Anschlag in Kabul Schickt niemanden mehr nach Afghanistan

Afghanistan ist ein gescheiterter Staat. Nicht einmal die deutschen Diplomaten können sich dort schützen. Die Abschiebungen in dieses Land müssen enden. Ein Kommentar.

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Afghanistan kann seinen Bürgern keinen Schutz bieten. Quelle: Reuters

Berlin Auch wenn ein für diesen Mittwoch geplanter Flug verschoben wurde: In dieses Land also sollen demnächst wieder Tausende abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland abgeschoben werden? In Afghanistans Hauptstadt Kabul verwüstete eine Autobombe das Diplomatenviertel. 80 Tote sind zu beklagen und weit mehr als 300 Verletzte durch den Anschlag in unmittelbarer Nähe zu den Botschaften Deutschlands und Frankreichs. Und das hinterhältige Verbrechen macht wieder einmal zweierlei deutlich.

Erstens: Afghanistan ist keineswegs so stabil, dass dorthin abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden dürfen. Wer dies dennoch tut, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Innenminister, ist keine selbsterklärte Flüchtlingsbeschützerin, sondern zynisch und feige vor Kritik vom rechten Rand. Die Lage in Afghanistan ist nur wenig besser als in Syrien, wohin die Bundesregierung zu recht keine Asylbewerber abschiebt.

Thomas de Maizières Behauptung, in Afghanistan gebe es sichere Orte, ist genauso wahr wie im Falle Syriens. Seine Worte sind nichts als Autosuggestion. Afghanistan ist nur zwischen zwei Anschlägen relativ stabil.

Zweitens: Das mehr als ein Jahrzehnt lange und Milliarden teure militärische Engagement am Hindukusch – auch das weiß der ins Innenressort gewechselte frühere Verteidigungsminister nur zu gut – ist im Ergebnis ein Desaster. Die Taliban, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington aus Afghanistan vertrieben werden sollten, beherrschen wieder große Teile der Heimat des Heroins. Entweder direkt oder mittels ihnen verbundener Warlords, Drogenbarone und Schmuggelkönige. Und inzwischen auch mit ihren Verbindungen zu Terrormilizen im Irak und in Syrien auch weit über den Hindukusch hinaus.

Wer die Begründung des Einmarsches in Afghanistan von damals ernst nimmt, müsste heute wieder Kampfverbände dorthin schicken. Oder wenigstens sein Scheitern eingestehen und nicht alles schönreden. Dass auch nicht-militärisches Engagement dort oft scheitert – das im Übrigen viel zu spät dort begonnen wurde und zudem oftmals auch mit überzogenen Erwartungen –, hat kürzlich der bestialische Mord an einer deutschen Entwicklungshelferin gezeigt. 

Solange Afghanistan ein „failed state“ bleibt, werden immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Ein echtes Dilemma für die Kanzlerin, die den einen als großherzig gilt wegen ihrer damaligen Flüchtlingspolitik, anderen als Rechtsbrecherin wegen der Masseneinreisen und die vor dem Wahltag nichts sehnlicher hofft, als dass die Flüchtlingszahlen nicht wieder drastisch ansteigen.

In der vergangenen Woche hatte Merkel auf dem Kirchentag Abschiebungen nach Afghanistan verteidigt. Spätestens jetzt muss sie umdenken.

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