Zwölf Milliarden Dollar Vermögen besitzt Aliko Dangote, der reichste Mann Afrikas. Im Alltag lässt sich der 55-jährige Unternehmer den Reichtum aber nicht anmerken.
Es ist Freitag, Dangote sitzt im neunten Stock seiner trostlos betonierten Konzernzentrale in Lagos, der größten Stadt Nigerias. Er isst mit Tochter und Bruder zu Mittag, es gibt Hähnchenschenkel mit Reis und gebratenen Auberginen – Kantinenessen statt Haute Cuisine. In der rechten Hand die Gabel, halten alle drei mit der Linken einen Blackberry ans Ohr und steuern ihren Mischkonzern. „Wollen Sie ein Hähnchen?“, fragt der Milliardär, als er aufgelegt hat. „Schreiben Sie mal was Positives über Nigeria, unser Potenzial wird völlig unterschätzt“, sagt Dangote, ehe das Telefon erneut klingelt.
Zahlen und Fakten zu Nigeria
39 Millionen Einwohner
Das BIP wuchs im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr um 6,9 Prozent
Im Jahr 2011 führte Nigeria Waren im Wert von 34 Milliarden Dollar ein
Die ausländischen Direktinvestitionen betrugen 2011 67 Milliarden Dollar
2,6 Dollar. Der Wert errechnet sich aus dem absoluten BIP geteilt durch BIP pro Person
Nigeria verfügt über förderbare Ressourcen im Wert von 92 Milliarden Dollar. Nur Ghana hat von den neun Absatzmärkten größere Vorkommen.
Der Mann hat gut reden. Als Sprössling einer reichen muslimischen Familie zählt er zu denjenigen im Land, die die Chancen der westafrikanischen Volkswirtschaft nutzen. Ursprünglich war er Großhändler in Lagos, bis er begann, aus Brasilien importiertes Zuckerrohr zuerst zu verarbeiten und dann vor Ort anzubauen. Er verkaufte Import-Zement und steckte die Erlöse in den Bau einer eigenen Zementfabrik. Er schiffte Nudeln aus Europa ein, bis er eine Spaghetti-Fabrik hochzog. Heute ist er Nigerias größter Zucker-, Zement-, Nudelhersteller und vieles mehr.
Mit Risikobereitschaft zum Milliardär
Das Schema des unternehmerischen Erfolgs in Nigeria ist fast immer das gleiche: Mit Risikobereitschaft – und mit guten politischen Kontakten bis hinauf zu Präsident Goodluck Jonathan – wurde Dangote Milliardär. Am einfachsten gelingt das Leuten wie ihm, wenn sie Rohstoffe des Landes zu Produkten verarbeiten, die das 170-Millionen-Einwohner-Volk braucht. Heute zählt die Dangote-Gruppe mit 1,6 Milliarden Dollar Umsatz und 11.000 Mitarbeitern zu den größten Unternehmen Afrikas – und ist der einzige nigerianische Konzern, der jenseits der Landesgrenzen Erfolg hat.
Als Vorbild für Ausländer taugt Dangote allenfalls begrenzt. Denn für Fremde ist Nigeria ein Hochrisikoland. Kaum jemand von außen traut sich, in dem Land zu investieren, unter anderem aus Angst um die Sicherheit der Mitarbeiter. Im Norden des Landes wollen radikale Islamisten die Scharia einführen. Ende Mai starb in der Region der deutsche Manager Edgar Fritz Raupach, ein Mitarbeiter des Bau- und Dienstleistungskonzerns Bilfinger, den al-Qaida-Milizen entführt hatten. Er kam bei einem Angriff nigerianischer Sicherheitskräfte ums Leben – wie Wochen zuvor eine britische und eine italienische Geisel.
Last der Korruption
Ähnlich abschreckend wirken für Investoren jenseits von Afrika das verfilzte Regierungssystem, Korruption und Vetternwirtschaft. Dazu kommt die katastrophale Infrastruktur. Im Moloch Lagos mit seinen zehn Millionen Einwohnern, wo das Herz der Wirtschaft schlägt und 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet werden, sind die Straßen heillos verstopft. Permanent kommt es zu Blackouts. Einem Nigerianer steht im Schnitt eine Leistung von 30 Watt Strom zur Verfügung – einem Südafrikaner 500, einem Deutschen 5.000 Watt.
Bleibt also Nigeria das ewige Versprechen eines Wachstumsmärchens? Trotz der Probleme mehren sich die Zeichen, dass das Land wirtschaftlich durchstartet. Diesen Monat haben die Agenturen Moody’s und Standard & Poor’s ihre Ratings im B-Bereich heraufgesetzt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für dieses Jahr trotz der desolaten Infrastruktur ein Wachstum von 6,7 Prozent – mehr als in Brasilien, Russland und Indien. In der Studie „Märkte von morgen“, die die WirtschaftsWoche mit der Unternehmensberatung Valueneer in Berlin erstellt hat, steht Nigeria auf Platz eins als Beschaffungsmarkt und auf Rang fünf als Absatzgebiet.
Womit Nigeria punktet - und womit nicht
Im einwohnerstärksten Land Afrikas zählen etwa 30 Millionen Menschen zur Mittelschicht - und deren Kaufkraft steigt.
Gerade im Wirtschaftszentrum Lagos tummeln sich hoch motivierte Nigerianer, die im Ausland studiert haben und jenseits des Rohstoff-Sektors in Dienstleistungssektoren eine berufliche Existenz aufbauen möchten.
Die Kraftwerke produzieren nicht genug, ständig fällt der Strom aus. Die Liberalisierung der Stromwirtschaft soll Abhilfe schaffen - sofern sie kommt.
Kenner behaupten, kein Investor könne mit dem Staat ohne Schmiergeld Geschäfte machen. Das liegt auch daran, dass Beamte ihre Wähler in den Dörfern finanziell versorgen. Die Privatwirtschaft soll sauberer sein.
Nigeria kämpft gegen Islamisten im Norden, auch im rohstoffreichen Südwesten gibt es immer wieder Gefechte mit Rebellen. Für Ausländer ist aktuell nur die Hälfte des zerstrittenen Landes sicher.
„Nigeria ist keine simple Rohstoff-Story mehr“, sagt Christian Wessels, Chef der Niederlassung der Münchner Unternehmensberatung Roland Berger. Zwar machen Ölexporte 95 Prozent der Ausfuhren aus und legen seit einer Dekade jährlich um bis zu acht Prozent zu. Doch hat dies dazu beigetragen, dass es nicht einer Clique Privilegierter gut geht, sondern in Großstädten wie Lagos zugleich eine Mittelschicht heranwächst, die nach mehr Dienstleistungen und Konsumgütern verlangt. Das eröffnet Unternehmen neue Chancen.
Nigeria, der Wachstumsmarkt
Bestes Beispiel dafür ist Roland Berger selbst. Neben dem viel größeren US-Wettbewerber McKinsey haben die Berater Nigeria früh als Wachstumsmarkt entdeckt – und Präsenz gezeigt, indem sie ein großes, mittlerweile schnell expandierendes Büro aufbauten. „Nigerianer mögen es nicht, wenn Sie ab und zu mal einfliegen, um kurz danach wieder zu verschwinden“, sagt Afrika-Experte Wessels. Wer bei den großen Projekten dabei sein wolle, müsse ständig im Markt sein.
Wessels lebt seit acht Jahren in Lagos. Der Kölner, der lange Zeit für die britische Barclays-Bank in Südafrika arbeitete, hat sich in Nigeria eingenistet. Er hält Kontakte zu den Unternehmenschefs des Landes, gibt Cocktailpartys für die Elite, diniert in den besten Restaurants der Stadt, kennt aber auch die Empfangsdame der größten Bank des Landes beim Vornamen. Nach Jahren des Klinkenputzens hat der 38-Jährige eine solche Präsenz erreicht, dass er nicht nur westlichen Konzernen die Schneisen durch den Bürokratie-Dschungel schlägt, sondern auch lokalen Unternehmen bei der Strategiefindung hilft. Wessels beriet die nigerianische Zentralbank bei der Bankensanierung und organisierte das Massengeschäft des landesgrößten Geldhauses, der First Bank, neu. „Nigeria ist ein ganz heißes Thema unter Investoren aus dem Mittleren Osten, Asien und Lateinamerika“, sagt Wessels, „die Deutschen halten sich dagegen zurück.“
Groß im Geschäft
Woher die Zurückhaltung rührt, zeigt das Beispiel Julius Berger, Nigerias größter Baukonzern, an dem der Mannheimer Branchenriese Bilfinger-Konzern beteiligt ist. Seit der zweite deutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard Nigerias Hauptstädtern eine Brücke schenkte, ist Julius Berger groß im Geschäft in Nigeria – weil die Brücke noch steht und nicht kaputtgehen will. Unweit davon hat Julius-Berger-Chef Wolfgang Götsch sein Büro. Der Ingenieur aus Innsbruck pendelt zwischen Lagos und der Hauptstadt Abuja, einer Retortenstadt, die Julius Berger errichtet hat.
Der Bauriese bildet seine lokalen Arbeiter nach westlichen Standards selbst aus, da er sich auf das Bildungssystem in Nigeria nicht verlassen kann. Für lokale Bauarbeiter ist das „wie ein Meisterbrief“, erzählt Götsch. Wenn sein Unternehmen zu schnell wächst, findet Götsch nur schwer Personal – zumal die über 600 Manager aus Europa nur gegen hohe Risikozuschläge nach Nigeria kommen.
Fast eine Milliarde Euro setzt Julius Berger in Nigeria um – und ist für Bilfinger trotzdem eher ein schmutziger Lorbeer. Denn der Mannheimer Großaktionär verzichtet künftig auf die Millionen-Dividenden aus Nigeria und will die Beteiligung, die er in diesem Jahr schon von knapp 50 auf knapp 40 Prozent reduziert hat, weiter abbauen. Grund ist das hohe Korruptionsrisiko. Nigeria lag im Index der Organisation Transparency International über die korruptionsanfälligsten Länder 2011 auf Platz 143 von insgesamt 182 Staaten und hatte sich damit gegenüber 2010 noch einmal um neun Plätze verschlechtert.
Julius Berger sah sich immer wieder Schmiergeldvorwürfen ausgesetzt. Ermittlungen wegen Korruption und Geldwäsche gegen drei deutsche Julius-Berger-Manager endeten im Herbst 2010 mit einem Vergleich: Julius Berger zahlte 29,5 Millionen Dollar in Nigerias Staatskasse. Der 18.000-Mitarbeiter-Konzern soll sich sogar um die medizinische Behandlung des früheren Staatschefs Umaru Yar’Adua gekümmert haben. Aktuell ermitteln die US-Justiz und die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen neun frühere und derzeitige Mitarbeiter von Bilfinger und Julius Berger. Der Ausgang des Verfahrens hängt entscheidend von der Antwort der Amerikaner vermutlich im ersten Quartal 2013 auf ein Rechtshilfeersuchen der Frankfurter Staatsanwälte ab. „Wir bewegen uns in einem schweren Umfeld“, räumt Roland-Berger-Berater Götsch in Sachen Korruption ein.