Amtsenthebungsverfahren in Brasilien Die gekaufte Entscheidung

Darf sie bleiben? Der Kongress stimmt am Sonntag für oder gegen Dilma Rousseff als Präsidentin ab. Opposition wie Regierung kämpfen um die Stimmen der Abgeordneten. Es geht zu wie im Basar.

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Viele Menschen aus Brasilien werfen Brasiliens Präsidentin Korruption und Inkompetenz vor. Quelle: dpa

Direkt neben dem „Palast der Morgenröte“, dem offiziellen Wohnsitz der brasilianischen Präsidentin, erhebt sich die Hotelanlage „Golden Tulip“. Es ist ein etwas in die Jahre gekommenes Design-Hotel, direkt am Stausee der Hauptstadt. Ausländische Regierungsdelegationen machen dort gerne Halt, wie zuletzt Kanzlerin Merkel mit ihrer Entourage. Das Hotel liegt außerhalb des überfüllten Hotelsektors – und doch ganz nahe der politischen Macht.

Dort verbringen Abgeordnete und Senatoren ihren Aufenthalt in der Hauptstadt Brasília, wenn sie nicht von allen gesehen werden wollen – beim amourösen Tête-á-Têtes genauso wie bei politischen Hinterzimmerdeals. Die Tiefgarage ist schwer einzusehen, die futuristische Anlage weitläufig. Derzeit findet zur Suite Nummer 4050 ein Pilgerzug von Politikern statt.

Dort empfängt der Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Halbstundentakt Abgeordnete, Senatoren und Parteiführer der 22 im Kongress vertretenen Parteien. Nach Schulterklopfen und dem ersten Tässchen Kaffee fällt dann der entscheidende Satz, so berichtet es die „Folha de São Paulo“: „Was können wir für dich tun, dass du für uns stimmst?“, fragt Lula – und eröffnet damit die Verhandlungen.

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von Alexander Busch

Es geht um das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff. Am Sonntag stimmen die Abgeordneten ab. Die Regierung braucht 172 Stimmen von den 513 Volksvertretern, um das Verfahren abzuschmettern. Deswegen sitzt Rousseffs Vorgänger und Mentor im „Golden Tulip“ und verhandelt mit jedem einzelnen Abgeordneten, der sich „noch nicht entschieden hat“, was der für seine Ablehnung oder Stimmenenthaltung verlangt.

Dem ehemaligen Gewerkschafter und Arbeiterführer liegt das Verhandeln im Blut. Seine Nachfolgerin Rousseff hat es sich mit so ziemlich allen verscherzt mit ihrer schroffen Art. Nun muss Lula das Schlimmste verhindern, um nicht selber mit ihrer Amtsenthebung im politischen Aus zu landen. Dilma Rousseff war seine Kabinettschefin. Er hat die spröde Unbekannte zur Nachfolgerin aufgebaut. Doch nun stehen nur noch zehn Prozent der Brasilianer zu ihr, der Rest empfindet sie als Katastrophe. Auch ihre eigene Arbeiterpartei, die Koalitionspartner sowieso.

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Auf den Fluren des Kongresses werden die Preise genannt, welche die Regierung bieten soll: Ein halbe Million Dollar soll eine Nein-Stimme gegen das Impeachment wert sein, 200.000 Dollar cash eine plötzliche Abwesenheit, eine schwere Krankheit, der tragische Tod eines Verwandten. Das Problem beim Stimmenkauf ist die fehlende Kontrolle. Wer garantiert, dass der Abgeordnete mit dem prallen Umschlag in der Aktentasche nicht doch am Sonntag gegen die Regierung stimmt. Wer soll ihn danach belangen? Journalisten erzählen vom Fall der zwei  Abgeordneten, die beim Impeachment vor 25 Jahren vom Präsidenten in einen Privatjet gesetzt wurden, um nicht abstimmen zu müssen. Doch dann plagte sie das Gewissen. Sie täuschten eine Übelkeit vor – und eilten nach der Rückkehr zum Flughafen ins Plenum und stimmten gegen den Präsidenten.

Geschacher um Stimmen hält an

Nicht weit vom „Golden Tulip“ im Palácio Jaburu, dem Amtssitz des Vize-Präsidenten Michel Temer, geht es die letzten Tage ähnlich belebt zu. Temer wird automatisch Nachfolger von Rousseff. Sein Währung im Stimmenpoker sind Jobs in seiner künftigen Regierung.

Auch Rousseff und Lula bieten Ministerposten an wie auf der Resterampe. Die Jobs an der Spitze der Verwaltung sind begehrt. Denn einmal ernannt, haben die Abgeordneten lebenslange Rentenansprüche und Krankenversicherung für sich und ihre Familien. Die Beamtenposten sind auch im zweiten oder dritten Glied attraktiv bei der Stimmenbeschaffung. Schließlich wollen auch Söhne, Nichten und Cousins der Abgeordneten bedacht werden.

Deswegen hat Rousseff diese Woche trotz des völlig überzogenen Budgets, Sonderzuweisungen in Milliardenhöhe an die Ministerien per Dekret angewiesen, damit die Ad-hoc-Minister auch etwas Geld in der Kasse haben zum Verwalten. Die Gouverneure bekommen Umschuldungen ihrer ausstehenden Forderungen vom Bund in Aussicht gestellt.

In den Medien werden lange Listen der Abgeordneten veröffentlicht und ihr angekündigtes Stimmverhalten. So sind derzeit 281 für das Amtshebungsverfahren, 113 dagegen und 119 noch nicht entschieden oder wollen ihre Stimmabsicht nicht kundtun. Kein Zweifel: Das Geschacher um die Stimmen wird bis zu letzten Minute der anhalten. Gegen Mitternacht am Sonntag werden die Brasilianer wissen, wer die besseren Angebote hatte.

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