Afghanistan „Hier wird gekämpft und auch gestorben“

Zum Jahreswechsel endet der Kampfeinsatz in Afghanistan – doch nicht für Oberst Greggersen. Er bleibt als Berater. Nicht, um die Soldaten im Kampf gegen die Taliban anzuleiten. Doch Nachhilfe haben sie trotzdem nötig.

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huGO-BildID: 29949567 ARCHIV - Ein Bundeswehrsoldat marschiert am 26.08.2011 nahe Kundus während einer Mission durch die Wüste. Bei einem Gefecht in der nordafghanischen Stadt Kundus sind nach afghanischen Angaben vier Aufständische und zwei Polizisten getötet sowie ein deutscher Soldat verletzt worden. Foto: Wolfgang Kumm/dpa (Zu dpa vom 21.02.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Quelle: dpa

Camp Schahin/Kabul Das Ende des Kampfeinsatzes am Hindukusch wird den Arbeitsalltag von Oberst Thomas Greggersen nicht durcheinanderbringen: Auch nach dem Jahreswechsel wird der Offizier weiter morgens im Hauptquartier in Masar-i-Scharif in den Hubschrauber steigen, sich die knapp 25 Kilometer ans andere Ende der Stadt fliegen lassen und dort im Camp Schahin nach seinen Schützlingen schauen.

Der riesige Stützpunkt beherbergt das Hauptquartier des 209. Korps der afghanischen Armee, dessen knapp 14.800 Soldaten im Norden des Landes für Sicherheit sorgen. Sein Kommandeur ist General Salmai Wesa, und Greggersens Aufgabe ist es schon seit Monaten, den Paschtunen zu beraten.

Wie Greggersen geben laut Bundeswehr weitere etwa 70 deutsche Soldaten als hauptamtliche Berater oder neben ihrem eigentlichen Job den afghanischen Offizieren Hilfestellung. Mit dem Ende des Kampfeinsatzes am 31. Dezember ist dies das Herzstück des Einsatzes, für den dann noch bis zu 850 deutsche Soldaten am Hindukusch bleiben werden. An diesem Sonntag ist Stabübergabe.

Den Kampf gegen die Taliban müssen die Afghanen schon seit Mitte 2013 weitgehend allein stemmen.

Im Kampf benötigen die Afghanen nach den Worten Greggersens nach 30 Jahren Krieg auch keine Nachhilfe: „Hier wird Tag für Tag gekämpft und auch gestorben“, sagt der Soldat, auf dessen Abzeichen am Ärmel klein das grüne Isaf-Logo über dem großen, orangefarbenen Falken („Schahin“) prangt, dem Wappentier des 209. Korps. „Im Gefecht sind sie gut, sie kennen sich besser draußen aus als wir.“ Die afghanischen Soldaten und Polizisten zahlen dafür allerdings einen hohen Preis: Allein in den ersten acht Monaten des Jahres starben knapp 3500 von ihnen im Kampf gegen die Taliban und andere Kriminelle.

In anderen Bereichen als dem Kampf haben die Afghanen nach den Worten Greggersens Nachholbedarf - etwa bei der Ausbildung, der Logistik oder der Operationsplanung. So hätten die afghanischen Soldaten zwar einen großen Fuhrpark, aber die Ersatzteilbestellung gehe oft schief.

Greggersen ist der Chef der 50 ausländischen Berater, unter ihnen acht Deutsche. Der Hubschrauber setzt sie morgens in einem abgetrennten Teil des Stützpunkts ab, der von kroatischen Soldaten gesichert wird. Die Soldaten nennen das kleine Lager im Lager ihren „Safe Haven“: Bei einem Anschlag können sie hier Zuflucht suchen. Die Anschläge von Überläufern in den Reihen der afghanischen Sicherheitskräfte sind zwar seltener geworden, die Gefahr ist aber nicht gebannt. „Das bekommt man nie in den Griff, das sieht man in Kabul“, spielt Greggersen, der stets von Leibwächtern begleitet wird, auf die jüngsten Anschläge in der Hauptstadt an. Und in Camp Schahin arbeiten die Berater Tag für Tag inmitten von rund 4000 afghanischen Soldaten.


Es wird es noch viel zu tun geben

Die deutschen Soldaten beraten allerdings nicht nur das Militär: Im 300 Kilometer entfernten Kabul sind einige der knapp ein Dutzend deutschen Berater in der Hauptstadt auch im Gesundheits- und dem Verkehrsministerium eingesetzt. Einer von ihnen ist Oberst Frank Gräfe, in Deutschland Chef eines Luftwaffengeschwaders. Er soll die Afghanen fit dafür machen, irgendwann die Flugsicherung in ihrem Land zu übernehmen. Bisher erledigt das die US-Armee, aber in einigen Monaten läuft der Vertrag aus. Die besondere Herausforderung für Gräfe ist, dass er nicht auf alte Fundamente aufbauen kann. „Sie können afghanische Ärzte aus Deutschland zurückholen, es gibt aber auf der ganzen Welt keine afghanischen Fluglotsen“, sagt er.

Die Flugsicherung ist eine wichtige Einnahmequelle für den Staat, der seinen Haushalt großteils mit ausländischen Hilfsgeldern finanziert. Täglich überquerten 266 Flugzeuge Kabul, jedes müsse dafür 400 Dollar bezahlen, sagt Gräfe. Im Jahr mache das 40 Millionen Euro aus, also etwa drei Prozent des selbst erwirtschafteten Staatseinkommens. Gräfes Vorzeigeprojekt ist der Kabuler Flughafen, der 30 bis 40 Flüge täglich abfertige und sich mit seinen Einnahmen bereits selbst trage.

Oberfeldarzt Daniel Möbius soll in Afghanistan unter anderem dafür sorgen, dass die zivilen Krankenhäuser den Standard der deutlich besser ausgestatteten Kliniken von Armee, Polizei und Geheimdienst erreichen. Ein Beispiel für das Missverhältnis: Das Militär verfügt nach den Worten des deutsche Arztes über 3500 Krankenwagen, während die zivilen Hospitäler in ganz Afghanistan mit 500 Krankwagen auskommen müssten. Die normalen Kliniken seien nicht so schlecht, wie man es im ersten Moment annehmen würde, sagt der Offizier. Die Ärzte seien meist gut ausgebildet, hätten aber mit Geldmangel und Chaos zu kämpfen. „Es kann sein, dass sie an einem guten Tag einen Container Antibiotika geliefert bekommen: Die werden dann für alles eingesetzt, was gerade anfällt.“ Auf dem Land kämpften die Kliniken mit ganz trivialen Dingen wie Wasser- und Stromversorgung.

Die Afghanen dürften sowohl für die Flugsicherung als auch für das Gesundheitswesen nach Einschätzung der deutschen Berater noch lange auf Finanzspritzen aus dem Ausland angewiesen sein. Die Beratermission der ausländischen Truppen ist allerdings nur bis 2016 angesetzt. Aus den Regionen werden sich die Soldaten möglicherweise schon früher zurückziehen und nur noch in Kabul präsent sein, auch wenn Verteidigungsminister Ursula von der Leyen andeutete, dass die Bundeswehr vielleicht auch 2016 noch in Masar-i-Scharif sein könnte. Abhängig ist dies davon, ob die USA ihre Abzugspläne wahrmachen oder nach den Erfahrungen im Irak doch noch länger mehr Truppen am Hindukusch lassen.

Gräfe ist dennoch zuversichtlich. „Wenn wir das Land verlassen, wird es noch viel zu tun gebe“, prognostiziert er. Der Samen sei gesät, die Afghanen müssten ihn nun gießen und pflegen. Der Chef der deutschen Berater in Kabul, Oberst Kai-Uwe Stumpf, zieht ein ähnliches Fazit. Der neue Präsident Aschraf Ghani habe erstaunlich viel Schwung in alles hineingebracht, lobt er. Letztlich liege es an den Afghanen. „Ob es durchhaltefähig sein wird, ist die Frage in allen Bereichen“, sagt Stumpf und zuckt mit den Schultern: „Sie haben die Chance, etwas daraus zu machen. Ob sie es tun, ist ihre Sache.“

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