Anschläge in Brüssel Der erste Tag nach dem Terror

Brüssel kämpft sich zur Normalität zurück. Das Leben geht trotz der Trauer weiter. Doch es ist nichts mehr, wie es war – allein schon wegen Sicherheitskontrollen und Staus. Eindrücke unseres Korrespondenten.

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Am Platz vor der Börse in Brüssels Stadtzentrum erinnern Blumen und Kerzen an die Opfer der Terroranschläge. Quelle: AP

Brüssel Sehe ich aus wie ein Terrorist? „Nein“, sagt der Sicherheitsbeamte am Europäischen Parlament auf meine Frage. Dennoch werde er mich nicht durchlassen. „So sind heute die Regeln. Kein Einlass für Journalisten wegen der Alarmstufe Orange.“ Er zeigt auf ein entsprechendes Schild. Mit zwei weiteren Wachleuten steht der Mann in schwarzem Anzug vor dem einzigen geöffneten Eingang des Europäischen Parlaments am Gebäudekomplex „Espace Leopold“.

So schnell gebe ich nicht auf. Schließlich will ich meine Arbeit als Journalist machen und Eindrücke sammeln im Innern der europäischen Volksvertretung. „Sie können die Eindrücke ja hier draußen sammeln“, sagt der Sicherheitsbeamte. Der Mann ist höflich, aber nicht zum Diskutieren aufgelegt.

Der Eindruck draußen ist gespenstig. Denn es ist still, unheimlich still – dort, wo es sonst zugeht wie auf einem Bahnhof, wo Besuchergruppen Schlange stehen, Lobbyisten sich die Drehtür in die Hand geben und Touristen mit Kameras die Architektur bestaunen. Wo Schülergruppen aus aller Herren Länder Faxen machen, bevor sie sich im „Parlamentarium“ über die Geschichte der EU informieren. Seit Dienstag, dem 22. März – „ausgerechnet an meinem Namenstag, das finde ich richtig fies“, wie meine Tochter Lea am Dienstagabend beim Ansehen der tragischen Bilder im belgischen Fernsehen sagte - ist die europäische Gemeinschaft um ein trauriges Ereignis reicher.

„Vielleicht kapieren nun endlich alle, dass wir Europäer zusammenhalten müssen“, sagt eine irische Touristin am Europäischen Parlament. Außer ihr haben sich kaum Besucher dorthin gewagt. „Sehen Sie doch, nichts, kein öffentliches Leben“, sagt die Irin, während sie sich auf dem Platz umblickt. „Auch in den Bistros ist nichts los. Das ist doch genau das, was die Terroristen wollen. Die wollen unsere Lebensart zerstören. Das dürfen wir nicht zulassen. Es muss weitergehen“, sagt die Frau – und wiederholt das auch noch einmal gern für ein Fernsehteam, das am „Espace Leopold“ O-Töne einfängt.

Tatsächlich finden Brüssels Bürger langsam wieder ins Leben zurück. Denn es geht ja wirklich weiter – auch wenn nichts mehr ist wie zuvor. Aber niemand will sich unterkriegen lassen. Auf dem Platz an der Börse im Zentrum der Stadt verleihen die Menschen ihren Gefühlen bereits seit Dienstagnachmittag Ausdruck: mit Kerzen, Blumen, Kreidebildern und -sprüchen auf dem Straßenpflaster. „BXLove“, steht etwa auf dem Boden. Und: „Wir sind eins“.


Emotionen, Trauer, Appelle

Selbst Flamen und Wallonen vergessen angesichts des Terrors ihre sprachlichen Animositäten. „Wir sind Brüssel“, steht auf einem Transparent in Flämisch und Französisch. In der Nacht hat ein Fernsehsender die Bilder des Tages aneinander gereiht und mit Musik unterlegt. Gänsehaut pur kommt beim Ansehen auf. Gemeinschaft schaffen durch Emotionalität – und nicht alles zerreden mit Pathos und Worthülsen. Auch das kann Fernsehen.

Von Normalität ist das öffentliche Leben in der belgischen Hauptstadt am Mittwoch aber noch weit entfernt. Davon zeugen schon die kilometerlangen Verkehrsstaus. Der Tunnel unter dem Europaviertel ist nach wie vor gesperrt. Das gilt auch für die vierspurige Straße Richtung Innenstadt an der Metrostation Maelbeek, wo am Dienstag eine Bombe explodierte und damit Europa mitten ins Herz traf.

Die meisten öffentlichen Verkehrsmittel haben den Betrieb aber wieder aufgenommen - auf Teilabschnitten auch die U-Bahn-Linie, auf die am Dienstag ein Anschlag verübt worden war. An den Eingängen kontrollieren Polizisten und Soldaten jede Tasche. Anders als nach den Pariser Anschlägen vom November sollten auch die Schulen laut belgischem Krisenzentrum trotz der höchsten Terrorwarnstufe grundsätzlich öffnen. Dasselbe galt für Behörden und Einkaufszentren.

Der Flughafen, an dem der Terror am Dienstagmorgen um acht Uhr mit zwei Bombenexplosionen seinen Anfang nahm, ist noch geschlossen. Man werde im Lauf des Tages entscheiden, wann der Betrieb wieder aufgenommen wird sagte, ein Sprecher.
Bei den Anschlägen starben mehr als 30 Menschen. Rund 250 wurden verletzt. Belgiens Außenminister Didier Reynders sagte am Mittwoch im Sender RTBF, unter den Toten und Verletzten gebe es wahrscheinlich Opfer aus bis zu 40 verschiedenen Nationen. Ihnen allen gedenkt Belgien an diesem Mittag in einer Schweigeminute, König Philippe und Königin Mathilde am Schuman-Platz im Brüsseler Europaviertel. Die Flaggen wehen auf Halbmast. Bis Donnerstag gilt Staatstrauer.

Und dann? „Lasst uns der Bedrohung mit Entschlossenheit, Ruhe und Würde“ begegnen, sagt König Philippe in einer Ansprache an sein Volk und fordert die Menschen zur Einheit auf: „Behalten wir Vertrauen in uns selbst. Dieses Vertrauen ist unsere Kraft.“

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