Anschlag in Ankara Im Strudel der Gewalt

Im Südosten der Türkei eskaliert die Gewalt seit Monaten, immer stärker greift sie inzwischen auf die Metropolen des Landes über. Ein erneuter Anschlag in Ankara offenbart die zunehmende Hilflosigkeit der Regierung.

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Ein Auto brennt nach einem Bombenanschlag in Ankara. Die Regierung ist zusehends machtlos gegen die Angriffe. Quelle: Reuters

Istanbul Es ist ein sonniger Tag in der türkischen Hauptstadt Ankara, Temperaturen bis 19 Grad sind vorausgesagt, nach dem Winter ein Sonntag wie geschaffen für einen Ausflug. Der Kizilay-Platz im Stadtzentrum ist immer belebt, dort liegt ein großes Einkaufszentrum. Wer hier einen Anschlag verübt, muss wissen, dass er Zivilisten trifft.

An dem Platz, ganz in der Nähe einer Bushaltestelle, richten Terroristen am Sonntagabend ein Blutbad an. Gegen 18.45 Uhr zünden sie eine Autobombe – just zu der Zeit, an der sich viele Menschen auf den Nachhauseweg in Richtung Abendessen gemacht haben dürften.

Fotos vom Anschlagsort lassen das Ausmaß der Zerstörung erahnen, die die am Abend noch unbekannten Täter verursacht haben. Ein von der Wucht der Explosion deformierter Bus der Linie 284 steht nach der Explosion auf der Straße, alle Fenster sind zerschmettert, die Windschutzscheibe hängt außen an der Karosserie. Andere Autos sind völlig ausgebrannt, neben den Wracks stehen Krankenwagen und Löschfahrzeuge, die Straße ist ein Trümmerfeld. Helfer tragen einen Verletzten davon, dessen Kopf blutüberströmt ist.

Diesmal hat es sogar Hinweise vor einem drohenden Anschlag gegeben. Die US-Botschaft in Ankara hat am Freitag eine entsprechende Warnung verbreitet. Verhindert hat das das Blutbad nicht.

Nach dem Anschlag folgen die üblichen hilflos wirkenden Reflexe der türkischen Regierung. Ein „Sicherheitsgipfel“ wird einberufen, eine Nachrichtensperre wird verhängt. Nur noch offizielle Verlautbarungen dürfen von den Medien verbreitet werden. Die erste solche Mitteilung versetzt dem leidgeprüften Land einen erneuten Schock: Mindestens 27 Tote sind zu beklagen, teilt der Gouverneur von Ankara mit.

Dabei ist der letzte Anschlag in Ankara nicht einmal einen Monat her. Am 17. Februar sprengte sich ein Selbstmordattentäter im Regierungsviertel in die Luft, das Ziel damals war ein Konvoi mit Armeeangehörigen, 30 Menschen starben. Zu diesem Anschlag bekannten sich die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK), die aus der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK hervorgegangen sind.


Anschlag war wohl Racheakt

Die TAK nannte die Bluttat „Rache für all das Leid des kurdischen Volkes“ - und kündigte weitere Anschläge an. Gleichzeitig führt die Armee ihre Offensive in der kurdisch geprägten Südosttürkei fort, wo seit Monaten bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen. Nach Angaben des Militärs wurden seit Dezember mehr als 1.200 PKK-Kämpfer getötet.

Am Sonntag verhängt die Regierung wieder über zwei kurdische Städte eine Ausgangssperre. Die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ berichtet, dort stünden nun die bislang umfangreichsten Operationen bevor, bei denen 20 000 Sicherheitskräfte eingesetzt würden.

Die TAK hatte schon vor Monaten gedroht, die Gewalt vom Südosten in die Metropolen im Westen zu tragen. Ob die Gruppe allerdings hinter dem Anschlag von Sonntag steckt, ist am Abend noch offen. Nicht nur die TAK zündet Bomben in der Türkei. Inzwischen hat der Terror dort solche Ausmaße angenommen, das der Nato-Partner in einem Strudel der Gewalt zu versinken droht.

Am 12. Januar sprengte sich ein Attentäter in Istanbul in die Luft, der nach Angaben der Regierung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angehörte - und zwölf deutsche Urlauber mit in den Tod riss. Auch die linksterroristische DHKP-C verübt regelmäßig Anschläge, wobei sich ihre Taten in der Regel durch Dilettantismus auszeichnen.

Was den Tätern gleich welcher Couleur gelingt, ist, die Bevölkerung in Unsicherheit zu stürzen - und nicht nur großen menschlichen Schmerz, sondern auch schweren ökonomischen Schaden anzurichten. Der Tourismussektor - einer der wichtigsten Wirtschaftszweige - liegt am Boden. Die TAK hat nach dem Anschlag vom Februar auch Touristen mit Gewalt bedroht. Immer mehr Ausländer in Istanbul meiden die Metro, weil die U-Bahn ein potenzielles Anschlagsziel ist.

In Ankara werden am Sonntagabend die 75 Verletzten in Krankenhäuser gebracht. Bei früheren Anschlägen von diesem Ausmaß wurde die Bevölkerung zur Blutspende aufgerufen. Diesmal teilt das Gesundheitsministerium mit, die vorrätigen Blutkonserven reichten aus. Das bleibt die einzige gute Nachricht an diesem Abend aus der türkischen Hauptstadt.

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