Ägypten Die Moslembrüder versuchen den Aufschwung

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Mit Hilfen finanzielles Chaos kompensieren

Eine Straße in Kairo Quelle: dpa

All das wird jetzt mangels finanzieller Mittel ausbleiben, selbst wenn der IWF seine Ankündigung wahr macht, einen seit Monaten verhandelten Kredit über 3,2 Milliarden Dollar auszuzahlen, sobald in Kairo eine ordentliche Regierung am Ruder ist. Auch die reichen arabischen Nachbarn wollen ihre Hilfsversprechen aus dem Revolutionsjahr 2011 erst einlösen, wenn der IWF gezahlt hat: Gerade die Saudis haben aus politischen wie religiösen Gründen weder für die ägyptischen Generäle noch für Mursis Moslembrüder viel übrig. In Saudi-Arabien ist der lokale Ableger der Bruderschaft seit Langem verboten.

Schmerzgrenze erreicht. Wachstumsraten von Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerung in Ägypten

Mit den neuen Hilfen aus dem Ausland könnte Ägypten das finanzielle Chaos zunächst einmal vermeiden. Das Ungleichgewicht der Handelsbilanz ließ sich 2011 nur kompensieren, indem der ägyptische Staat seine Devisenreserven von anfangs noch 36 Milliarden Dollar halbierte. Weil sich das nicht mehr lange fortsetzen lässt, könnte es schon in wenigen Monaten zu einer dramatischen Abwertung der Landeswährung, Kapitalflucht, starkem Zinsanstieg und unkontrollierbarer Inflation kommen. Es sei denn, die Regierenden in Kairo sorgen für das nötige Vertrauen von internationalen Kreditgebern und Investoren sowie einheimischen Unternehmern.

Das ist nicht ganz ausgeschlossen. Unter Ausländern, die im chaotischen Revolutionsjahr 2011 ausgeharrt haben, macht sich vorsichtiger Optimismus breit. "Der Tourismus hat sein tiefes Tal hinter sich, und die Industrieproduktion bewegt sich auf Normalniveau", sagt Kammergeschäftsführer Herret. Der Anlagenbauer Uhde Engineering zum Beispiel, Tochter von ThyssenKrupp, ist seit drei Jahrzehnten mit wachsendem Erfolg in Ägypten aktiv und baut Anlagen für die chemische Industrie.

Probleme mit dem Tourismus

Da besteht eine ständig wachsende Nachfrage: Unbeachtet von den Beobachtern der politischen Dramen in Kairo, hat sich entlang des Nils in den vergangenen Jahren eine florierende und moderne Landwirtschaft entwickelt, die Gemüse und Blumen, Kartoffeln und fertige Tiefkühl-Pommes nach Europa exportiert. Und diese Landwirtschaft braucht Düngemittel, die Ägypten heute noch zum großen Teil aus aller Welt importieren muss. Vom Ausbau der Landwirtschaft würden gerade Mursis treueste Anhänger in den Bauerndörfern profitieren. Und Förderung der Infrastruktur auf dem Land gehört zu den zentralen Forderungen der Moslembrüder.

Mit anderen Wirtschaftszweigen dagegen haben die Brüder ihre Probleme. Allen voran der Tourismus: Nichts hat weltliche Kritiker der frommen Ägypter in den vergangenen Monaten so erbost wie die unendlichen Debatten im inzwischen aufgelösten Parlament über die Frage, ob man Alkohol in Hotelbars und Bikinis an den Stränden verbieten solle, ob abgezäunte Sonderbadeplätze für sündiges Touristenvolk die Lösung wären oder die Umorientierung des Tourismus auf Glaubensbrüder von der arabischen Halbinsel. Alles folgenlos, und so wird es bleiben, erwartet der Top-Manager Graiss. "Mursi wird sich hüten, den Tourismus mit seinen acht Millionen Arbeitsplätzen zu sabotieren – wenn nicht, haben wir in zwei Jahren einen neuen Präsidenten!"

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