Ankara wirbt in Deutschland Erdogans Kampf um die absolute Macht

Beim Verfassungsreferendum in zwei Monaten geht es um die Zukunft der Türkei. Am Samstag will Ministerpräsident Yildirim im Ruhgebiet für die geplante Verfassungsreform werben. Denn Deutschland ist für Erdogan wichtig.

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Deutschland ist wichtig für Erdogan. Hier bekam er bei der Präsidentenwahl 2014 immerhin 68,8 Prozent Zustimmung, gegenüber 52,2 Prozent im eigenen Land. Quelle: AFP

Athen Der türkische Premier Binali Yildirim kommt an diesem Samstag nach Oberhausen, um unter Deutschtürken für das geplante Präsidialsystem zu werben. Es soll Staatschef Recep Tayyip Erdogan unumschränkte Macht geben. Auf welchem Weg die Türkei ist, zeigt die Festnahme des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel. Erdogans Justiz ermittelt gegen den Journalisten, der die deutsche und die türkische Staatsangehörigkeit besitzt, wegen „Terrorismus“.

Beim Verfassungsreferendum in zwei Monaten geht es um die Zukunft des Landes und die künftige Rolle von Staatschef Erdogan. Umfragen lassen ein knappes Ergebnis erwarten. Doch Deniz Yücel wird über den an diesem Wochenende beginnenden Wahlkampf vorerst nicht berichten können. Er sitzt in Istanbul im Polizeigewahrsam. Der 43-Jährige stellte sich, wie am Freitag bekannt wurde, bereits am vergangenen Dienstag der Polizei, nachdem er erfahren hatte, dass gegen ihn wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorpropaganda und Datenmissbrauchs ermittelt wird. Dabei scheint es um gehackte E-Mails von Energieminister Berat Albayrak zu gehen, einem Schwiegersohn Erdogans. Yücel hatte über die Affäre berichtet.

Nach dem Ausnahmezustand, der in der Türkei seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 gilt, kann der Journalist 14 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden. Erst dann muss ein Haftrichter entscheiden, ob er in Untersuchungshaft kommt. Erdogan versuche, den Ausnahmezustand zu missbrauchen, um unliebsame Berichterstattung unmöglich zu machen“, erklärte der Deutsche Journalisten-Verband und forderte die Bundesregierung auf, den Fall aufzugreifen und ihre diplomatischen Kanäle zu nutzen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte schon bei ihrem Besuch in Ankara Anfang Februar nach eigenen Worten mit Erdogan „sehr ausführlich“ über das Thema Pressefreiheit gesprochen und auf „verschiedene Fälle, wo wir uns durchaus Sorgen machen“ hingewiesen. Mutmaßlich kam auch der Fall des „Welt“-Korrespondenten Yücel zur Sprache, der bereits Ende Dezember in regierungsnahen türkischen Medien als Verdächtiger genannt wurde.

Aber Erdogan dürfte derzeit andere Prioritäten haben als Merkels Besorgnisse. Zehn Wahlkämpfe hat er in den vergangenen 15 Jahren geführt – und alle gewonnen. Doch diesmal geht es um alles. Nie stand für den 63-Jährigen, der als Sohn eines Seemanns im schäbigen Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa aufwuchs und sich bis an die Staatsspitze hochkämpfte, mehr auf dem Spiel als jetzt. Sagen die Wähler bei der Volksabstimmung am 16. April Ja zu dem geplanten Präsidialsystem, bekommt Erdogan eine in westlichen Demokratien beispiellose Machtfülle. Er könnte am Parlament vorbei Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, den Notstand ausrufen und die Nationalversammlung nach Gutdünken einfach auflösen.

Erdogan verspricht seinen Landsleuten mit dem geplanten Präsidialsystem politische Stabilität und wirtschaftliches Wohlergehen. Oppositionspolitiker und Menschenrechtler sehen dagegen die Türkei auf dem Weg in eine Diktatur.

Wie werden die Türken entscheiden? Die Meinungsumfragen geben kein eindeutiges Bild. Neun Untersuchungen haben die Demoskopen bereits seit Jahresbeginn publiziert. Rechnet man die Ergebnisse zusammen, kommt man auf 49,7 Prozent Ja-Stimmen und 50,3 Prozent Nein-Stimmen. Viel Aussagekraft über den Ausgang des Referendums haben die Zahlen nicht. Vor allem, wenn man bedenkt, wie schwer sich die Meinungsforscher bei Volksabstimmungen mit Prognosen tun – der Brexit lässt grüßen.


Yildrim ist jedes Mittel recht

Es könnte bei dem Referendum um jede Stimme gehen. Das zeigt auch Erdogans Äußerung, die öffentliche Unterstützung für die Verfassungsänderung sei „noch unzureichend“; die Wähler müssten deshalb „besser informiert“ werden.

Nachdem der Hohe Wahlrat den Wahlkampf am Donnerstag offiziell für eröffnet erklärte, verliert Erdogan jetzt keine Zeit. Nach seiner Rückkehr von einer Reise durch mehrere Golfstaaten will er am Wochenende Kundgebungen in den Ostprovinzen Kahramanmaras, Elazig, Malatya, Adiyaman und Gaziantep absolvieren – Auftakt einer Kampagne, die den Staatschef in mindestens 40 der 83 türkischen Provinzen führen wird.

Während Erdogan Ostanatolien bereist, kommt Premierminister Binali Yildirim an diesem Samstag nach Oberhausen, um unter den Deutschtürken für ein Ja beim Referendum zu werben. Sie können in den immerhin 13 Generalkonsulaten abstimmen, die ihr Land in Deutschland unterhält. Deutschland ist wichtig für Erdogan. Hier bekam er bei der Präsidentenwahl 2014 immerhin 68,8 Prozent Zustimmung, gegenüber 52,2 Prozent im eigenen Land.

Für Regierungschef Yildirim bedeutet das Präsidialsystem zwar den Verlust seines Amtes. Alle Befugnisse gehen an Erdogan über. Auch seinen Posten als Vorsitzender der Regierungspartei AKP muss er an den Staatschef abgeben. Aber als treuer Diener seines Herrn legt sich der Noch-Premier dennoch für die Verfassungsänderung ins Zeug. Dafür nimmt er es sogar auf sich, in der König-Pilsener-Arena aufzutreten. Ein großes Opfer für den strenggläubigen Muslim. In der Türkei dürfte es einen solchen Namen gar nicht geben. Werbung für Bier hat die AKP streng untersagt, von Wein und Spirituosen ganz zu schweigen.

In Deutschland ist Yildirims Kundgebung aus anderen Gründen umstritten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Spionageermittlungen gegen Imame des von Ankara gesteuerten Moscheeverbandes Ditib. Sie sollen im Auftrag der staatlichen türkischen Religionsbehörde in Deutschland mutmaßliche Anhänger des Erdogan-Erzfeindes Fethullah Gülen bespitzelt haben. Der stellvertretenden FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki findet es „eine unglaubliche Frechheit“, dass Yildirim „auf deutschem Boden für die Errichtung eines autokratischen Systems in der Türkei wirbt.“ Regierungssprecher Steffen Seibert warnte Yildirim davor, innertürkische Konflikte auf deutschem Boden auszutragen.

Daheim zieht der Premier im Wahlkampf alle Register. Jedes Mittel ist ihm recht. „Alle Terrororganisationen propagieren ein Nein, das sollten die Bürger bedenken“, argumentiert Yildirim – und rückt damit die Gegner des Präsidialsystems pauschal in die Nähe des Terrorismus. Erdogan warnt, wer mit Nein stimme, mache sich mit den Putschisten vom 15. Juli gemein. Zugleich geht Erdogan mit neuen Massenentlassungen und Razzien immer härter gegen seine Kritiker vor.

„Evet“ oder „Hayir“. Ja oder Nein steht auf den Stimmzetteln des Referendums. Mit einem kleinen Messingstempel sollen die Wähler eines der beiden Felder markieren. Eine Ja-Stimme kann Erdogan keiner mehr nehmen, die von Mustafa Celik. Der Bauer aus dem südostanatolischen Bezirk Ergani gab seiner neugeborenen Tochter jetzt den Namen Evet – als Aufforderung an alle, beim Referendum mit Ja zu stimmen, wie er sagt. Celik hat drei Frauen und acht Kinder. Das dürfte Erdogan gefallen. Er animiert seine Landsleute seit Jahren, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen.

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