Angst vor Atomterror Die Sorgen des Nukleargipfels

Es ist ein Alptraum für Regierungen und Behörden rund um die Welt: Atommaterial in Händen von Terroristen. Tausende Tonnen sind verfügbar. Und wie steht es eigentlich um Obamas Versprechen einer „atomwaffenfreie Welt“?

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Belgien bekümmert die US-Nuklearexperten schon länger: Seit Jahren versuchen sie, die Regierung in Brüssel dazu zu bewegen, ihre Nuklearbestände zu reduzieren. Quelle: dpa

Washington Eine einzige Quelle würde reichen. Leider gibt es Tausende. In Krankenhäusern, in Forschungseinrichtungen, in der Industrie: Rund um den Globus wird radioaktives Material verwendet, in der Summe viele tausend Tonnen. „Jedes Bestrahlungsgerät liefert genug Nuklearmaterial“, stellt ein Bericht in Washington kühl fest: Aus den gleichen Isotopen, die lebensrettende Krebsbehandlungen ermöglichten, könnten Terroristen eine schmutzige Bombe bauen.

Dies ist nur eines der extrem heiklen Themen des Gipfels für nukleare Sicherheit, für den Staats- und Regierungschefs aus über 50 Ländern nach Washington gekommen sind. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Terroristen eine schmutzige Bombe detonieren lassen, ist viel höher als eine improvisierte Atombombe, weil es einfach so viel Nuklearmaterial gibt“, sagt Andrew Bieniawski von der Nuclear Threat Initiative.

Und stellt fest: Die 23 Staaten, die nach dem 2014er Nukleargipfel das jüngste Abkommen unterschrieben haben, repräsentieren nur gut die Hälfte aller Länder, die überhaupt am Gipfelprozess beteiligt sind – und nur 14 Prozent aller 168 Staaten, die Mitglied der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA sind.

Von den vielen Delegationen, die seit Donnerstag mit selbst für die Hauptstadt erheblichem Tam-Tam Washington beinahe lahmlegten, repräsentiert eine ganze Reihe diejenigen Staaten, die eine atomwaffenfreie Welt weiter eine Illusion sein lassen. Sie war eines der blumigen Versprechen des jungen US-Präsidenten Barack Obama gewesen.

Obamas Soll, 2009, Prag: „Ich erkläre Amerikas Verpflichtung, Frieden und Sicherheit einer Welt ohne Atomwaffen anzustreben.“ Der Ist-Stand, 2016: Neun Staaten besitzen mehr als 17.000 Atomwaffen. Geschätzt 7700 allein die USA, 8500 Russland, dazu kommen Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Israel (nicht offiziell, nicht dementiert) und Nordkorea. Staaten, auf deren Gebiet sich vermutlich oder sicher Nuklearwaffen befinden: Deutschland, Belgien, Italien, Niederlande, Türkei.

Allen Abrüstungsbeteuerungen und aller tatsächlichen Reduzierung zum Trotz wird weiter massiv in die Modernisierung der Arsenale investiert, bleiben Atomwaffen zentraler Teil der Abschreckung. Es ist angesichts der weltweiten Bedrohungslage oder -wahrnehmung nicht davon auszugehen, dass sich daran auf Sicht etwas ändert.

Gipfel für Nuklearsicherheit waren Obamas Idee, Herzensanliegen eines Idealisten. Es ist nicht so, dass nach Prag die vergangenen drei Gipfel nichts gebracht hätten: Tausende Kilogramm hoch angereicherten Urans wurden aus dem Verkehr gezogen, mehr als ein Dutzend Staaten löste seine Bestände auf. Aber viele, viele andere eben nicht. Und: Von 100 Prozent aller Bestände hoch angereicherten Urans sind ganze 4 zivilen Charakters. Der Rest: militärisch.


Donald Trump: Atomwaffen für Japan und Südkorea

Russland ist in der US-Hauptstadt erst gar nicht dabei. Präsident Wladimir Putin hatte wenig Neigung, sich im auf nahe Null abgekühlten Verhältnis zu den USA in einen von Obama geführten Prozess einsortieren zu lassen. Nun versucht der Washingtoner Gipfel, wenigstens das vorhandene Nuklearmaterial so gut sichern zu lassen wie möglich. Dazu werden etwa Trainingslager eingerichtet und Experten um die Welt geschickt. Von diesen reisten einige auch nach Europa. Ihr Ziel: Belgien.

Belgien bekümmert die US-Nuklearexperten schon länger. Seit Jahren versuchen sie, die Regierung in Brüssel dazu zu bewegen, ihre Nuklearbestände zu reduzieren. Die „New York Times“ zitiert einen Bericht, wonach Belgien dermaßen zerfasert und desorganisiert sei, dass man für die Sicherheit seiner Atomanlagen Schlimmes befürchte.

Dann schlugen Terroristen des Islamischen Staats in Brüssel zu. Und es wurde klar, dass der IS die belgische Atomanlage Doel hatte ausspähen lassen. Radioaktives Material in Händen des IS? Allein die Vorstellung reichte, um die Agenda des Washingtoner Gipfels zu ändern.

Erstmals sollte sich dieses Treffen auch mit der Bedrohungslage für Städte und Länder befassen, mit Gegenmaßnahmen und Szenarien. IAEA-Direktor Yuiya Amano hatte vor „atomarem Terrorismus“ gewarnt. Die US-Regierung sagt, es sei kein „größerer Plot“ in Belgien bekannt. Sie sagt aber auch, man müsse sehen, dass nach den Scheinwerfern des Gipfels konkret weiter umgesetzt und gearbeitet werde, in den Mühen der Ebene.

In dieser Ebene hat Nordkorea einen festen Platz. Das kommunistisch regierte Land droht seinen Nachbarn und den USA mit dem Einsatz von Atomwaffen. Ein sehr kompliziertes Thema, auch auf dem Gipfel, sicherheitspolitisch hochbrisant.

Nur einen ficht das nicht an: Donald Trump. In der ihm eigenen Art schlug er vor, Südkorea und Japan sollten doch auch Atomwaffen haben, ob das nicht besser sei, wo doch Nordkorea schließlich auch welche habe. Die Reaktionen: entsetzt. Als wäre der Gipfel mit der Sorge vor schmutzigen Bomben, Atomschmuggel, stockender Abrüstung, einem abgekühlten Ost-West-Verhältnis und einem irrlichternden Diktator in Pjöngjang nicht ausreichend beschäftigt.

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