann Yezid Sayigh vom Carnegie Middle East Center in Beirut: "Die Generäle wollen eine Verfassung, die sie über alle zivilen Gewalten stellt, aber sie wollen auch ihre direkte Rolle in der Regierungsverantwortung loswerden."

Das gilt gerade auch für solche hohen Offiziere, die sich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigen. Das sind gar nicht so wenige: Mindestens 15, nach Schätzungen bis zu 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaftsleistung werden von Unternehmen erbracht, die im Besitz der Armee oder von Versorgungskassen der Offiziere sind – das reicht von Munitionsfabriken über Versicherungen bis zu Spielwarenherstellern. "Das sind zuverlässige Geschäftspartner", versichert der Geschäftsführer eines großen deutschen Unternehmens.

Tragikomödie um den Staatshaushalt

Es sind aber auch Unternehmen, deren Chefs ihren politischen Einfluss auch dazu genutzt haben, Wettbewerber vom Markt zu drängen und mit Wehrpflichtigen in der Belegschaft Betriebskosten zu minimalisieren. Eine Struktur, die Mursi und seine Mitarbeiter kaum aufbrechen werden. "Wollen sie vielleicht auch gar nicht", sagt ein ägyptischer Gesprächspartner, der seit Jahrzehnten für einen deutschen Arbeitgeber in Kairo arbeitet: "Die Moslembruderschaft hat ein ähnliches Wirtschaftsimperium aufgebaut, mit einem Kapitalwert um die 400 Millionen Dollar. Jetzt werden sich die beiden oligopolen Netze, Armee und Bruderschaft, miteinander arrangieren."

Die entsprechenden Absprachen finden wahrscheinlich hinter den Kulissen statt, weitab von der permanenten Volksversammlung auf dem Tahrir-Platz in den edlen Kairoer Vororten Heliopolis und Zamalek. Sichtbare Wirtschaftspolitik dagegen ist die Tragikomödie um den Staatshaushalt. Weil das ägyptische Haushaltsjahr immer am 1. Juli beginnt, wurde den Ägyptern gleichzeitig mit dem frisch gewählten Präsidenten auch das neue Budget präsentiert, ein Werk der vom Militär eingesetzten bisherigen Übergangsregierung, verabschiedet vom Obersten Militärrat, der bis auf Weiteres alle Befugnisse des aufgelösten Parlaments innehat.

Ein Haushalt von umgerechnet knapp 67 Milliarden Euro wäre eigentlich nicht zu umfangreich für ein Land mit annähernd 84 Millionen Einwohnern. Wäre da nicht das Budgetdefizit. Es beträgt katastrophale 10,6 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), vor allem darum, weil das ägyptische Steueraufkommen höchstens 15 Prozent des BIPs beträgt. Im Vergleich zu den ägyptischen Steueraufkommen sind wahrscheinlich sogar die griechischen extrem effizient.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%