Im Nieselregen von Berlin hat Sameh Schoukry ein Marathon-Programm vor der Brust: Er trifft Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD), zudem diverse Abgeordnete und Vertreter von Unternehmen. Für alle hat er ein- und dieselbe Botschaft im Gepäck: „Wir sind mit unseren Wirtschaftsreformen auf Kurs“, verspricht er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.
Ägypten sei eine „Insel der Stabilität“, auch wenn das Meer wegen der Konflikte ringsherum rauer werde, so Schoukry. Jedenfalls sei Ägypten heute in politischer Hinsicht stabiler als vor dem Umsturz 2011, glaubt der frühere Botschafter in Berlin. Man habe mit besseren Gesetzen und dem Kampf gegen Korruption „ein Klima geschaffen, das förderlich ist für Investitionen“.
Investitionen hat Ägypten in der Tat bitter nötig – denn Kairo steht vor dem Staatsbankrott. Nach dem Militärputsch, der im Sommer 2013 den General Abdel Fattah al-Sisi an die Macht gespült hatte, pumpten die Ölscheichs aus Saudi-Arabien, Kuweit und den Emiraten zunächst horrende Finanzhilfen ins Land. Beobachter schätzen das Gesamtpaket aus Zuwendungen, Krediten und Öllieferungen vom Golf auf 24 bis 36 Milliarden Dollar. Wegen des niedrigen Ölpreises werden die arabischen Spender aber selbst klamm – und drehen Kairo den Geldhahn ab.
Die Geschichte des Suezkanals
Außenminister Schoukry dankt freundlich für die „substanziellen Hilfen“ der Partner. Aber sein Land müsse es schaffen, auf eigenen Füßen zu stehen. „Wir benötigen ausländische Investoren, die Arbeitsplätze für unsere junge Bevölkerung schaffen“, sagt er. Zugleich strenge man sich aber auch an, die Produktivität und Effizienz im Land zu verbessern. Gewaltige Infrastrukturprojekte wie die Erweiterung des Suez-Kanals habe Kairo bereits vorangetrieben. Davon würden auch ausländische Unternehmen profitieren.
Ein weniger rosiges Bild zeichnen deutsche Experten wie Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): „Das Umfeld für Investoren ist unter al-Sisi nicht stabiler, sondern schlechter geworden“, sagt der Berliner Politikberater. „Wirtschaftspolitisch ist keine klare Strategie erkennbar und sicherheitspolitisch setzt er auf Exklusion.“ Die Folge seien wachsende Spannungen im Land, die sich „eruptiv“ entladen können. Zudem radikalisierten sich viele Regimegegner, die nicht an ökonomische Fortschritte glauben oder aus politisch-religiösen Gründen ausgeschlossen sind. Roll folgert: „In solch einem Umfeld investiert kein deutsches Unternehmen, sondern es ziehen sich im Gegenteil immer mehr Investoren zurück.“
Starke Verhandlungsposition
SWP-Fachmann Stephan Roll ist überzeugt: „Für die Ägypter ist das Hauptziel der Berlin-Reise, an Kredithilfen zu kommen und so ihre Zahlungsfähigkeit zu erhalten.“ Die Devisenreserven würden lediglich ausreichen, um die Importe von drei Monaten zu decken. Der Einbruch beim Tourismus laste zudem schwer auf der Wirtschaft, die Rezession bleibt Tatsache. Gleichwohl sei das Land „too big to fail“, also zu groß und bedeutend, um es insolvent gehen zu lassen – gerade jetzt, da der Nahe Osten ohnehin brennt.
Die Gegner des Islamischen Staates
Die mächtigste Militärmacht der Welt führt den Kampf gegen den IS an. Seit mehr als einem Jahr bombardiert die US-Luftwaffe die Extremisten in Syrien und im Irak. An ihrer Seite sind auch Jets aus Frankreich und anderen westlichen Staaten sowie aus arabischen Ländern im Einsatz. Washington hat zudem US-Militärberater in den Irak entsandt, die Bagdad im Kampf am Boden unterstützen.
Moskaus Luftwaffe fliegt seit Ende September Luftangriffe in Syrien. Sie sollen nach Angaben des Kremls den IS bekämpfen. Der Westen und syrische Aktivsten werfen Russland jedoch vor, die meisten Luftangriffe richteten sich gegen andere Rebellen, um so das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu unterstützen.
Deutschland liefert seit mehr als einem Jahr Waffen an die Kurden im Norden des Iraks, darunter die Sturmgewehre G3 und G36 und die Panzerabwehrwaffe Milan. Die Bundeswehr bildet zudem kurdische Peschmerga-Kämpfer für den Kampf am Boden aus.
Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar und Jordanien unterstützen die USA bei den Luftangriffen. Vor allem Saudi-Arabien und Jordanien sehen den IS als Gefahr, weil die Extremisten bis an ihre Grenzen herangerückt sind.
Sowohl im Norden Syriens als auch im Nordirak gehören die Kurden zu den erbittertsten Gegnern des IS. Die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) im Syrien und die Peschmerga im Irak konnten den Extremisten empfindliche Niederlagen beibringen. Unterstützt werden sie von mehreren westlichen Staaten.
Das irakische Militär geht in mehreren Regionen des Landes gegen den IS vor. Allerdings kann sie nur wenige Erfolge vorweisen. Seit Monaten versucht die Armee erfolglos, die westirakische Provinz Al-Anbar zu befreien. Unterstützt wird sie von schiitischen Milizen, die eng mit dem Iran verbunden sind.
Sie bekämpfen das Regime und den IS. Das gilt auch für die Nusra-Front, syrischer Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Sie teilt die Ideologie des IS, ist aber mit ihm verfeindet.
Auch das syrische Militär geht gegen den IS vor. Kritiker werfen dem Regime jedoch vor, es greife vor allem andere Rebellen an und lassen die Extremisten gewähren. Auffällig ist, dass sich die meisten syrischen Luftangriffe nicht gegen den IS, sondern gegen Regionen unter Kontrolle anderer Gruppen richten.
So gesehen, ist die deutsche Politik in einer starken Verhandlungsposition: Etwaige Hilfen für die angeschlagenen Ägypter würden sicherlich voraussetzen, dass Kairo eine konstruktive Rolle bei der Lösung des Syrien-Konflikts, der Stabilisierung des Chaos im Libyen und bei der Vermittlung zwischen Iran und Saudi-Arabien spielt.
Genau dies verspricht Minister Schoukry denn auch im WiWo-Interview: „Wir dürfen nicht zulassen, dass politische Krisen, in denen die Religion instrumentalisiert wird, ausarten in sektiererische religiöse Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten.“ Und in Syrien müssten sich sowohl die Opposition als auch das Regime in Damaskus an den Tisch setzen: „Am Verhandlungstisch kann ein Frieden erreicht werden, sofern die beteiligten Parteien in Syrien das wirklich wollen.“
Solch moderate Töne kommen in Berlin zweifelsfrei gut an. Die Frage ist nur, welchen Einfluss die ökonomisch geschwächte Regierung in Kairo auf einen syrischen Diktator Baschar al-Assad hat – oder auf das saudische Königshaus in Riad. Skeptisch sieht das SWP-Experte Roll: „Ägypten hat zwar eine große Armee, aber es ist keine Großmacht. Als Vermittler wird Kairo im Nahen Osten nicht ernst genommen.“