Für Anna Maria Schneider ist das fast das kleinere Übel. Volkswagens Cheflobbyistin in den USA ist seit Wochen auf dem Capitol Hill in Washington unterwegs, um etwas noch viel Schlimmeres zu verhindern: die geplante Unternehmenssteuerreform, die Trump im Wahlkampf versprochen hat. Schneider, eine elegante US-Lady im rosa Kostüm, das blonde Haar aufgefönt und jahrzehntelange Lobby-Erfahrung im Rücken, weiß ja, dass am Steuersystem dringend etwas getan werden muss. Der US-Steuertarif für Konzerne gehört mit 35 Prozent zu den höchsten aller Industrieländer, die letzte große Reform gab es 1986 – vor über 30 Jahren. Aber das, was Trump und die Republikaner da planen, grenzt für Schneider an Enteignung: Im Gegenzug für die Senkung der allgemeinen Unternehmenssteuern auf 20 Prozent will Trump eine Abgabe auf importierte Waren und Zulieferteile einführen: ebenfalls 20 Prozent, die sogenannte „border adjustment tax“. Für VW ein Horrorszenario: der Konzern produziert im US-Werk in Chattanooga nur zwei Modelle – alle anderen Volkswagen, Audi, Lamborghini oder Bugatti, auch viele Zulieferteile, importiert der Konzern: aus Mexiko natürlich, aber auch aus Übersee. Eine neue Steuer würde für die Volkswagen-Gruppe mit ihren neun Marken gegenüber den US-Wettbewerbern deutlich benachteiligen. Zumal der Konzern ohnehin noch mit den Nachwehen des Dieselskandals zu kämpfen hat.
Schneider greift also in diesen Tagen tief in die Lobb-Trickkiste. „Viele in der Autoindustrie sind sehr besorgt wegen der Pläne zur Steuerreform, vor allem aufgrund der Grenzeinfuhrsteuer“, sagt sie. Deshalb habe sie in den vergangenen Wochen mit den anderen Autobauern eine breite Lobby-Koalition geschlossen, um gegen die Pläne zu opponieren. Ihr Plan: sie wollen Händler aus ganz Nordamerika nach Washington fliegen, damit die die Kongressabgeordneten von der Unsinnigkeit ihrer Pläne überzeugen. „Unsere Händler sind unsere besten Anwälte“, sagt Schneider, „Sie werden den Abgeordneten verdeutlichen, welchen Effekt die Grenzeinfuhrsteuer auf Autopreise, Verkäufe und auch auf Jobs hat.”
Im Kern sollen in Zukunft nicht mehr die Gewinne versteuert werden, sondern der Konsum. Die Maßnahme richtet sich nicht ausschließlich an Mexiko und ist im Kern auch nicht als Strafzoll definiert. Doch sie träfe die importierende Wirtschaft hart und soll Unternehmen dazu bringen, ihre Produktion wieder in die USA zu holen.
Die Wahlversprechen Donald Trumps
- Schaffung von 25 Millionen Jobs in der ersten Amtszeit
- Bau einer Mauer auf der kompletten Grenze zu Mexiko, für die Mexiko bezahlt
- Abschiebung von zwei Millionen illegalen Immigranten
- „Extreme Überprüfung“ aller Einreisenden
- Einstellung von Visa an Angehörige von Staaten, die „kriminelle illegale Einwanderer“ nicht „zurücknehmen“
- Verschärfung der Visa-Regeln
- Die Gesundheitsversicherung Obamacare soll abgeschafft und ersetzt werden
- Das Handelsabkommen Nafta soll neu verhandelt werden
- Rückzug aus dem transpazifischen Handelsabkommen TPP
- Auswahl eines Richters von einer Vorschlagsliste mit 20 Namen
- Für jede neue Regulierung sollen zwei alte abgeschafft werden
- Reduzierung der Steuerklassen von sieben auf drei
- Runterfahren der Unternehmenssteuern von 35 auf 15 Prozent
- Aufhebung der „Begrenzungen“ für Jobs in der Energiebranche
- Wiederbelebung gestoppter Energie-Infrastrukturprojekte wie der Keystone-Pipeline
- Einstellung der Zahlungen an UN-Klimaprogramme
- Strafzölle für Unternehmen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlegen
- Ausweitung des Militäretats
- Die US-Wirtschaft soll um vier Prozent wachsen
Grund für den steuerlichen Shift: Die USA haben mit 35 Prozent zwar einen der höchsten Steuersätze der Welt. Eigentlich wird der Tarif auf die weltweiten Gewinne angesetzt. Doch im Schnitt zahlen die Unternehmen rund 22 Prozent, unter anderem weil die Unternehmen die Steuern auf ausländische Gewinne verschieben können, solange sie das Geld nicht in die USA holen. Die Diskrepanz zwischen dem eigentlichen Steuertarif und der tatsächlichen Zahlung an das Finanzamt will der republikanisch geprägte Kongress beheben. Künftig soll die Steuerpflicht ausschließlich den Konsum im Inland berücksichtigen. Trumps engste Wirtschaftsberater hegen Sympathien für den Plan.
Die Grenzeinführungssteuer ist zunächst eine Konsumsteuer, vergleichbar mit der Mehrwertsteuer. Die Steuer berücksichtigt also, wo ein Produkt endet und nicht, wo es produziert wird. Angenommen, ein US-Reifenhersteller exportiert seine Reifen mit einem Schiff nach Mexiko und verkauft die Produkte an dort produzierende Unternehmen. Der Hersteller würde dann keine Steuern in den USA zahlen, weil die Einnahmen im Ausland entstehen.
Importiert hingegen ein US-Unternehmen Reifen aus Mexiko und verkauft es das Auto dann in den USA, fiele die Konsumsteuer beim Verkauf des Autos an. Die Ausgaben für die Reifen könnte der Autohersteller darüber hinaus auch nicht absetzen. Dieses Szenario soll Unternehmen dazu veranlassen, Produkte in den USA herzustellen und zu exportieren und weniger zu importieren.
Hinzu kommt, dass Importe zusätzlich mit einem Importzoll von 20 Prozent belastet werden sollen. Das soll die Unternehmen dazu bringen, Zulieferteile künftig in den USA zu kaufen und nicht in Mexiko. Für die auf Importe angewiesene Industrie sind die Pläne daher Gift. Je höher der Importanteil in der Wertschöpfungskette eines Produktes ist, desto mehr muss er versteuern. Unterm Strich dürften etwa deutsche Autohersteller deutlich stärker belastet werden als US-Hersteller, da sie in der Regel einen höheren Warenwert in die USA einführen.