Amnesty-Report zu Hinrichtungen Mit der Todesstrafe gegen den Terror

Comeback der Todesstrafe: Gerichte sprechen weltweit deutlich häufiger Todesurteile. Staaten wie Pakistan, die diese Bestrafung abgeschafft hatten, führen sie wieder ein. Schuld daran ist auch die Angst vor dem Terror.

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Staaten reagieren damit auf die Bedrohung durch islamistischen Terror – und von Oppositionsbewegungen. Quelle: Getty Images

Zuerst die „gute“ Nachricht: Die Zahl der von Amnesty International registrierten Hinrichtungen hat im vergangenen Jahr um rund 22 Prozent abgenommen. Laut dem Bericht zur Todesstrafe, den die Menschenrechtsorganisation jährlich herausgibt, wurden 2014 in 22 Staaten der Welt 607 Menschen mit dem Tod bestraft – insgesamt 171 weniger als im Vorjahr.

Die schlechte Nachricht aber lautet: Das ist vermutlich nur die winzige Spitze des Eisbergs. Denn die Menschenrechtler räumen in ihrem Bericht eine hohe Dunkelziffer ein. So fehlen beispielsweise Daten zu China, wo Angaben zu Hinrichtungen als Staatsgeheimnis behandelt werden. Im Bericht heißt es dazu nur: „China hat wieder mehr Hinrichtungen ausführen lassen als der Rest der Welt zusammen.“ Damit kommt das Land der Mitte auf den absoluten Extremwert.

Die amerikanische Dui-Hua-Stiftung schätzt sogar, dass 2013 rund 2400 Menschen in China hingerichtet wurden. Für 2014 gibt es noch keine neuen Daten. Der Vorsitzende der Stiftung, John Kamm, sagte der Deutschen Presse-Agentur jedoch: „Nach meinem Eindruck dürfte sich die Zahl auf dem Niveau von 2400 stabilisiert haben.“

Auch im Fall des Zweitplatzierten in dem wenig rühmlichen Ranking, dem Iran, hat Amnesty Hinweise darauf, dass deutlich mehr Menschen hingerichtet wurden als in der Statistik angegeben. So verzeichnet der Bericht für den Schiitenstaat zwar 289 Exekutionen, weist aber auch daraufhin, dass mindestens 454 weitere Personen hingerichtet wurden als von den Behörden offiziell bestätigt.

Ähnlich sieht es bei vielen anderen Staaten aus. Denn für 13 der 22 Länder, in denen Todesstrafen ausgeführt wurden, gibt der Bericht lediglich Mindestzahlen an, für die handfeste Beweise vorliegen. Acht dieser Länder stehen dennoch in der Top Ten, wo verlässliche Zahlen lediglich für die USA auf Platz fünf und Jordanien auf Platz zehn vorliegen - mit 35 beziehungsweise elf Hingerichteten. Dabei sind die USA das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, in dem 2014 überhaupt noch Todesurteile vollstreckt wurden.

Die nächste schlechte Nachricht: 2014 wurden deutlich mehr Menschen zum Tode verurteilt als im Vorjahr. Wurden 2013 noch 1925 Menschen mit der Todesstrafe belegt, waren es im vergangenen Jahr 2466 – ein Anstieg um mehr als 28 Prozent. Maßgeblich dazu beigetragen haben Staaten wie Ägypten und Nigeria, wo 2014 vier- bis fünfmal so häufig Todesurteile ausgesprochen wurden wie noch 2013.


Todesstrafe als Mittel gegen Separatisten

Grund dafür ist laut Amnesty ein trauriger Trend, der sich besonders in Nahost bemerkbar macht. So beobachten die Menschenrechtsaktivisten zunehmend den Versuch, auf Bedrohungen durch Terrorismus – etwa durch den Islamischen Staat oder durch einheimische Separatisten – mit Todesurteilen zu reagieren.

Pakistan etwa beendete nach einem Anschlag auf eine Schule in Peschawar ein sechsjähriges Hinrichtungsmoratorium, das für Zivilisten gegolten hatte. Die Regierung kündigte außerdem an, Hunderte von Todestraktinsassen hinzurichten, die wegen terroristischer Straftaten inhaftiert wurden.

Sechs weitere Länder nahmen ihre Hinrichtungspraxis nach zum Teil jahrelanger Pause wieder auf, darunter Ägypten, Weißrussland und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Insbesondere Ägypten und Nigeria wurden für ihre Praxis kritisiert, Massenverurteilungen auszusprechen. So wurden im Dezember auf einen Schlag 54 nigerianische Soldaten mit der Todesstrafe belegt, weil sie wegen der mangelhaften Ausrüstung der Armee den Kampf gegen die islamistische Terrororganisation Boko Haram verweigerten. In Ägypten wurden im März 2014 nach nicht einmal zwei Verhandlungstagen insgesamt 529 Muslimbrüder nach dem Sturz von Mohammed Mursi zum Tode verurteilt.

„Gerade in einem Jahr, in dem wir abscheuliche Hinrichtungen durch bewaffnete Gruppen wie den Islamischen Staat miterleben mussten, ist es beschämend, dass einige Staaten die Todesstrafe als Mittel gegen Terrorismus rechtfertigen“, sagt Oliver Hendrich, Vorstandssprecher von Amnesty International in Deutschland.


22 Länder vollstrecken die Todesstrafe

„Regierungen, die mit der Todesstrafe Verbrechen bekämpfen wollen, betrügen sich selbst. Es gibt keinen Beleg dafür, dass die Todesstrafe mehr abschreckt als andere Strafen.“ Das erkennen offenbar immer mehr Regierungen. Haben 1995 noch 41 Länder aktiv Todesurteile vollstreckt, waren es im vergangenen Jahr nur noch 22.

Insgesamt haben im letzten Jahr sieben Länder, die 2013 noch hingerichtet haben, keine Hinrichtungen mehr durchgeführt. In Madagaskar wurde ein Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe verabschiedet. Ähnliche Resolutionen sind in Benin, Fidschi, Mongolei, Surinam und Tschad anhängig.

Damit könnten zumindest Gesamtamerika, Europa, Zentralasien und Australien komplett hinrichtungsfrei sein. Wären da nicht Weißrussland – und die USA. Dort nimmt die Zahl der Hingerichteten seit 2009 zwar kontinuierlich ab, zuletzt von 39 auf 35. Doch unterschrieb der Gouverneur des US-Bundesstaats Utah, Gary Herbert, erst kürzlich ein neues Gesetz. Das ermöglicht Erschießungen, wenn die Mittel für eine Tötung durch Giftspritze bis zu 30 Tage vor der Exekution nicht zur Hand sind.

Nach einer baldigen Abschaffung klingt das nun nicht gerade – sondern eher schaurig-vorausschauend.

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