Ägypten lockert Druck Hoffnungsschimmer für Gaza

Eine zerstörte Wirtschaft, hohe Arbeitslosigkeit, kaum Bewegungsfreiheit – die Menschen im Gaza-Streifen leiden schwer unter der Blockade durch Israel und Ägypten. Doch deren stille Partnerschaft scheint nun am Ende.

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In den vergangenen Monaten hat Kairo die Zahl der Menschen erhöht, die den Grenzübergang Rafah, Gazas Haupttor zur Außenwelt, passieren dürfen. Quelle: AP

Rafah Über Jahre hinweg war Ägypten bei der Blockade des von der radikalislamischen Hamas regierten Gaza-Streifens ein stiller Partner Israels. Die Bewegungsfreiheit der zwei Millionen Menschen in dem kleinen Palästinensergebiet an der Mittelmeerküste wurde weitgehend eingeschränkt, die Wirtschaft erstickt. Jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass Ägypten seinen Druck lockert – ein Schritt, sein zerbrochenes Verhältnis zur Hamas zu reparieren.

In den vergangenen Monaten hat Kairo die Zahl der Menschen erhöht, die den Grenzübergang Rafah, Gazas Haupttor zur Außenwelt, passieren dürfen. Zum ersten Mal seit 2013 durften auch kommerzielle Waren via Rafah importiert werden. „Ägypten hat einen Ball der Hoffnung geworfen“, formuliert es Aschraf Jomaa, ein Gemeindeführer in Gaza, der an jüngsten Gesprächen mit ägyptischen Offiziellen über eine Verbesserung der Beziehungen teilgenommen hat. „Die Frage ist, wie wir, die Palästinenser, diesen Ball auffangen und die Hoffnung weiterentwickeln sollten.“

Der Wandel steckt zwar noch in den Anfängen, aber bedeutet eine bemerkenswerte Abkehr vom harten Kurs der vergangenen drei Jahre, seit das ägyptische Militär den damaligen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtete. Hamas, ein Ableger von Mursis Muslimbruderschaft, hatte sich enger Beziehungen zu ihm erfreut und fiel unter der neuen Regierung von Abdel Fattah al-Sisi in Kairo schnell in Ungnade. Ägypten zerstörte ein einst verkehrsreiches Netzwerk von Schmuggel-Tunneln unter der Grenze weitgehend und damit die wirtschaftliche Hauptlebensader von Hamas und Gaza.

Ägypten nahm auch militante islamische Gruppen in seiner nördlichen Sinai-Wüste ins Visier, riss Hunderte von Häusern ab, um im Grenzgebiet eine „sterile Zone“ zu schaffen. Die staatlichen Medien des Landes haben Hamas wiederholt vorgeworfen, mit Militanten in Ägypten zusammenzuarbeiten, was die Gruppe aber bestreitet.


Tausende Menschen wurden vertrieben

Das radikale Vorgehen hat sich auf beiden Seiten der Grenze verheerend ausgewirkt. Die Olivenbäume und Palmen, die einst die 45 Kilometer lange Straße von Rafah nach Al-Arisch, der Provinzhauptstadt des nördlichen Sinai, säumten, sind verschwunden. Sogar kleine Büsche verdorrt. Die Straße ist voll von Kontrollpunkten, Panzern und mobilen Artillerieeinheiten - bemannt mit nervösen jungen Soldaten.

In der Stadt Scheich Suwaid, wo Reisende früher oft anhielten, um ägyptische Mobiltelefonkarten und Snacks zu kaufen, wurden die Läden ausgeräumt, die Türen sind ausgebombt. Von Kugeln durchsiebte Häuser wurden zu militärischen Positionen, mit Sandsäcken an den Fenstern und Scharfschützen auf den Dächern.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schätzt, dass Tausende Menschen vertrieben wurden. In Gaza haben die jahrelangen ägyptischen Restriktionen, verbunden mit einer israelischen Blockade und drei Kriegen zwischen Hamas und Israel, die Wirtschaft kaputt gemacht. Nach Schätzungen der UN und anderer internationaler Einrichtungen liegt die Arbeitslosenquote bei 43 Prozent. Und Hamas hat Mühe, die Gehälter der 40.000 Polizisten und Zivilbeamten zu zahlen. Diese hatte sie 2007 angeheuert, als sie die Macht ergriff.

Die israelische Seeblockade – begründet mit der Notwendigkeit, Waffenschmuggel zu verhindern – bedeutet, dass die meisten Waren über israelisch kontrollierte Gütertransport-Grenzübergänge nach Gaza gelangen. Die meisten Produkte sind zwar erhältlich, aber das Angebot an Benzin, Zigaretten und bestimmten anderen Waren ist knapp, was zu massiven Verteuerungen geführt hat. Es mangelt auch weiterhin an dringend benötigtem Material zum Wiederaufbau von Häusern, die in einem Krieg 2014 beschädigt oder zerstört wurden.


Hamas-Topanführer darf ins Ausland reisen

Aber Ägyptens jüngste Kurskorrektur hat bereits erste Verbesserungen gebracht: Allein in den vergangenen sechs Monaten war der Übergang Rafah an mehr als 40 Tagen geöffnet, im Vergleich zu gerade mal 26 im gesamten Jahr 2015. Tausende Menschen konnten Gaza verlassen – um woanders zu arbeiten, Familien zu besuchen oder sich medizinisch behandeln zu lassen.

Im November durfte Ismail Hanijeh, einer der Hamas-Topanführer, das erste Mal seit Mursis Sturz 2013 ins Ausland reisen. Erstmals erlaubte Ägypten auch einen Gütertransport via Rafah nach Gaza, darunter waren 40 neue Autos, Teer und Farbtöpfe.

Zudem hat Ägypten unlängst drei Delegationen von Geschäftsleuten, Akademikern, Gemeindeführern und Journalisten aus Gaza zu halboffiziellen Konferenzen nach Kairo eingeladen. Teilnehmern zufolge wurde dabei auch über die Schaffung einer Handelszone zwischen Ägypten und dem Palästinensergebiet gesprochen. Hamas hat damit begonnen, ein Stück Land auf der palästinensischen Seite des Grenzübergangs zu bepflastern – nach Medienberichten zum Empfang künftiger Importe aus Ägypten.

Bei einem jüngsten Treffen erklärten ägyptische Vertreter, Kairo sei an der „Öffnung eines neuen Kapitels“ im Verhältnis zu Gaza interessiert, wie ein Teilnehmer schilderte. „Wir schätzen weiterhin die Lage ein – und es wird ein langer Dialog, bevor wir bessere Beziehungen erreichen.“

Hamas hat die Bewegung auf der ägyptischen begrüßt und die Bereitschaft erklärt, alle noch verbliebenen Tunnel unter der Grenze zu schließen, wenn die kommerziellen Aktivitäten auf dem Land zunähmen. Dann bräuchte man die Tunnel nicht mehr, sagte Mahmud Sahar, ein hochrangiger Hamas-Vertreter.

Bisher ist unklar, wie weit Ägypten bei der Lockerung gehen wird. Kairo ist nach wie vor in einen Kampf gegen islamische Extremisten im Sinai verstrickt. Und das Land befürchtet, dass Militante Tunnel benutzen könnten, um zu entkommen oder bei Hardlinern des bewaffneten Hamas-Flügel beschaffte Sprengsätze nach Ägypten zu bringen. Experten erwarten daher einen langsamen und vorsichtigen Wandel – der zum großen Teil von den eigenen Hamas-Handlungen abhängen könnte.

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