Ärzte schlagen Alarm Paris ächzt unter einer Smog-Kuppel

Die Pariser schnappen nach Luft, während ihre Verantwortlichen sich im Polit-Kindergarten streiten. Seit einer Woche hält über der Hauptstadtregion eine Kuppel aus warmer Luft die Schadstoffe am Boden fest.

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Seit zehn Jahren war die Luftverschmutzung in Paris nicht mehr so hoch wie derzeit. Quelle: AFP

Paris Den Ärzten im Großraum Paris reißt der Geduldsfaden angesichts des wirkungslosen Palavers der Politiker in der Smog-Krise. „Wir brauchen jetzt endlich mutiges Handeln“, sagte Gilles Dixsaut, der den Verband der Fachärzte für Atemwegserkrankungen leitet, am Donnerstag in Paris. Kollegen von ihm drohten gar mit einer Klage gegen die verantwortlichen Politiker „wegen unterlassener Hilfeleistung“.

Seit einer Woche hält eine Kuppel aus warmer Luft über der Hauptstadtregion die Schadstoffe am Boden fest. Gleichzeitig führen die verantwortlichen Politiker von Paris und der umgebenden Region Ile de France einen unbeschwerten Kleinkrieg.

Bürgermeisterin Anne Hidalgo von den Sozialisten rühmt ihren Kampf gegen den Diesel und vertritt das geltende partielle Fahrverbot, während die konservative Präsidentin der Region, Valérie Pécresse, freie Fahrt fordert. Begründung: Der Regionalverkehr – für den sie zuständig ist – funktioniere derzeit nicht richtig!

Seit der vergangenen Woche liegen vor allem die Partikelwerte sehr hoch. Auch die Stickoxid-Belastung ist heftig. Die zuständige Messbehörde Airparif gab am Donnerstag einen Durchschnittswert von 90 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an für Partikel, die kleiner sind als zehn Mikron. Diese vor allem aus Dieselmotoren stammenden Teilchen sammeln sich in den Atemwegen an. Es kratzt und brennt in den Bronchien, die Augen tränen, Kopfschmerzen und Mattigkeit stellen sich ein. Partikel lösen akute Erkrankungen bis hin zu Lungenentzündungen aus. Langfristig sind sie wesentlich gefährlicher. Vor allem die kleinsten Partikel unter 2,5 Mikron gelangen in die Blutbahn, von dort in alle Organe und können Krebs auslösen.

Seit zehn Jahren war die Luftverschmutzung nicht mehr so hoch wie derzeit. Die Stadt Paris wollte schon vergangene Woche mit einem Fahrverbot reagieren. Denn bis zu 60 Prozent der Partikel stammen aus dem Straßenverkehr. Doch wie schon öfter in der Vergangenheit bremste der Präfekt, der Vertreter der Regierung, nicht den Verkehr, sondern den Umweltschutz. Deshalb trat das teilweise Fahrverbot erst am Dienstag in Kraft, derzeit ist es bis einschließlich Freitag verlängert. Die Inversionswetterlage, die zu der unbeweglichen Haube aus verpesteter Luft führt, dürfte allerdings noch länger anhalten.

Inzwischen sind auch andere Städte wie Lyon und Villeurbanne betroffen, die ebenfalls tageweise nur Autos mit gerader oder ungerader Nummer fahren lassen. Der öffentliche Nahverkehr ist gratis. Doch der Effekt der Verkehrsbeschränkung ist minimal: Wie Airparif, in Paris für die Messung der Luftqualität zuständige Behörde, mitteilt, halten sich nur zehn bis 20 Prozent der Fahrzeughalter an das Fahrverbot.

Die einfache Beobachtung am Straßenrand reicht, um das zu bestätigen. Donnerstag war ein „gerader“ Kalendertag, eigentlich durften nur Autos mit gerader Nummer fahren. Doch ungerührt preschen auch die dicksten SUV mit ungerader Nummer über die Pariser Boulevards. Polizisten stehen daneben und schauen untätig zu. Sollten sie wider Erwarten dennoch jemanden anhalten, ist die Buße schnell verschmerzt: Schlimmstenfalls 35 Euro muss zahlen, wer trotz Fahrverbot Gas gibt.

Ohnehin existieren zahlreiche Ausnahmen: Für alle Autos, die „mit öffentlichem Auftrag“ unterwegs sind, sämtliche Lieferwagen, Taxis, Lastwagen, die Lebensmittel transportieren, Baustellenfahrzeuge, Busse, Autos von Händlern in der Stadt, Diplomaten und Ausländern. Sogar Journalisten sind ausgenommen.

Die Bürger von Paris und der Ile de France zahlen einen hohen Preis für die Untätigkeit ihrer Politiker. Während in anderen europäischen Ländern mittels der Feinstaub-Plakette schon vor Jahren die schlimmsten Stinker zumindest aus den Innenstädten verbannt wurden, hat Frankreich sich damit Zeit gelassen. Erst im nächsten Jahr tritt in Paris eine Plaketten-Pflicht für Autos in Kraft, die es erleichtert, Fahrverbote durchzusetzen: Wenn die Behörden es denn wirklich wollen.


Tausende sterben an den Folgen der Luftverschmutzung

Obwohl sie besondere Beachtung finden, sind die Tage mit besonders hoher Schadstoffbelastung nicht die eigentliche Gefahr. „Die geht von der hohen Luftverschmutzung aus, denen die Bürger das ganze Jahr über ausgesetzt sind“, sagt der Facharzt Dixsaut. 93 Prozent der gefährlichen Erkrankungen seien darauf zurückzuführen. Die Partikel gelangen auch dann ins Blut, wenn die politisch festgelegten Alarmwerte nicht überschritten werden. Im Großraum Paris schätzt die staatliche Gesundheitsbehörde die Zahl der Menschen, die an den Folgen der Luftverschmutzung sterben, auf 6500, in ganz Frankreich auf 48.000.

48.000, das entspricht mehr als zwei Dritteln der Todesopfer, die der Tabakkonsum jährlich fordert. Dennoch wird deutlich weniger gegen die heimtückische Luftverpestung unternommen, der man sich nicht entziehen kann, als gegen das Rauchen. Bis in die jüngste Vergangenheit hat die heimische Autoindustrie gemeinsam mit der ausländischen erfolgreich Lobbyarbeit für den besonders schadstoffintensiven Diesel gemacht und dessen steuerliche Förderung durchgesetzt.

Paris hat seit dem Sommer Autos aus der Innenstadt verbannt, die älter sind als 20 Jahre. Das ist immerhin ein Anfang, auch wenn man über die Effekte streiten kann: Schließlich stehen die Schadstoffwolken nicht an der Stadtgrenze stramm und machen kehrt. „Ab dem Jahr 2015 lassen wir gar keine Dieselfahrzeuge mehr in die Innenstadt“, sagte Bürgermeisterin Hidalgo am Donnerstag. Kein wirklicher Trost für die Menschen, die unter dem Smog leiden.

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