Amerika schottet sich ab Clintons und Trumps gemeinsamer Sündenbock

Donald Trump und Hillary Clinton sind grundverschieden. Aber sie haben einen gemeinsamen Sündenbock gefunden: den Freihandel. Warum sie Amerika damit abschotten.

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Das versprechen die Präsidenten-Anwärter
Figuren von Trump und Clinton Quelle: dpa
Donald Trump Quelle: REUTERS
Hillary Clinton Quelle: AP
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Figuren von Trump und Clinton Quelle: dpa
Hillary Clinton Quelle: REUTERS

Bruce Stokes versteht sein Land nicht mehr, dabei gehört genau das zu seiner Jobbeschreibung. Der Amerikaner leitet eine Forschungsabteilung des Pew Research Center in Washington, dort wertet er regelmäßig die Ansichten seiner Landsleute, vor allem zu Wirtschaftsthemen, aus. Umfrage nach Umfrage teilt ihm mit, wie sehr diese Freihandel noch schätzen. Gerade erst sagten 55 Prozent der registrierten amerikanischen Wähler, offene Handelsgrenzen seien gut für die Wirtschaftsweltmacht USA. „Im Wettstreit mit anderen Industrienationen sieht sich eine Mehrheit der Amerikaner offensichtlich gut aufgestellt“, sagt Stokes.

Wirklich? Schaltet der Forscher den Fernseher ein, liest er die Schlagzeilen der Zeitungen, oder geht er zu Wahlveranstaltungen in der Hauptstadt, begegnet ihm eine ganz andere Realität. Donald Trump, Hoffnungsträger der US-Republikaner, hat seine ganze Kampagne um den Gedanken aufgebaut, dass Amerikaner durch freien Handel stets verlieren. Vor allem, weil die ach so bösen anderen Staaten schummelten und manipulierten. Also muss nach Trumps Willen und Vorstellung der Handelsumsatz erst mal kleiner werden, damit Amerika wieder groß werden kann. So gelobt es der Kandidat.

Trump will das amerikanisch-pazifische Freihandelsabkommen TPP, in dem Präsident Barack Obama historische Zoll- und Handelserleichterungen zwischen den USA, Japan, Australien, Chile, Kanada, Malaysia und weiteren sechs Nationen verhandelt hat, gleich wieder kippen. Auch Nafta, den seit zwei Jahrzehnten bestehenden Handelsverbund mit Kanada und Mexiko, will der Republikaner „neu verhandeln“.

Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken

Damit nicht genug: Handelspartnern wie China, die die USA angeblich „betrügen“, will Trump gigantische Strafzölle aufbrummen. Überhaupt soll sein Land autarker werden: „Amerikanische Autos werden über die Straßen fahren, amerikanische Flugzeuge werden die Städte verbinden, amerikanische Schiffe werden über die Meere patrouillieren, amerikanischer Stahl wird überall neue Wolkenkratzer aufragen lassen“, so hört sich die schöne neue Welt in Trumps Worten an.

Passt es dazu, mit den Europäern über engere Handelsbande zu reden, wie es das umstrittene TTIP-Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA vorsieht? Wohl kaum. Schließlich warnt Trump immer wieder, Brüssel oder Berlin würden wegen der liberalen europäischen Flüchtlingspolitik von fremden Horden überrannt. Gerade hat er Rivalin Hillary Clinton die „Angela Merkel der USA“ genannt. Es war ausdrücklich nicht als Kompliment gemeint.

Jetzt auch noch Hillary

An Trumps Tiraden hat sich Handelsexperte Stokes gewöhnt. Seit Wochen aber muss er ähnliche irritierende Töne von Clinton hören, deren Arbeit er seit Jahren beobachtet. Frühere Handelsabkommen seien „allzu oft“ mit „zu rosigen“ Versprechen durchgeboxt worden, sagte die Demokratin bei der Präsentation ihres Wirtschaftsprogramms. Schließlich hätten einige dieser Abkommen vielen Menschen den Job gekostet. Über Nafta, einen der großen Verhandlungserfolge ihres Mannes Bill, will Clinton ebenfalls neu nachdenken.

Zwar geht die demokratische Kandidatin nicht so weit wie Trump. Es bringe nichts, „sich von der Welt abzuschotten“, betont sie. Aber in ihren Reden klingt Clinton, als habe sie genau das vor. Zu TPP etwa fällt auch ihr nur ein: „Ich bin jetzt dagegen. Ich werde nach der Wahl dagegen sein, und ich werde als Präsidentin dagegen sein“ – ein Affront gegenüber ihrem Parteifreund Obama, der für das Abkommen lange gekämpft hat.

Doch es ist Wahlkampf und viele Experten glauben, dass er im November vor allem von den Frustrierten und Abgehängten der amerikanischen Gesellschaft entschieden werden wird. Bei denen kommen solche Töne gut an. Trump umgarnt damit vor allem jene weißen Männer, die sich vor dem wirtschaftlichen Abstieg fürchten. Sie muss er gewinnen, um seine Schwächen bei Latinos, bei Schwarzen oder Frauen auszugleichen.

Kritik der Umweltschützer an TTIP

Und Clinton? Schon als sie noch First Lady war, machte sie sich Sorgen, wie mehr weltweiter Handel auch zu mehr Verlierern in Amerika führen könnte, berichtet ein Vertrauter. Als Senatorin traf sie sich später regelmäßig mit Gewerkschaftsvertretern, die ihr schilderten, wie ganze Landstriche Amerikas zu industriellem Ödland verkamen, weil die Konkurrenz im Ausland schlicht billiger – und oft besser – war. Der Vertraute sagt: „Ihre Kritik ist mehr als nur ein Wahlkampfcoup. Sie hegt sehr ernsthafte Zweifel, ob wir die Vorteile der Globalisierung zu lange zu rosig gesehen haben.“ Clinton solle erklären, wie sie diesen Fehler als Präsidentin beheben wolle, wünscht sich ihr Vertrauter. Doch ihr Duktus klingt noch ganz anders, eben eher wie Trump light: Amerika kommt an erster Stelle und dann erst mal lange gar nichts.

Rezepte aus dem Jahr 1880

US-Wirtschaftsexperten fühlen sich durch Trumps Rhetorik an Präsident Ronald Reagan erinnert, der in den Achtzigerjahren einen Handelskrieg gegen den aufstrebenden Konkurrenten Japan ausrief – und Amerikas goldene Industriezeiten wieder aufleben lassen wollte. „Seither hat sich die Welt durch die Globalisierung leider komplett verändert“, sagt Adam Posen vom Peterson Institute for International Economics. „Trump zieht Vergleiche zu den Achtzigerjahren. Aber sein Denken wirkt leider, als stecke er im Jahr 1880 fest.“ Der republikanische Wirtschaftsexperte Douglas Holtz-Eakin sekundiert: „Eine industrielle Renaissance wird in den USA nicht stattfinden – außer wir bombardieren den Rest der Welt.“

Wer nach historischen Lehren sucht, sollte ohnehin gewarnt sein: Schließlich hat der letzte Republikaner, der rigide Einfuhrsteuern wie Trump vorschlug, keine guten Erfahrungen gemacht. Der Mann hieß Herbert Hoover, er regierte in den Dreißigerjahren. Seine Zölle und sein Protektionismus bescherten dem Land eine Arbeitslosenquote von 25 Prozent und ließen das Land in die Weltwirtschaftskrise schlittern.

TTIP? No way

Dennoch bleibt die Gefahr groß, dass sich die Weltmacht USA weiter von der Welt abwendet, erst nur militärisch, nun auch wirtschaftlich. Und das ausgerechnet zu einer Zeit, da das schwächelnde Europa und das ins Trudeln geratene Asien Amerikas Stärke dringend brauchen.

Auch die deutsche Wirtschaft ist alarmiert. „Es ist bedauerlich, dass beide Präsidentschaftskandidaten eine so rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik verfolgen“, sagt Gregor Wolf, Hauptabteilungsleiter Außenwirtschaft beim Bundesverband Groß- und Außenhandel. Die aktuellen Rufe nach Abschottung und Protektionismus von beiden Seiten seien „sicher Wahlkampfgetöse“, so Wolf. Doch sollte eine solche Politik umgesetzt werden, würde dies nicht nur europäischen und deutschen Unternehmen schaden, sondern insbesondere auch amerikanische Firmen und Verbraucher treffen.

Besonders verblüffend ist, dass mit dem Kandidaten Trump die lautesten Abschottungsrufe ausgerechnet aus dem republikanischen Lager kommen, früher eine Bastion des Freihandels. Traditionell hielten US-Konservative selbst demokratischen Präsidenten die Stange, wenn es um die Unterstützung für Handelsabkommen ging. Gerade erst erteilten mehr republikanische Abgeordnete Obama die TPP-Ermächtigung als dessen eigene Parteifreunde.

Doch diese Richtung gab die alte Elite der Partei vor. Trump setzt aber – wie zuvor die Tea-Party-Bewegung – auf jene Revolutionäre, die mit dem Establishment der Partei bewusst brechen wollen. Und deren Credo heißt: Die Eliten haben (uns) zu lange nicht zugehört. Globalisierung, Freihandel, das war alles ein schönes großes Wohlstandsversprechen, das sich für sehr viele Menschen schlicht nicht erfüllt hat.

Dennoch gibt die hiesige Wirtschaft ihre Hoffnung nicht auf, dass nach der Wahl in den USA doch noch Vernunft einkehrt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) etwa hofft auf eine Präsidentin Clinton. „Sie kritisiert zwar TPP, das in den USA sehr umstritten ist“, sagt Stormy-Annika Mildner, Leiterin der Abteilung Außenwirtschaftspolitik beim BDI. „Viel stärker als Trump betont Clinton aber, dass sich die USA nicht vom Rest der Welt isolieren dürften, auch nicht in der Handelspolitik.“ Die Demokratin plane, unfaire Praktiken anderer Länder konsequenter zu unterbinden. „Dafür will sie auf die Welthandelsorganisation WTO setzen. Wir finden das positiv.“

Auch Clintons Vorschlag eines riesigen Konjunkturprogramms wäre nach Ansicht des BDI gut für Amerikas Wirtschaft und damit für deutsche Unternehmen. „Wenn es den USA gut geht, hat das meist positive Auswirkungen auf den Rest der Welt“, so Mildner.

Außerdem: Falls Clinton wie angekündigt die USA in eine Supermacht der sauberen und erneuerbaren Energien verwandeln will, könnte dies eine große Chance für deutsche Unternehmen darstellen. Schließlich sind sie auf diesem Gebiet führend. Besonders dürften einheimische Unternehmen profitieren, sollte der Zugang zu öffentlichen Aufträgen in den USA im Rahmen von TTIP leichter werden.

Nur: Dafür müsste das TTIP-Abkommen erst einmal Realität werden. Und dafür stehen die Vorzeichen ausgesprochen schlecht, ganz gleich ob Trump oder Clinton in das Weiße Haus einziehen. Statt größer zu werden, dürfte Amerika erst einmal kleiner denken.

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