Analyse von Gabor Steingart Die Trump-Revolution marschiert

Amerika erlebt einen politischen Hurrikan, dessen Zentrum sich zwischen State Department, Weißem Haus und Capitol Hill in ständiger Bewegung befindet und dessen Thermodynamik wir in Europa bald zu spüren bekommen. Es geht um Fragen zu Krieg und Frieden, auch wenn sie sich derzeit hinter einer Nebelwand von persönlichen Anschuldigungen zu verbergen scheinen.

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Der US-Präsident sabotiert seinen Außenminister Rex Tillerson. Quelle: dpa

Kaum hat Außenminister Rex Tillerson seinen Präsidenten in vertrauter Runde einen „Deppen“ genannt, meldet sich via Twitter der dem Außenminister eng verbundene Senator Bob Corker zu Wort, seines Zeichens oberster Republikaner im Auswärtigen Ausschuss des Senats. Es sei eine Schande, dass sich das Weiße Haus zu einem „adult day care center“, einer Seniorentagesstätte, entwickelt habe.

Im Interview mit der „New York Times“ begründet der Mann seine harschen Worte so: „Ich weiß aus gesicherter Quelle, dass die Mitarbeiter im Weißen Haus an jedem einzelnen Tag alles geben, ihn einzudämmen.“ Ihn – den Präsidenten. Eindämmen – damit waren einst die Russen gemeint. Mit seinen unbeherrschten verbalen Angriffen auf andere Länder riskiere Trump, dass sich die Nation „auf den Weg in Richtung eines Dritten Weltkriegs begebe“.

Zum Hintergrund: Seit Wochen versucht Tillerson hinter den Kulissen eine diplomatische Offensive gegen Nordkorea zu starten, um den amerikanischen Erstschlag zu verhindern. Er kennt die euphorische Gereiztheit seines Chefs, der zum Gegenspieler geworden ist. In unzähligen Einzelgesprächen fordert, fast muss man sagen fleht, Tillerson die Staaten – auch die Bundesregierung – an, jegliche Geschäftsbeziehungen zu Nordkorea zu unterbrechen und die nordkoreanischen Botschafter nach Hause zu schicken. Trump aber sabotiert seinen eigenen Minister: „Spar dir deine Energie Rex, wir werden tun, was getan werden muss“, twitterte er vor einer Woche. Am Samstag legte er nach: „Sorry, but only one thing will work.“ Bei einem Treffen mit Militärs sprach er von der „Ruhe vor dem Sturm“. Auf Reporternachfragen verweigerte das Weiße Haus jede Erläuterung.

Hinzu kommt: Stephen Bannon, der rechte Trommler von Donald Trump, hat zwar das Weiße Haus verlassen, aber nicht das politische Theater. Er arbeitet jetzt hinter den Kulissen. „Darkness is good“, sagt er. Zusammen mit Geldgebern wie Hedge-Fonds-Milliardär Robert Mercer sucht er politische Außenseiter vom militärischen rechten Rand, die bereit sind, gegen das republikanische Establishment für den Senat zu kandidieren.

Derart ermuntert erwägt der Gründer der privaten Söldnerarmee Blackwater, Erik Prince, dessen Truppen im Irak und anderswo in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren, eine Kampfkandidatur. Wer sehen will, der sieht: Trump stolpert zwar durch unsere Zeitungen, aber die Trump-Revolution innerhalb der großen konservativen Regierungspartei der USA stolpert nicht. Sie marschiert.

Und Deutschland? Wirkt angesichts des heraufziehenden Sturms wie narkotisiert mit jenem Betäubungsmittel, das sich Parteipolitik nennt. Es geht im Berlin der Koalitionsspiele nicht um Krieg oder Frieden, sondern um eine Obergrenze ohne Grenze, um Richtwerte, die nichts richten und daher auch keine Wertigkeit besitzen. Die deutsche Debatte spiegelt nicht die Wirklichkeit, sondern die parteipolitischen Interessen wider. Eine Obergrenze für Weltabgewandtheit scheint es nicht zu geben.

Der amerikanische Sturmvogel, der vom heraufziehenden Unheil kündet, bleibt so unbemerkt. In Sachen Trump gibt es jede Menge Polemik, aber keine ernst zu nehmende Politik. Aus Gründen der Bequemlichkeit hat man sich entschlossen, ihn zu unterschätzen. Wir haben Sorgen. Aber er hat einen Plan. Wir wollen Ruhe, er den Sieg. Im Geschichtsbuch möchte er als der Mann auftauchen, der Amerikas Abstieg verhindert hat. Dafür braucht er die Hände der Footballspieler am Herzen und die der gewöhnlichen Amerikaner am Gewehr. All die Sorgen um die Brutalisierung der Gesellschaft bekümmern ihn nicht, sondern putschen ihn auf.

Sebastian Haffner beschreibt in seiner „Geschichte eines Deutschen“ die Atmosphäre der Vorkriegsjahre, die in ihrer vorsätzlichen Ahnungslosigkeit an die Gegenwart erinnert: „Alle waren rettungslos eingespannt in ihren Beruf und ihren Tagesplan, abhängig von tausend Unübersehbarkeiten, Glieder eines unkontrollierbaren Mechanismus, auf Schienen laufend gleichsam und hilflos. [...] Wir bewegten uns mit einer Sorglosigkeit, mit der die Menschen in einem modernen, käfiglosen Zoo zwischen den Raubtieren herumgehen, im Vertrauen darauf, dass die Gräben und Hecken alle richtig berechnet sind. [...] Nur in der täglichen Routine ist Sicherheit und Weiterbestehen – gleich daneben fängt der Dschungel an.“

Dieser Kommentar ist im Morning Briefing erschienen. Börsentäglich lesen Sie dort die wichtigsten Neuigkeiten am frühen Morgen mit Ausblick auf den aktuellen Tag – verfasst von Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart.

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