Afrika Ägypten wirbt um Investoren

Mit wirtschaftsfreundlicher Politik trotzt Ägypten der Weltkrise und lockt Investoren an – die deutsche Industrie kümmert sich aber kaum um das größte arabische Land.

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Alexandria in Ägypten Quelle: AP

Ahmed Amin, Direktor der neuen Freihandelszone am Golf von Suez, ist stolz auf die ambitionierten Pläne für eine Retortenstadt zwischen Wüste und Meer, für Industrieanlagen und einen neuen großen Hafen. Das Projekt Ain Sokhna wird als Joint Venture mit einem Baukonzern aus der chinesischen Hafenstadt Tianjin entwickelt. Zu sehen ist noch nicht viel. Doch heute schon, so lesen wir bei einer PowerPoint-Präsentation, ist das Gebiet als „Qualified Industrial Zone“ anerkannt.

Was das ist, erklärt Amin offenbar nur sehr ungern: Qualifizierte Industriezonen sind Gebiete auf ägyptischem Territorium, aus denen zollfrei in die USA exportiert werden kann, sofern das Exportgut einen bestimmten Anteil israelischer Vorprodukte enthält. Beziehungen zum früheren Kriegsgegner sind den Ägyptern grundsätzlich peinlich, die Haltung ihrer Regierung zum israelisch-palästinensischen Konflikt ist ein Tabu. So etwas wie die unübersichtlichen Vorgänge an der vor ein paar Tagen überraschend geöffneten Grenze Ägyptens zum Gazastreifen passen nicht ins Bild eines stabilen und modernen Landes, das Ägypter wie Amin präsentieren wollen. Statt nach Nordosten auf die Sinai-Halbinsel schickt er seine Besucher lieber weiter nach Süden, zum Windpark Zafarana am Ufer des Roten Meeres. „Ain Sokhna braucht noch ein paar Jahre – aber in Zafarana sehen Sie heute schon das neue Ägypten!“

Boom dank Reformpolitik

Das neue Ägypten sieht der Nordseeküste recht ähnlich. Doch während deutsche Windparks aus maximal 80 oder 90 Windrädern bestehen, stehen in Zafarana 322 Windkraftanlagen zwischen Wüste und Meer. Bis 2020 kann sich Mahmoud Elbagory, der Direktor des Parks, eine Verdoppelung vorstellen. Nirgendwo in Ägypten ist es so windig wie hier. Der ständige Nordwind beschert den Anlagen eine Auslastung von mehr als 30 Prozent (in Deutschland sind nirgendwo mehr als 25 Prozent möglich) und mildert die Wüstenhitze. Die Anlage ist mit Unterstützung der Weltbank und mit Krediten aus den Staatskassen der Herstellerländer von Windkraftanlagen hochgezogen worden. Und so gibt es neben einem japanischen, dänischen und spanischen auch den deutschen Sektor in Zafarana, wo die KfW Bankengruppe 71 Anlagen aus der Produktion der Nordex AG finanziert hat. „Unser eigenes Öl und Gas sind bald erschöpft“, sagt Elbagory, „das hier ist Ägyptens neue Energie“.

Mit den Erfahrungen aus Zaharana, aber ohne die Abhängigkeit von ausländischen öffentlichen Geldern plant das ägyptische Energieministerium zwei ähnlich riesige Windparks im Wüstensand südwestlich und südöstlich von Kairo. Investitionsminister Mahmoud Mohieddin sucht dringend nach internationalen Investoren für diese großen Projekte.

Seine Aussichten sind gut. Ägypten hat seit 2004 einen gigantischen Anstieg des Interesses ausländischer Investoren erlebt. Damals hat der seit 1981 autoritär herrschende Präsident Hosni Mubarak dem Land einen marktfreundlichen Kurs verschrieben: mit Privatisierungen, Aufhebung aller möglichen Regulierungen, Steuersenkungen auf maximal 22 Prozent und der Einladung an Investoren in das mit Abstand bevölkerungsreichste Land der arabischen Welt.

Die ausländischen Direktinvestitionen stiegen von 500 Millionen Dollar im Big-Bang-Jahr 2004 auf zwölf Milliarden 2008, sanken im Weltkrisenjahr 2009 auf immerhin noch acht Milliarden. Seitdem sind sie „wahrscheinlich wieder deutlich gestiegen“, meint Mohamed el-Mahdi, Siemens-Chef in Kairo. Der Deutsch-Ägypter steht in einer Tradition, um die ihn alle ausländischen und die meisten einheimischen Unternehmen am Nil beneiden können: Seit 1901 kümmert sich das ägyptische Tochterunternehmen des deutschen Konzerns um alles, was hier mit Elektrizität zu tun hat. Vor allem gehören heute Kraftwerke und die Ausstattung moderner Krankenhäuser zum Arbeitsbereich der fast 500 Siemens-Leute in Kairo. Nur im Verkehrsbereich läuft es wohl nicht ganz so, wie el-Mahdi das gerne hätte. Beim geplanten Bau einer U-Bahn für die Millionenmetropole Kairo haben Franzosen und Japaner die Nase vorn. Und für die überfällige Modernisierung der ägyptischen Eisenbahn gibt es bislang gute Pläne, aber keine Beschlüsse.

Verkehrshaos in Kairo Quelle: Getty Images

Dabei ist Siemens mit Abstand der größte deutsche Investor im Land. Der Anteil der Deutschen an den Auslandsinvestitionen krebst um höchstens zwei Prozent. Nicht nur Araber aus den Golfstaaten, sondern auch Amerikaner, Briten und Franzosen hängen die deutsche Wirtschaft ab. Und immer stärker trumpfen chinesische Unternehmen auf. Chinesische Autos verdrängen die deutschen von Kairos chronisch verstopften Straßen, und bei Ausschreibungen im Telekommunikationssektor, berichtet el-Mahdi, lagen chinesische Anbieter manchmal 70 Prozent unter den Preisforderungen von Europäern.

Trotzdem: Wegen des robusten Wirtschaftswachstums – 4,7 Prozent im Fiskaljahr 2008/09, im laufenden Jahr etwa 5,4 Prozent – haben noch viele Exporteure und Investoren aus dem Ausland Chancen, die Deutsche bislang kaum nutzen. „Bei uns ist Ägypten als Wirtschaftsstandort einfach nicht bekannt genug“, sagt Magnus Vennewald von der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer in Kairo. Am Nil hat es nie einen Überschwang gegeben wie am ölreichen Persischen Golf, aber auch keine Bauchlandung wie in Dubai 2009 – Lohn der noch unvollständigen Modernisierung.

Die hat natürlich auch ihren Preis: „Versuchen Sie nur nicht, hier in Ägypten an eine Kreditkarte zu kommen, Sie sind wochenlang mit nichts anderem beschäftigen“, klagt ein westeuropäischer Manager, der ansonsten nur Gutes über das ökonomische Klima zu sagen weiß: „Es ist überhaupt kein Problem, innerhalb von 20 Tagen die Lizenz für ein neues Unternehmen zu erhalten und dann hervorragende Mitarbeiter zu finden!“ Expats schwärmen von den Sprachkenntnissen ihrer einheimischen Mitarbeiter: Gutes, beneidenswert akzentfreies Englisch ist für gebildete Ägypter selbstverständlich, Französisch ist weit verbreitet, und die deutsch sprechende Gemeinschaft rechnet viele ägyptische Absolventen des seit Jahrzehnten florierenden Kairoer deutschen Gymnasiums zu den Ihren.

Weil das so ist, hat die internationale Callcenter-Industrie Ägypten entdeckt. In Ägypten findet man leichter als etwa in Indien polyglotte Mitarbeiter mit geringen Gehaltsansprüchen. Als Schwerpunkt für Callcenter, aber auch für anspruchsvollere IT-Firmen und einzelne Regierungsbehörden entsteht derzeit in 30 Kilometer Entfernung vom Kairoer Stadtzentrum das bescheiden so genannte „Smart Village“, viel größer als die entsprechenden „Digital City“ oder ähnlich genannten Projekte in Dubai, Abu Dhabi oder sonst wo am Golf.

„Smart Village“ gehört zu den vielen Trabantenstadt-Projekten, mit denen die Regierung seit Jahrzehnten die Bevölkerungsexplosion bekämpfen will. Das Land hat derzeit fast 80,5 Millionen Einwohner, nächstes Jahr werden es 1,6 Millionen mehr sein; jeder dritte Ägypter lebt im Großraum Kairo. Dieser Anteil wächst mit der Entfaltung einer modernen städtischen Wirtschaft, mit der das ländliche Ägypten überhaupt nicht mithalten kann. Die Versalzung der schmalen fruchtbaren Streifen zwischen Nil und Wüste nimmt zu. Unbildung und Armut in den Dörfern erinnern nicht an andere Schwellenländer, sondern an hoffnungslose Staaten der Dritten Welt.

Im Technischen Quelle: dpa/dpaweb

44 Prozent der erwachsenen Ägypter im Alter von mehr als 14 Jahren waren nach Unesco-Angaben 2005 Analphabeten; nur in 3 der 21 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga war das Ergebnis schlechter, selbst in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara sah es im Durchschnitt besser aus. Niemand in Kairo glaubt, dass sich in den vergangenen Jahren viel verändert hat. „Wenn ein Taxifahrer fünf Mal so viel verdient wie ein Grundschullehrer, dürfen Sie sich über die vielen Analphabeten nicht wundern“, sagt ein junger ägyptischer Ökonom im Staatsdienst. Doch Wirtschaftswachstum und unternehmerfreundliches Klima in Ägypten sind unter Präsident Mubarak und seinem Ministerpräsidenten Ahmad Nazif generell mit Gehaltskürzungen für den immer noch aufgeblähten Staatsdienst erkauft worden.

Schulbildung mangelhaft

Inzwischen scheint aber die Einsicht zu wachsen, dass zumindest die mangelnde Schulbildung der ägyptischen Unterschicht zum Hemmschuh für weiteres Wachstum wird. Der neue Bildungsminister Ahmed Zaki Badr hat die Einstellung besser ausgebildeter und gut bezahlter Lehrer versprochen.

Die meisten Ägypter sehen darin aber keine Bildungspolitik, sondern Teil des Versprechens, Geld unter die Armen zu bringen. Der inzwischen 82-jährige, gesundheitlich angeschlagene Präsident Mubarak hat vor ein paar Wochen bei einem seiner seltenen Auftritte im Fernsehen versprochen, den staatlich festgesetzten Mindestlohn zu erhöhen – von 35 auf 1200 ägyptische Pfund im Monat. Viel Eindruck auf die zunehmend protest- und streikbereite Unterschicht hat das nicht gemacht. Der bisherige Mindestlohn entsprach fünf Euro, der neue 170 Euro. Der amerikanische Nahostexperte Joel Beinin von der Stanford University beobachtet in Ägypten eine wachsende Zahl von Streiks – „die größte derartige Bewegung in der gesamten arabischen Welt seit dem Zweiten Weltkrieg“.

Ägyptens wirtschaftlich liberales und politisch autoritäres System braucht dringend neue Energie. So wie bisher wird es nicht lange weitergehen: Nächstes Jahr müsste sich Präsident Mubarak der Wiederwahl stellen. Ob er es tun wird, weiß derzeit wahrscheinlich noch nicht einmal er selbst.

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