„Alle für Marcelo“ Politik paradox vor Präsidentenwahl in Portugal

Der in Portugal mächtige Präsident wird neu gewählt – doch der Sieger scheint schon vorher festzustehen: Rebelo de Sousa wird von fast allen geliebt. Dabei gehört er den erst im Oktober abgestraften Sozialdemokraten an.

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Marcelo Rebelo de Sousa probiert Schokoladenmilch – und die Menge jubelt. Quelle: dpa

Lissabon Marcelo Rebelo de Sousa kann dieser Tage nichts falsch machen. Der 67-Jährige zieht ein Brot aus dem Backofen und die Menge bricht in Jubel aus. Er probiert ein Stückchen Käse und bekommt Applaus. Dabei ist der hagere, stets freundlich lächelnde Mann kein Starbäcker und auch kein TV-Koch, sondern Politiker. Und als solcher geht er am Sonntag in Portugal als aussichtsreichster Kandidat in die Wahl des neuen Staatsoberhaupts. Nach allen Umfragen wird Rebelo klar gewinnen und möglicherweise schon in der ersten Runde die nötige absolute Mehrheit erhalten.

Portugal erlebt derzeit Politik paradox: Die Sozialdemokratische Partei (PSD), der Rebelo de Sousa schon seit der Gründung 1974 angehört und die er 1996 bis 1999 sogar anführte, hatte bei der Parlamentswahl im Oktober erst große Verluste erlitten. Rebelo de Sousas Parteikollege Pedro Passos Coelho musste daraufhin als Ministerpräsident seinen Hut nehmen und dem Sozialisten António Costa weichen. Rebelo de Sousa aber wird nun den meisten Umfragen zufolge zwischen 54 und 62 Prozent aller Stimmen bekommen.

Wie ist das möglich? Und besteht bei einem Sieg des PSD-Bewerbers nicht die Gefahr, dass die Regierung – eine exotische und instabile Allianz der Sozialisten mit Kommunisten, Marxisten und Grünen – durch den Präsidenten torpediert wird? Das Staatsoberhaupt hat in Portugal viel Macht, kann Vetos gegen Regierungsbeschlüsse einlegen und auch das Parlament auflösen. Das frühere Krisenland hat keine leichten Zeiten vor sich. Es hat noch keinen Etat für 2016, und Costa will einige Sparmaßnahmen gegen den Willen Brüssels abschaffen.

Die Antworten auf die vielen Fragen bekommt man von Analysten, aber auch auf den Straßen. „Ich habe immer links gewählt, aber Marcelo ist bei weitem der beste Kandidat, er ist integer, hat immer das Wohlergehen aller im Sinn“, sagt Student Nuno (24) in einem Café in Lissabon der Deutschen Presse-Agentur. Die Umstehenden nicken und rufen, nur leicht übertreibend: „Alle sind für Marcelo.“


„Er hat die Kraft desjenigen, der für alle spricht“

Sozialwissenschaftler Rui Ramos meinte in der Online-Zeitung „Observador“, Rebelo sei, wie er behauptet, „in der Tat ein freier und unabhängiger Kandidat.“ Er habe „die Kraft einer der längsten öffentlichen Karrieren der Demokratie“, „die Kraft desjenigen, der für alle und ohne ideologische Vereinsmeierei spricht“.

Nur zwei der neun Rivalen Rebelos haben laut Umfragen Chancen, am 14. Februar in eine eventuelle Stichwahl um die Nachfolge des am 9. März nach zwei Mandaten abtretenden konservativen Aníbal Cavaco Silva einzuziehen: der langjährige Rektor der Universität Lissabon, António Sampaio da Nóvoa, sowie die Sozialistin María de Belém.

Doch wer ist dieser Rebelo de Sousa, den die Portugiesen so sehr lieben? Als Jura-Professor errang er viel Prestige, als Journalist leitete der geborene „Lisboeta“ die Wochenblätter „Expresso“ und „Semanario“. In der Politik zeigte sich der ganz anders als Cavaco immer jovial und offen auftretende Mann stets gesprächsbereit. Er war es, der Ende der 1990er Jahre die Beziehungen zwischen der PSD und den Kommunisten nach 20 Jahre wiederherstellte. Und der in der Zeit als Parteichef drei Mal den Staatshaushalt der sozialistischen Minderheitsregierung von Antonio Guterres durchwinkte.

Insbesondere kennt der „Otto-Normalverbraucher“ am Tejo Rebelo de Sousa aber aus dem Fernsehen. „Marcelo“, wie er von allen genannt wird, hat seit 15 Jahren und bis vor kurzem im TV als Kommentator die Lage des Landes immer profund und unparteiisch analysiert. So unkompliziert und volksnah wie im Wahlkampf, in dem er praktisch ohne Entourage auskommt, sagte er den TV-Zuschauern aber immer wieder auch, wo es in der Krise etwa gutes und billiges Brot gab.

Daher glauben ihm wohl auch viele ganz Linke, wenn Rebelo de Sousa versichert: „Ich bin ein unabhängiger Kandidat“. Ein „Presidente“ müsse ohnehin „wie ein Schiri sein, der ja keine Tore schießt“, wie er der Zeitung „El País“ erklärte. Der sich aber auch engagiert, wie er das am Montag beim Mittagessen mit Unternehmern wieder mit der Aufforderung tat: „Wir müssen die Verarmung stoppen, andernfalls wird es soziale Spannungen und Radikalisierung geben.“

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